“Die Waffenlieferungen reichten nur zum Sterben“

  21 Februar 2016    Gelesen: 1170
“Die Waffenlieferungen reichten nur zum Sterben“
Die Geschichte der Freien Syrischen Armee, die sich Assad entgegenstellen wollte, hätte eine Erfolgsgeschichte sein können. Doch sie ist es nicht. Das liegt auch am Dilettantismus der USA.
Es ist nun über vier Jahre her, seit sieben desertierte Regimeoffiziere die Gründung der Freien Syrischen Armee (FSA) bekannt gaben. Am 29. Juli 2011 erklärten sie in einem Internetvideo, dass sie Präsident Baschar al-Assad stürzen und "das Volk vor seiner Tötungsmaschine" schützen wollten. Die Soldaten der syrischen Armee sollten desertieren und sich ihnen anschließen.

Alle Sicherheitsdienste, die Zivilisten angriffen, seien legitime Ziele, die von der FSA neutralisiert würden. Damals hatte es noch große Hoffnungen auf einen raschen militärischen Sieg der Opposition gegeben. Zumal Länder wie die Türkei, Saudi-Arabien und andere Golfstaaten die syrischen Rebellen zum bewaffneten Widerstand drängten und sie bereitwillig militärisch wie finanziell unterstützten.

Die Hoffnungen erfüllten sich jedoch nicht, wie wir heute wissen. Im Gegenteil – die Kriegserklärung der Opposition führte Syrien in das Chaos eines Bürgerkriegs, der mittlerweile über 400.000 Menschen das Leben kostete und 14 Millionen in die Flucht trieb. Es dürfte einer der schwerwiegendsten Fehler der syrischen Revolution gewesen sein, vorschnell den friedlichen Protest gegen Waffengewalt einzutauschen.

Heute existiert die FSA offiziell nicht mehr. Es gibt nicht mehr einen Obersten Militärrat (SMC) mit funktionierenden Kommandostrukturen. Die FSA kam unter die Räder der wechselnden Interessen ihrer ausländischen Förderer. Der Westen hätte den Niedergang der FSA verhindern können, versäumte es aber, rechtzeitig auf diese verlässliche Karte im syrischen Bürgerkrieg zu setzen. Das erwies sich als fataler Fehler, der den Aufstieg radikal-islamistischer Gruppen möglich machte.

Hilfe kam nie in ausreichender Menge

"Wir bekommen nicht genug Waffen", klagten FSA-Kommandeure kurz nach Beginn des Bürgerkriegs. Es hieß, die Lieferungen reichten nur zum Sterben, aber nicht zum Siegen. "Sagen Sie Frau Merkel, sie soll Einfluss auf Europa und die USA nehmen. Wir brauchen mehr Hilfe, um das Assad-Regime zu stürzen." Das gesamte syrische Volk würde zugrunde gehen. Die gewünschte Hilfe kam aber nie in ausreichender Menge. Das hatte hauptsächlich mit der unentschiedenen Haltung Amerikas zu tun. Washington wollte den Bürgerkrieg zwar nicht ohne seinen Einfluss dahinplätschern lassen. Aber trotzdem galt es, ja nicht zu viel einzugreifen, da das die eine oder andere Partei zum Gewinner gemacht hätte.

Im April 2013 wurden der FSA 123 Millionen Dollar an nicht tödlicher Hilfe zugesagt. Gleichzeitig lieferten jedoch die Verbündeten der USA, allen voran Saudi-Arabien, Hunderte von Tonnen an Waffen an die FSA. Das Pentagon wusste, diese Lieferungen würden das Gleichgewicht der Konfliktparteien nur temporär zugunsten der Rebellen verschieben. Denn es gab danach erst einmal eine Pause, bis neue Waffen kamen.

"Wir sind immer die Dummen", sagte Kommandant Abu Ali vor zwei Jahren in Aleppo stellvertretend für viele seiner FSA-Kollegen. "Vom Obersten Militärrat kommt außer wenigen und veralteten Waffen nichts." Für die FSA-Verbände war das auf Dauer frustrierend. Sie hingen an der kurzen Leine ihrer ausländischen Gönner, ohne absehbare Aussichten auf Erfolg.

Die Frustrierten desertierten

Korruption machte sich breit, und die Motivation unter den FSA-Kämpfern sank. Sie mussten zusehen, wie zur gleichen Zeit islamistische Organisationen anwuchsen, mehr Waffen besaßen und damit einen Sieg nach dem anderen verbuchten. Tausende desillusionierte Männer desertierten 2013 zu Ahrar al-Sham, der Al-Nusra-Front und zu anderen islamistischen Gruppierungen. "Hier hat man wenigstens eine Waffe und ausreichende Munition", bekam man damals von ehemaligen FSA-Kämpfern zu hören. "Obendrein gibt es bessere Gehälter."

