Sie gelten als große Hoffnung im Kampf gegen die Coronakrise: sogenannte Antikörpertests. Mit ihnen soll im großen Stil geprüft werden können, wer eine Infektion mit dem neuartigen Coronavirus bereits hinter sich gebracht hat und dadurch möglicherweise immun geworden ist. Diese Menschen könnten, so der Wunsch vieler Politiker und Wirtschaftsvertreter, an ihre Arbeitsplätze zurückkehren und den Alltag normalisieren.
Außerdem erhoffen sich Wissenschaftler von den Testergebnissen Erkenntnisse darüber, wie weit die Gesellschaft von einer sogenannten Herdenimmunität entfernt ist. Die Rechnung ist simpel: Wenn sich 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung mit Sars-CoV-2 infiziert haben, könnte sich das Virus mangels Ansteckungsketten nicht mehr weiter ausbreiten. Auch wenn dieser Zustand noch weit entfernt sein dürfte, ist in München eine großangelegte Studie gestartet worden, die mithilfe von Antikörpertests wenigstens Anhaltspunkte über eben diesen Grad der Durchseuchung geben soll.
Doch bislang haben alle Theorien und Ansätze zwei entscheidende Haken: Einerseits ist noch nicht einwandfrei nachgewiesen, ob nach einer Covid-19-Erkrankung tatsächlich Immunität besteht. Die WHO hat deshalb jüngst vor sogenannten "Immunitätspässen" gewarnt. Und andererseits ist das Testverfahren nicht zuverlässig genug.
Zu viele "falsch-positive" Signale
Antikörpertests weisen nicht den Erreger selbst nach, sondern Antikörper - auch Immunglobuline genannt -, die der Körper im Laufe der Infektion bildet, um das Virus abzuwehren. Weil das Immunsystem sogenannte IgA-Antikörper erst etwa eine Woche nach Beginn der Erkrankung bildet und die IgG genannten Langzeit-Antikörper sogar erst mehrere Wochen später, sind die Tests im Prinzip gut dafür geeignet, eine Infektion im Nachhinein zu belegen.
Ein großer Nachteil ist jedoch, dass es zu sogenannten Kreuzreaktionen mit anderen Coronaviren kommen kann. Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité sagte in einem Podcast des NDR, dass fast alle Antikörpertests "falsch-positive Signale" geben, wenn der Patient zum Beispiel eine Infektion mit einem Erkältungs-Coronavirus hinter sich hat. Es gibt also keine Sicherheit, dass bei einem positiven Testergebnis tatsächlich eine Infektion mit Sars-CoV-2 vorlag. Und das kann gefährliche Konsequenzen haben: Glaubt ein Getesteter irrtümlich, gegen Sars-CoV-2 immun zu sein und auf Sicherheitsmaßnahmen verzichten zu können, setzt er sich einem erheblichen Infektionsrisiko aus.
Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Hersteller der Antikörpertests ihre Produkte bislang weitestgehend selbst zertifizieren dürfen. In der EU ist dies laut einer Verordnung bis Mai 2022 möglich. Nach Angaben des bundeseigenen Paul-Ehrlich-Instituts fehlt es bisher an allgemein anerkannten Qualitätsstandards und einer Prüfung durch eine unabhängige Stelle.
Nur drei Antikörpertests halbwegs brauchbar
Weil die Situation in den USA ähnlich ist, ergriffen 50 Wissenschaftler verschiedener US-amerikanischer Universitäten selbst die Initiative und prüften insgesamt 14 Antikörpertests auf ihre Verlässlichkeit - darunter sowohl Schnelltests als auch Labormethoden. Ihr Ergebnis veröffentlichten sie vor wenigen Tagen als sogenannten Preprint, also als Vorabdruck, der noch nicht von der Wissenschaftsgemeinde kontrolliert wurde. Und das Ergebnis hat es in sich: Nur drei Antikörpertests waren demnach halbwegs brauchbar.
Von 14 Produkten meldeten vier Tests in 11 bis 16 Prozent der Fälle ein falsch-positives Ergebnis. Mit anderen Worten: Sie gaukelten eine Immunität vor, die nicht gegeben war. Bei den meisten anderen lag dieser Wert bei etwa fünf Prozent. Und von den drei bestbewerteten Tests lieferten zwei in einem Prozent der Fälle falsch-positive Befunde und nur einer überhaupt keine Fehlergebnisse.
"Diese Zahlen sind einfach inakzeptabel", sagte Scott Hensley, Mikrobiologe von der Universität Pennsylvania, der "New York Times". Allein der Anteil der Menschen in den Vereinigten Staaten, der dem Coronavirus ausgesetzt gewesen sei, betrage vermutlich fünf Prozent oder weniger. "Wenn Ihr Test-Kit einen falsch-positiven Anteil von drei Prozent aufweist, wie interpretieren Sie das? Das ist im Grunde unmöglich. Und wenn Ihr Kit zu 14 Prozent falsch-positive Ergebnisse liefert, ist es sogar nutzlos." Hensley selbst war nicht an der Studie beteiligt.
Für die Überprüfung der Antikörpertests wurde jedes Produkt mit dem gleichen Satz Blutproben ausgewertet. Dazu zählten Proben von 80 Personen, die sich nachweislich zu verschiedenen Zeitpunkten mit dem neuartigen Coronavirus infiziert hatten, sowie 108 Proben aus der Zeit vor der Pandemie und 52 Proben von Personen, die positiv auf andere Virusinfektionen, aber negativ auf Sars-CoV-2 getestet worden waren.
Mit ihren ernüchternden Ergebnissen dämpft die Studie Hoffnungen auf zuverlässige Erkenntnisse über die Durchseuchung der Bevölkerung. Mit den meisten der geprüften Produkte lassen sich keine sicheren Aussagen über die Immunität treffen. Gleichzeitig bieten die Forschungsergebnisse aber auch wichtige Anhaltspunkte dafür, mit welchen Antikörpertests zukünftig gearbeitet werden sollte.
spiegel
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