Für viele Menschen wird das Russlandbild durch eine schwierige politische Situation bestimmt, durch Sanktionen, durch eine Reihe „nicht positiver“ Nachrichten – doch die deutschen Unternehmen würde es auszeichnen, auch in diesem Umfeld „ganz genau auf die Zahlen zu schauen“ und auf den „Businesscase“. Und da sei Russland „ganz offenkundig einer der attraktivsten Orte weltweit für gegenwärtige Investitionen“, so der Vorstandsvorsitzende der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK), Matthias Schepp.
Allen Problemen zum Trotz: Für deutsche Firmen scheint die Sonne in Russland
Corona-Krise und ein Einbruch des russischen Bruttoinlandsprodukts: Deutsche Unternehmer investieren dennoch stark in Russland. Dies geht aus der aktuellen Geschäftsklima-Umfrage der AHK hervor, die am Dienstag präsentiert wurde. Demnach wollen die Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten 1,8 Milliarden Euro in den Ausbau ihres Geschäfts in Russland stecken. An der Umfrage hatten sich 120 Firmen von 900 Mitgliedsunternehmen beteiligt.
„Trotz zahlreicher Probleme wie Sanktionen, Überbürokratisierung, Korruption und lahmender Konjunktur sowie Protektionismus ist Russland eine Art Hidden Champion für deutsche Investitionen“, so Matthias Schepp. Die Sonne würde über den deutschen Firmen scheinen, bemerkte er bei der Präsentation.
„Unsere Firmen verdienen im größten Flächenstaat der Erde nach wie vor gutes Geld, sehen Zukunftschancen und im Vergleich zu anderen Weltregionen eine hohe Stabilität und Berechenbarkeit“, so der AHK-Chef weiter.
Laut Umfrage wollen 30 Prozent der AHK-Mitgliedsunternehmen mehr in Russland investieren. Die Deutsche Bundesbank hatte für das erste Quartal 1,8 Milliarden Euro deutscher Netto-Direktinvestitionen in Russland gemessen. „Es gibt bedeutende deutsche Firmen, die gerade dabei sind, den Bau neuer Werke in Russland auf den Weg zu bringen“, sagt AHK-Chef Schepp.
Mehrheitserwartung sieht Rückgang des BSP wegen Corona um zehn Prozent
Allerdings sind 16 Prozent der Befragten der Ansicht, die russische Wirtschaft könnte wegen der Corona-Krise und der damit einher gehenden ergriffenen Maßnahmen um mehr als zehn Prozent „einstürzen“. Nicht ganz so pessimistisch sehen es 43 Prozent der Befragten, die das Bruttosozialprodukt (BSP) um weniger als zehn Prozent nach unten korrigiert erwarten.
Die Anticorona-Maßnahmen würden einen Schaden in Höhe von etwa 750 Millionen Euro anrichten, schätzten allein die 120 befragten Firmen. Auch die Konjunkturentwicklung in Kombination mit der dem Energiepreis korrelierenden Wechselkursentwicklung angesichts der weltweiten Pandemie treibt den Unternehmern Sorgenfalten auf die Stirn.
Die eigenen Geschäfte allerdings liefen gut, gaben die Firmen mehrheitlich an – ein Viertel schätzte die Geschäftslage des eigenen Unternehmens mit „Gut“, ein Drittel mit „Gut bis Sehr Gut“ ein, 39 Prozent schätzten die Lage als „Befriedigend“ ein, die Unternehmer würden auch weiter an ihrer Belegschaft festhalten wollen.
Forderung nach Gegenmaßnahmen gegen US-Sanktionen
Als Herausforderung betrachten allerdings nur noch „überraschende“ 23 Prozent der Unternehmer die Sanktionen gegen Russland, wohingegen sie noch in den Jahren zuvor als eines der Hauptprobleme angesehen wurden.
Bei AHK-Präsident Rainer Seele macht sich „ein bisschen die Sorge breit, dass wir uns an dieses Sanktionsthema gewöhnen“, es sei nicht sehr viel Bewegung in die Konfliktthemen, die Russland mit Europa hat, gekommen.
Doch angesichts drohender neuer US-amerikanischer Sanktionen gegen die Ostseepipeline Nord Stream 2 sprechen sich 58 Prozent der Firmen für Gegenmaßnahmen und Gegensanktionen durch die Europäischen Union aus, hinzu kommen 39 Prozent, die diplomatische Proteste einfordern – drei Prozent der befragten Unternehmer sprachen sich für eine Unterstützung aus.
Die AHK hat in einem Positionspapier den wirtschaftlichen Nutzen der Pipeline dargelegt. Schätzungen zufolge könnte die Pipeline die Energiepreise in Europa um bis zu 16 Prozent senken.
„Die Pipeline ist ein europäisches Investitionsprojekt, das die Energiesicherheit des Kontinents erhöht“, so Rainer Seele.
„Die europäische Souveränität muss gewahrt werden – auch von Drittländern“, denn das sei „ein hohes Gut, was man in Europa auch ernst nimmt.“ 95 Prozent der deutschen Firmen fordern außerdem eine schrittweise oder sofortige Aufhebung der europäischen Russland-Sanktionen.
Chinesische Gefahr und Deutscher Exportschlager
Die größten Chancen für eine weitere Vertiefung der deutsch-russischen Zusammenarbeit sehen die Umfrageteilnehmer in den Bereichen Maschinen- und Anlagenbau, klassischer Energie wie Öl und Gas sowie Erneuerbarer Energien. Projekte zu Erneuerbaren Energien bekommen hohe Aufmerksamkeit in Russland, Deutschland könne hier mit seiner Expertise zum „Exportschlager werden“, so AHK-Präses Seele.
Eine überwältigende Mehrheit der Befragten schlägt angesichts wachsender chinesischer Konkurrenz Alarm, die seit Einführung der EU- und US-Sanktionen gegen Russland deutlich zugenommen hat.
Deutschlands habe lange Zeit gegenüber Russland als „bevorzugter Partner“ eine auch politisch begründete „Vorzugsstellung“ inne gehabt, die die Basis sei, Wirtschaftsbeziehungen auch immer weiter ausbauen zu können. Insofern sollte die Zunahme der chinesischen Präsenz auf dem russischen Markt ernst genommen werden.
sputniknews
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