Noch ist John Boltons Buch nicht erschienen, aber ein Kapitel wurde im „Wall Street Journal“ bereits abgedruckt, und eine Reihe von Journalisten haben den Rest beschrieben. Was lehrt uns der Bericht des republikanischen Falken, der Präsident Donald Trump 2018 und 2019 siebzehn Monate lang als Nationaler Sicherheitsberater diente?
Dass Trump seine Wiederwahl und das Wohl seiner Familie konstant über Amerikas nationale Interessen stellt.
Dass er sich von autoritären Machthabern um den Finger wickeln lässt und in Verhandlungen nicht lange bei der Sache bleibt.
Dass der Präsident sowieso keine kohärente außenpolitische Strategie verfolgt, sondern sich von einem Tag auf den nächsten widerspricht.
Dass Entscheidungen der amerikanischen Justiz für Trump Teil der Verhandlungsmasse mit „Diktatoren“ sind und dass er die Demokraten als Gegner sehr viel ernster nimmt als Amerikas Widersacher in der Welt.
Dass Trump für die Verfassung der Vereinigten Staaten keinen Respekt hegt und für systematisch verfolgte Muslime kein Mitleid.
Dass Amerikas Oberbefehlshaber in peinlichem Maße ahnungslos ist und von seinem eigenen Außenminister verspottet wird.
Dass es, kurzum, im Westflügel des Weißen Hauses nicht konzentriert und kompetent zugeht, wie man es von der Regierungszentrale einer Weltmacht erwartet, sondern eher „wie in einem Studentenwohnheim“.
Gruselige Unterhaltung
Was also lehrt uns Boltons Buch? Nichts, das wir nicht längst gewusst hätten. Nichts, das nicht auch John Bolton voll und ganz bewusst gewesen sein muss, als sein Buhlen endlich erhört wurde und er im dritten Anlauf doch noch ein hohes Amt in Trumps Kabinett erhielt. Oder hatte jemand gedacht, im Umgang mit gewieften Staatschefs wie Wladimir Putin oder Xi Jinping würde aus dem selbstsüchtigen und erratischen Trump plötzlich ein kontrollierter, kalkulierender Unterhändler?
Es mag auf gruselige Weise unterhaltsam sein, von einem Insider beschrieben zu bekommen, wie verblüfft Trump in einem Telefonat mit der britischen Premierministerin Theresa May reagierte, als er erfuhr, dass Großbritannien Atomwaffen hat; wie sich Trump gemeinsam mit Präsident Xi ausmalte, dass er über das Jahr 2025 hinaus im Amt bleiben könnte und wie er Chinas „Umerziehungslager“ für Uiguren guthieß; wie er sich von Präsident Putin einreden ließ, dass Venezuelas demokratischer Gegenpräsident Juan Guaidó von ähnlichem Kaliber wie Hillary Clinton sei (also sehr böse); wie er sich erkundigte, ob Finnland zu Russland gehöre und wie Pompeo während Trumps Nordkorea-Gipfel mit Kim Jong-un Bolton einen Zettel zusteckte: „Er hat nur Scheiße im Kopf.“
Doch erhellend ist das Buch in anderer Weise. Vermutlich unbeabsichtigt leuchtet Bolton am eigenen Beispiel aus, wie sich amerikanische Politiker mit einer klaren, eigenen und keineswegs mehrheitsfähigen Agenda Trump anbiedern. Sie nehmen dessen Chaos und Verfassungsverachtung billigend in Kauf, um im Schatten des täglichen Sturms ihr eigenes Süppchen zu kochen. Boltons Mission ist seit jeher der Abbruch der multilateralen Ordnung und ein militärisches Vorgehen gegen Staaten wie Iran und Nordkorea. Mit einem klar denkenden Präsidenten wäre das nicht zu machen. Also wollte er in die Trump-Regierung.
Bolton ist ja auch nicht etwa erschüttert zurückgetreten, als er zum ersten Mal miterlebte, wie sich Trump von Xi, Putin oder dem Türken Recep Tayyip Erdogan aufs Glatteis locken ließ. Zum Bruch mit dem Präsidenten ließ er es erst kommen, als dieser im vorigen Sommer eine in Boltons Sicht goldene Gelegenheit verstreichen ließ, Iran anzugreifen.
Maßlose Hetze gegen Barack Obama
Bolton, der zu Trumps Ärger George W. Bushs Irak-Invasion bis heute rechtfertigt und ähnlich in Iran vorgehen möchte, wollte nach dem Abschuss einer amerikanischen Drohne ausdrücklich „unverhältnismäßig“ reagieren, doch Trump machte nicht mit. Nicht etwa die Erkenntnis, dass für Trump „Justizbehinderung ein Lebensstil“ war, bedeutete für Bolton einen „Wendepunkt“, sondern die Unlust des Präsidenten, sich in einen Irankrieg zu stürzen.
Den Trumpismus, den Bolton nun bitterlich beklagt, hat er selbst mit hervorgebracht. Seine jahrelange, laute und maßlose Hetze gegen den damaligen Präsidenten Barack Obama, dessen einzige Mission Amerikas Schwächung in der Welt gewesen sei, widersprach der Substanz nach eigentlich der Überzeugung vieler republikanischer Realisten.
Doch die meisten folgten der Logik des Stammeskriegs: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Nur so konnte das Klima entstehen, in denen ein populistischer Krawallbruder wie Trump an die Spitze des Staates gewählt wurde. Mit dem nationalen Interesse hatte das nie etwas zu tun.
Alle moralische Überlegenheit, die Bolton in dem Buch beansprucht, kann nicht überdecken, dass er aus denselben Gründen seine beste Gelegenheit verstreichen ließ, dem Trump-Spuk ein Ende zu bereiten. Voriges Jahr weigerte er sich, in den Impeachment-Anhörungen des Repräsentantenhauses auszusagen. Jetzt wirft er es den Demokraten vor, dass sie sich in dem Amtsenthebungsverfahren gegen Trump ganz auf die Ukraine kapriziert und nicht auf die vielen anderen Fälle versuchter oder tatsächlicher Justizbehinderung eingingen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Dass Amerika in der Lage steckt, die John Bolton in seinem Enthüllungsbuch anprangert, hat eben sehr viel mit Opportunisten wie John Bolton zu tun.
FAZ.net
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