Das hat die Deutsche Börse in ihrer langen Geschichte noch nicht erlebt. Am Tag seiner Bilanzvorlage muss der Dax-Konzern Wirecard mit dem Geschäftsbericht passen, weil ihm die Wirtschaftsprüfer das Testat verweigern – und stellt stattdessen „Strafanzeige gegen unbekannt“. Das Unternehmen sehe sich als mögliches Opfer eines „gigantischen Betrugs“, heißt es nebulös.
Betrogen fühlen sich jetzt vor allem die vielen Wirecard-Aktionäre, denn die zuvor schon arg gebeutelte Aktie erlebte ein Kursdebakel historischen Ausmaßes: Innerhalb weniger Minuten brach der Kurs um mehr als zwei Drittel ein, mit zwischenzeitlich rund 35 Euro kostete die Aktie nur noch so viel wie im Juni 2016.
Verschieben, tricksen, täuschen
Keine Frage, der Wirecard-Vorstand um den schillernden Vorsitzenden Markus Braun hat an diesem „schwarzen Donnerstag“ mit der zum vierten Mal verschobenen Bilanzvorlage den letzten Rest an Vertrauen verspielt: Alles bisher Gesagte scheint damit hinfällig.
Die kapitalmarktinteressierte Öffentlichkeit ist es von Dax-Konzernen gewohnt, dass sie ihre Finanzmarktberichte pünktlich vor Börsenbeginn vorlegen. Vom Dax-Neuling Wirecard kennt man das Gegenteil. Dass der Vorstand nicht in der Lage ist, zeitnah zu informieren, ist ein Unding angesichts all der Vorwürfe. Seit Monaten kommt das Unternehmen selbst nach einer Sonderprüfung seiner Bilanzen nicht zur Ruhe, die Finanzaufsicht Bafin hat sich eingeschaltet und gegen Vorstandschef Braun und seine drei Vorstandskollegen ermittelt die Staatsanwaltschaft München wegen des Verdachts auf Marktmanipulation.
Nun steht der Verdacht im Raum, dass bei Wirecard noch mehr manipuliert wurde. Denn die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY verweigerte das Testat, weil sie über die Existenz von Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Prüfungsnachweise finden konnte. Die Summe entspricht etwa einem Viertel der Konzernbilanzsumme.
Und weiter heißt es, dass von einem Treuhänder oder aus dem Umfeld der Banken, welche die Treuhandkonten führen, „unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken vorgelegt wurden“. Verschieben, tricksen, täuschen: Wirecard, die einst so erfolgreiche deutsche Gründerstory, ist nun zu einem Kriminalfall geworden. Fortsetzung folgt.
FAZ.net
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