Das wahrscheinlich berühmteste Tor seiner Karriere ist Uwe Seeler in seiner Autobiographie "Danke, Fußball" gerade einmal drei Sätze wert. "Ich springe dem anfliegenden Ball entgegen. Er landet dort, wo ich relativ wenige Haare habe, auf meinem Hinterkopf. Ich lasse mich leicht ins Kreuz fallen, schiebe den Kopf unter den Ball und schnelle hoch", heißt es auf Seite 219 fast lakonisch.
Dabei haben Millionen deutscher Fußballfans dieses wahrlich außergewöhnliche Tor auch 50 Jahre später nicht vergessen. Der damalige Nationalmannschafts-Kapitän trug an jenem 14. Juni 1970 so entscheidend dazu bei, dass das deutsche Team bei der WM-Endrunde nicht nur Titelverteidiger England ausschaltete, sondern auch ins Halbfinale gegen Italien vordrang, das bis heute als "Jahrhundertspiel" gilt.
Heiß, im wahrsten Sinne des Wortes, ging es auch schon gegen England zu. Anstoß um 12.00 Uhr Ortszeit - für alle Beteiligten eine Qual. "Schon beim Auflaufen hatte ich eine schwere Zunge. Die Luft war zum Zerschneiden dünn, die Temperatur lag bei 55 Grad, Schatten gab es keinen", erinnerte sich später der Hamburger aus dem kühlen Norden.
"Today is our Wembley"
Aber selbst nachdem seine Mannschaft kurz nach der Pause mit 0:2 ins Hintertreffen geriet, glaubte Seeler noch an eine Wende: "Ich rannte und schrie, schrie und rannte." Und die Partie kippte tatsächlich: "Kaiser" Franz Beckenbauer gelang der Anschlusstreffer (68.), Seeler der Ausgleich (76.). In der Verlängerung traf dann WM-Torschützenkönig Gerd Müller (108.).
Die Revanche für das verlorene Wembley-Finale vier Jahre zuvor war gelungen, auch weil sich der entthronte Weltmeister zu früh in Sicherheit wähnte. Coach Sir Alf Ramsey nahm seinen Mittelfeldlenker Bobby Charlton aus dem Spiel, um ihn für die nächste Hitzeschlacht drei Tage später in der Vorschlussrunde zu schonen. Sechs Minuten später ging der Hinterkopf von Seeler in die Fußball-Geschichte ein und die Verlängerung musste entscheiden.
Der geniale Charlton hätte es ahnen können, denn kurz vor dem Anpfiff in Leon erwies sich sein langjähriger Rivale, aber auch Freund, als präziser Prophet. Beim Gang aufs Spielfeld machte Seeler in rudimentärem Englisch klar: "No chance, today is our Wembley." Nur den beispiellosen Einsatz seines Hinterkopfes, den sah das HSV-Idol nicht voraus.
Quelle: ntv.de, Andreas Frank, sid
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