Ankauf von Staatsanleihen durch EZB teilweise verfassungswidrig

  05 Mai 2020    Gelesen: 833
Ankauf von Staatsanleihen durch EZB teilweise verfassungswidrig

Billionen Euro hat die Europäische Zentralbank seit 2015 in den Kauf von Staatsanleihen gesteckt. Nun schauen die Karlsruher Richter nicht länger zu – und stellen sich damit gegen das höchste EU-Gericht.

Das Bundesverfassungsgericht gab mehreren Verfassungsbeschwerden gegen den umstrittenen Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) statt. Die Beschlüsse der EZB zu dem Programm seien kompetenzwidrig, entschied das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe. Bundesregierung und Bundestag hätten durch ihr tatenloses Zusehen Grundrechte verletzt. Der Senat stellte aber keine verbotene Staatsfinanzierung fest. Die EZB muss künftig nur besser begründen, warum Anleihekäufe verhältnismäßig sind. Sie muss also insgesamt transparenter auftreten nach außen und vor allem gegenüber den Mitgliedsstaaten. Die aktuellen Corona-Hilfen der EZB sind nicht Gegenstand der Entscheidung. Az. 2 BvR 859/15 u.a.

Die rechts-politische Korrespondentin des Deutschlandfunks, Gudula Geuther, wertete das Urteil als hart im Umgang mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). Man müsse davon ausgehen, dass es auch Folgen für das Verhalten anderer Länder im europäischen Gerichtsverbund haben könne. Präsident Andreas Voßkuhle sagte bei der Urteilsverkündung, das Urteil sei „keine leichte Kost“. Das Gericht stelle nun erstmals in seiner Geschichte fest, dass Handlungen und Entscheidungen europäischer Organe offensichtlich nicht von der europäischen Kompetenzordnung gedeckt seien. Sie könnten daher in Deutschland keine Wirksamkeit entfalten.

Der Leiter unseres Hauptstadtstudios, Stephan Detjen, sprach von einem doppelgesichtigen Urteil. Karlsruhe stelle mit maximalen Druck den Anspruch auf, Entscheidungen des EuGH prüfen und ihnen widersprechen zu können. Gleichzeitig habe Karlsruhe sich politisch pragmatisch verhalten, weil die EZB nun drei Monate Zeit habe, die Anleihekäufe zu begründen. Detjen sagte voraus, der Streit über das Vorgehen der EZB werde in weitere Runden gehen. Unabsehbar sei die eigentliche Tragweite des Urteils mit Blick auf die Machtstellung der nationalen obersten Gerichte gegenüber dem EuGh. Dies gelte weit über Deutschland hinaus.

Votum gegen den EuGH

Mit ihrem Urteil stellen sich die Verfassungsrichter gegen den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Dieser hatte dem Kaufprogramm im Dezember 2018 gegen massive Bedenken aus Karlsruhe seinen Segen erteilt. Diese Vorabentscheidung aus Luxemburg sei schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar, hieß es in der Entscheidung der deutschen Verfassungsrichter. Die Deutsche Bundesbank ist der größte Anteilseigner der EZB, mit etwas mehr als 26 Prozent. Entsprechend groß ist ihr Kaufvolumen.

Zwischen März 2015 und Ende 2018 hatte die Notenbank rund 2,6 Billionen Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere gesteckt – den allergrößten Teil über das Programm PSPP (Public Sector Purchase Programme), auf das sich das Urteil bezieht. Zum 1. November 2019 wurden die umstrittenen Käufe neu aufgelegt, zunächst in vergleichsweise geringem Umfang von 20 Milliarden Euro im Monat.

„Im schlimmsten Fall“ ein Verbot

Über Anleihenkäufe kommt viel Geld in Umlauf, das heizt normalerweise die Inflation an. Die EZB strebt mittelfristig eine Teuerungsrate knapp unter 2,0 Prozent an. Denn stagnierende oder fallende Preise können Verbraucher und Unternehmen verleiten, Investitionen aufzuschieben. Das kann die Konjunktur bremsen.

Der Vorsitzende des Rats der Wirtschaftsweisen, Feld, [sagte im Vorfeld im Deutschlandfunk|https://www.deutschlandfunk.de/oekonom-feld-zu-urteil-ueber-ezb-anleihekaeufe-das-gericht.694.de.html?dram:article_id=476022], das Gericht könnte im schlimmsten Fall der Deutschen Bundesbank verbieten, beim Anleihenprogramm der EZB mitzumachen. Alternativ könnten auch konkrete Bedingungen für eine Beteiligung der Bundesbank formuliert werden.

Wegen der Corona-Pandemie verkündeten nur fünf der acht Richter des Zweiten Senats das Urteil. Ursprünglich sollte das schon am 24. März passieren. Der Termin musste wegen der Ausbreitung der neuartigen Lungenkrankenheit aber verschoben werden.

EZB in der Coronakrise

m die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern, hat die EZB ihre Anleihenkäufe noch einmal deutlich ausgeweitet. Laufende Kaufprogramme (PEPP) wurden aufgestockt, um 120 Milliarden Euro bis Ende 2020. Dieses Geld soll vor allem in Unternehmenspapiere fließen. Ein Extra-Krisenprogramm mit 750 Milliarden Euro soll mindestens bis Jahresende laufen – und bei Bedarf „ohne Einschränkung“ ausgeweitet werden. Diese Programme waren nicht Gegenstand des Verfahrens und nach den Worten von Voßkuhle sind auch keine direkten Auswirkungen zu erwarten.

Anlass für das Urteil waren vier Verfassungsbeschwerden aus den Jahren 2015 und 2016. Geklagt hatten unter anderen der frühere CSU-Vizeparteichef Peter Gauweiler sowie die Ex-AfD-Politiker Bernd Lucke und Hans-Olaf Henkel. Eine weitere Klägergruppe wurde von dem Berliner Finanzwissenschaftler Markus Kerber vertreten.

Ferber (EVP) begrüßt Urteil

Der Sprecher der EVP-Fraktion im Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) im Europäischen Parlament, Ferber, begrüßte, dass das Bundesverfassungsgericht nun klare formale Kriterien für die Rechtmäßigkeit des Anleihenkaufprogramms formuliert habe. Das Verhältnismäßigkeitsprinzip sollte grundsätzlich immer Leitmotiv staatlichen Handelns sein. Die Forderung nach einer Verhältnismäßigkeitsabwägung stelle nicht die Unabhängigkeit der EZB in Frage. Es handelt sich um eine formale Hürde, die nun schnell genommen werden müss.

deutschlandfunk


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