Wer waren Floyd und Chauvin?

  03 Juni 2020    Gelesen: 996
  Wer waren Floyd und Chauvin?

Zwei Männer und knapp neun Minuten, die einen der beiden das Leben kosten. Wer waren der Afroamerikaner Floyd und der Weiße Chauvin, deren kurze Begegnung so fatal eskalierte?

Der Mann am Boden stöhnt laut. "Ich kann nicht atmen", presst George Floyd unter dem Gewicht des Polizisten hervor, der sein Knie auf den Hals des Mannes unter ihm drückt. "Bitte, das Knie in meinem Nacken", stöhnt Floyd. "Ich kann nicht atmen!" Mindestens 16 Mal fällt dieser Satz in dem Videomaterial von Überwachungskameras und Passantenhandys, die die Festnahme und dann den gewaltsamen Tod des gefesselt am Boden fixierten Mannes dokumentierten.

16 Mal innerhalb von knapp neun Minuten entscheidet sich Officer Derek Chauvin, 44, dafür, das Flehen des Mannes unter seinem Knie zu ignorieren. "Mama", ruft Floyd. Chauvin stemmt sein Knie weiter auf dessen Hals, auch als Floyd nicht mehr spricht, nicht mehr stöhnt, als Passanten rufen "Check seinen Puls!", als die Sanitäter schon da sind und die Krankentrage ausklappen. Die tödliche Begegnung des Polizisten mit dem Verdächtigen dauert nur wenige Minuten. Wer waren die beiden Männer?

Aus internen Polizeiakten und Medienarchiven geht hervor, dass der Polizist Derek Chauvin in seinen 19 Jahren Laufbahn einmal selbst Schüsse auf einen Verdächtigen abgab, ein anderes Mal an der Erschießung eines Verdächtigen beteiligt war und über die Jahre mindestens 17 Beschwerden im Dienst kassierte. "Mehr als der Durchschnitt", befand Ronal W. Serpas, ehemaliger Polizeichef in New Orleans, Nashville und Washington. Es sei "etwas unüblich", beinahe jährlich ein Beschwerdeverfahren zu haben", sagte Serpas der Washington Post. Selbst wenn es immer nur um Verspätung im Dienst ginge, "das würde mich mit Sicherheit aufmerksam machen".

17 Beschwerden, 16 davon ohne Strafe abgeschlossen

Chauvins Polizeidienststelle lehnt es ab, sich zu den Inhalten der Beschwerden zu äußern. Theoretisch kann es sich dabei tatsächlich um vergleichsweise banales Fehlverhalten wie Verspätung im Dienst handeln, aber auch schwere Vergehen wie maßloses Anwenden von Gewalt. 16 Verfahren gegen Chauvin wurden ohne Strafe abgeschlossen, das 17. führte zu zwei Verwarnungen.

Was über Chauvins Gewaltanwendungen bekannt ist: 2006 war er an der Tötung eines Mannes beteiligt, der im Verdacht stand, Passanten mit einem Messer bedroht zu haben. Die Polizei von Minneapolis teilte der Presse damals mit, der Verdächtige habe den sechs Polizisten gedroht, mit einer Schrotflinte auf sie zu feuern. Daraufhin sollen Chauvin und seine Kollegen geschossen haben. Ein Verfahren gegen sie wurde nicht eröffnet.

2008 wurde der Streifenpolizist zu einem Fall häuslicher Gewalt gerufen. Als der mutmaßlich Gewalttätige sich im Badezimmer einschloss, verschaffte sich Chauvin Zutritt und schoss dem Mann während eines Kampfes zweimal in den Bauch. Schwer verletzt überlebte er. Später gab der Polizist an, der Verdächtige habe versucht, seine Waffe zu greifen. In mehreren Fällen wurde er laut dem Nachrichtensender NBC zeitweilig vom Dienst beurlaubt, bis der jeweilige Fall geklärt war.

Laut Serpas beenden die allermeisten Polizisten ihre Laufbahn, ohne jemals Gebrauch von ihrer Waffe gemacht zu haben. Allerdings muss man aus seiner Sicht berücksichtigen, dass Chauvin als langjähriger Streifenpolizist häufiger in unübersichtliche Situationen geraten sein könnte, als Kollegen, die in andere Abteilungen aufsteigen und dann nicht mehr täglich auf Streife unterwegs sind. Derek Chauvin war verheiratet, seine Frau hat inzwischen die Scheidung eingereicht.

Wie die Wege der beiden sich kreuzten

Die Wege von Opfer und mutmaßlichem Täter kreuzten sich bereits Jahre vor der Tat, allerdings vermutlich, ohne dass beide das wahrnahmen. Sie arbeiteten für den Nachtclub "El Nuevo Rodeo"als Sicherheitsleute, Chauvin allerdings vor dem Club, Floyd im Inneren. Die ehemalige Besitzerin des Clubs äußerte sich erschüttert über den gewaltsamen Tod Floyds und beschrieb den tatverdächtigen Polizisten als immer freundlichen Typen. Er habe 17 Jahre für ihre Bar gearbeitet, Floyd sehr viel kürzer. Die beiden hätten sich aber vermutlich nicht persönlich gekannt.

George Floyd wurde 46 Jahre alt, zweimal Vater und einmal Großvater. Nach Minneapolis war er 2014 von Houston aus umgezogen, nachdem er dort wegen bandenmäßigen, bewaffneten Raubüberfalls fünf Jahre im Gefängnis gesessen hatte, wie der "Guardian" berichtet. Zuvor war er mehrfach zu Gefängnisstrafen unter einem Jahr verurteilt worden.

In Minneapolis hatte Floyd "neu angefangen", wie Weggefährten in der Zeitung "USA Today" beschrieben. Er hatte unter anderem als Wachmann bei der Heilsarmee, als Lastwagenfahrer und Türsteher gearbeitet. Die Schließungen von Restaurants und Bars wegen Covid-19 kosteten ihn seinen aktuellen Job.

Nun soll er in seiner Heimatstadt Houston beerdigt werden, sagte der dortige Bürgermeister. In Houston war Floyd in einem mehrheitlich von Afroamerikanern bewohnten Stadtteil aufgewachsen. Als talentierter Basketballspieler erhielt er ein Stipendium an einer Universität in Florida, hoffte auf eine Profikarriere, brach das Studium jedoch ab, ebenso wie ein zweites in Texas. Ein Großteil seiner Familie lebt immer noch dort. Floyds Bruder Terrence, der in New York lebt, war am Montag nach Minneapolis gekommen und hatte an der Straßenkreuzung, an der jener starb, um Frieden gebeten. "Zerstörung bringt meinen Bruder nicht zurück."

Quelle: ntv.de


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