Washington hatte jede Kontrolle über seinen Verbündeten Türkei und die Golfstaaten verloren. Sie unterstützen Islamisten jedweder Couleur. Die Waffenlieferungen sollten später über ein militärisches Operationszentrum (MOC) kontrolliert weitergegeben werden, aber jedes der Mitglieder machte, was es wollte. Die Türkei hielt ihre Grenzen für Dschihadisten aus dem Ausland offen. Verwundete Kämpfer der Terrorgruppen Islamischer Staat (IS) und der Al-Nusra-Front wurden in türkischen Krankenhäusern kostenlos behandelt. Die Grenzstädte durften sie als Rückzugsgebiet und Planungszentrum nutzen.

"Koffer voller Geld" sollen aus den Golfländern tagtäglich in den Hotels in Antakya, Kilis und Gaziantep übergeben worden sein. Von den USA kam keine nennenswerte Reaktion. FSA-Rebellen oder die, die man dafür hielt, wurden in Trainingslagern in Jordanien und der Türkei ausgebildet. Genügend Waffen gab es jedoch immer noch nicht.

"Dilettantismus made in USA"

Den totalen Abstieg der FSA im Norden Syriens besiegelte der Al-Qaida-Ableger Al-Nusra-Front. Zwischen Oktober 2014 und März 2015 machte sie ein Ende mit den letzten zwei großen Gruppen, die sich mit der Dominanz der Islamisten nicht hatten abfinden wollen. Die Syrische Revolutionäre Front (SRF) und die Hazzm-Bewegung wurden ausgelöscht.

2015 beendete die Al-Nusra-Front zudem das 500 Millionen Dollar teure US-Ausbildungs- und Bewaffnungsprogramm. Zwei Staffeln von Rebellen, die das Pentagon mit nagelneuen Fahrzeugen und Waffen nach Syrien schickte, wurden kurzerhand aufgerieben, entführt oder beraubt. "Dilettantismus made in USA" – anders kann man es nicht nennen.

Heute kämpfen im Norden Syriens noch einige FSA-Verbände. Allerdings tun sie das innerhalb der Koalition der "Armee der Eroberer", die von Ahrar al-Sham und Al-Nusra-Front dominiert werden. Die verbliebenen Reste von SRF und Hazzm-Bewegung haben sich mit anderen, kleineren FSA-Gruppen zusammengetan und die "Armee der Revolutionäre" gegründet. Sie kämpfen zurzeit nördlich von Aleppo mit der Kurdenmiliz YPG gegen die von der Türkei unterstützten Islamisten.

Die "Armee der Revolutionäre" ist Teil der von den USA unterstützen Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Das ist eine ethnisch-religiös übergreifende Militärallianz, an der neben christlichen, arabischen und turkmenischen Milizen eben auch die kurdische YPG beteiligt ist.

Renaissance der FSA? Eher nicht

Das größte Bündnis, das man als klassische FSA bezeichnen könnte, existiert im Süden Syriens, in der Region Daraa. Die 20.000 Mann starke "Südfront" behauptete sich dort sehr erfolgreich gegen den IS und die Al-Nusra-Front. Die FSA-Allianz aus rund 60 verschiedenen Gruppen wird ebenfalls von einem MOC unterstützt, das in Amman seinen Sitz haben soll. Aber im Gegensatz zu Nordsyrien bestimmt hier im Süden nur ein Staat, wer welche Waffen bekommt. Das ist Jordanien, und das kontrolliert den Grenzverkehr strikt. Lieferungen, die nicht ausdrücklich vom Königreich autorisiert sind, kommen nicht durch.

Mit einer landesweiten Renaissance der FSA in Syrien scheint nicht zu rechnen zu sein. Die USA setzen ganz auf die SDF, um die IS-Terrormiliz und alle anderen islamistischen Gruppen auszumerzen. Saudi-Arabien setzt dagegen auf die "Armee des Islam", deren Sprecher in Genf den Hauptverhandler der Opposition spielen durfte. Und die Türkei? Die hält es mit der konservativen Muslimbruderschaft. Am Freitag hatte Ankara 2000 Mann einer der Bruderschaft nahestehenden Rebellengruppe Hunderte Kilometer durch ihr eigenes Staatsgebiet gekarrt. Sie überquerten die Grenze bei Kilis, um in Syrien gegen die SDF und damit auch gegen die verhassten Kurden zu kämpfen.

welt.de

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