Ostdeutsche Beutekunst als Reparation – Neue Daten zu konfiszierten Nazi-Kulturgütern in der UdSSR

  01 Juli 2020    Gelesen: 945
Ostdeutsche Beutekunst als Reparation – Neue Daten zu konfiszierten Nazi-Kulturgütern in der UdSSR

Vier Jahre lang haben Forscher Dokumente aufgespürt, die die Praxis der Verlagerung von Kunst- und Kulturgut aus der Sowjetischen Besatzungszone 1944 -1948 zeigen. Die UdSSR hatte ein weites Kulturverständnis, das auch Zootiere erfasste. Die neue Datenbank möge nun Basis weiterer Erforschung des „Problems der deutschen Beutekunst in Russland“ sein.

Seit der Kriegswende und insbesondere dem Ende des Zweiten Weltkriegs konfiszierte die sowjetische Regierung in Ostdeutschland zahlreiche Kulturgüter, die als Reparationsleistungen deklariert und an verschiedene Museen und andere Institutionen in der Sowjetunion verteilt wurden.

Im Forschungsprojekt eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Programms von 2016 an haben Wissenschaftler aus Deutschland, Russland und der Ukraine zahlreiche neue Dokumente aufgespürt, die detailliert Aufschluss über solche Beschlagnahmen geben: „Kultur als Beute des Zweiten Weltkrieges: Zur Praxis der Verlagerung von deutschen Kunst- und Kulturgütern aus der SBZ 1944-1948".

Kriegsbeute für Nazi-Deutschland, dann Beutekunst für die Sowjetunion
Das Schicksal für Kunst- und Kulturgüter war im Zweiten Weltkrieg von verheerenden Verlusten geprägt: Ein Teil wurde en masse durch Kampfhandlungen vernichtet, ein weiterer als Kriegsbeute von seinen Heimatstandorten abtransportiert und in andere Staaten verlagert. Zuerst hat Nazi-Deutschland teilweise generalstabsmäßig Kunst- und Kulturgüter in der UdSSR und in anderen europäischen Ländern geraubt.

Als die Sowjetarmee dann nach der Kriegswende in deutsche Gebiete östlich von Oder und Elbe kam, soll gewissermaßen ein „entgegengesetzter Prozess“ gestartet worden sein, heißt es zum Projekt „Konfiskationen und Transfer von Kulturgut aus Ostdeutschland in die Sowjetunion“.

Nach der Niederlage Deutschlands sollen so in Ostdeutschland, der damaligen SBZ, hunderttausende Kunst- und Kulturgegenstände deutscher wie nichtdeutscher Herkunft durch sowjetische Trophäen-Einheiten und Besatzungsbehörden in Beschlag genommen und in die Sowjetunion abtransportiert worden sein.

Ausfuhrstrom – Offizieller Abtransport wie Privat-Trophäen
Teilweise wurde versucht, diesen Ausfuhrstrom rechtlich zu begründen: Auf der Regierungsebene nannte man diese Kunst- und Kulturentwendung kompensatorische Restitution für sowjetische Kulturverluste im Krieg, erläutern die Forscher. Aber sehr oft soll dies wohl infolge von subjektiven Entscheidungen der Instanzen der Sowjetischen Militärverwaltung in Deutschland, einzelner Truppenkommandeure und in der SBZ zeitweilig „gastierender“ Vertreter der Moskauer Ministerien und Ämter geschehen sein. Viele Objekte seien so einfach als „private Trophäen“ von Armeeangehörigen nach Hause geschickt worden, heißt es. Nach groben Einschätzungen wären aus den deutschen Gebieten 1944–1949 insgesamt ein bis zwei Millionen Kunst- und Kulturgegenstände - ohne Büchersammlungen – in die Sowjetunion abtransportiert worden.

Kunst- und Kulturgüter: Ein weites Feld – mit Zootieren
Unter dem Begriff „Kunst- und Kulturgüter“ verstand die sowjetische Seite damals übrigens wesentlich mehr als nur Werke der klassischen Malerei. So standen in den von den sowjetischen Experten erstellten Listen allerlei Arten von Kunst- und Kulturgegenständen: Das reichte von Gedenkobjekten, archäologischen Artefakten, historischen und ethnographischen Sammlungen über Gemälde und Bildhauerei, Objekte der angewandten Kunst und aus dem Garten- und Landschaftsbau bis hin zu Musikinstrumenten, alten Manuskripten und seltenen Büchern. Aber auch an Archivalien, Büchersammlungen, Literatur und Musiknoten, wissenschaftlichen Arbeiten, architektonischen Plänen und Karten, sowie naturwissenschaftlichen Sammlungen, Foto- und Filmarchiven, sowie religiösen Kultobjekten herrschte Interesse.

In den Unterlagen findet sich auch eine Liste ausgewählten Tiere und Vögel des Leipziger Zoos aus dem Jahr 1946, die für den Abtransport in den im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kiewer Zoo vorgesehen waren. Zuvor hatte sich SU-Staatschef in spe Nikita Chrustschow persönlich in einen Briefwechsel in der Angelegenheit informiert. Die Datensätze enthalten Telegramme, eine Übersicht der Tierpark-Mitarbeiter, die mit der Verbringung der Zootiere betraut waren, die Verladedokumente  und Übergabeprotokolle von Zoos in der Ukrainischen SSR -  Kiew und Charkow.

Rückgabe an die DDR und Kompensationsgut per Staatsakt
Schon in den 1950-er Jahren nach Kriegsende wurden allerdings rund Dreiviertel des Gesamtvolumens der verlagerten deutschen Kunst- und Kulturgegenstände auf Beschluss der sowjetischen Regierung an die DDR zurückgegeben. Der Rest blieb jedoch in der UdSSR. 1998–2000 wurden diese Kunst- und Kulturgüter per Gesetz zum Eigentum der Russischen Föderation erklärt. Über ihren Gesamtbestand und Aufenthaltsort gäbe es, so die Forscher bis heute keine genauen Angaben, mit Ausnahme einzelner Sammlungen.

Vom Abtransport zum Empfang – Recherche in trinationalen Archiven
Die Forscher stellten Dokumente über die Suche, Entdeckung, Registration, Sammlung und den Abtransport der betroffenen Güter aus den sowjetisch besetzten deutschen Gebieten in die UdSSR zusammen. Die Basis für den Bestand wurde in ukrainischen und deutschen Staatsarchiven, in ihrer großen Mehrheit aber in russischen staatlichen Archiven entdeckt: Etwa dem Staatlichen Archiv der Russischen Föderation, dem Archiv für Literatur- und Kunstgeschichte, dem Militärarchiv, dem Archiv für sozialpolitische Geschichte und dem Dienstarchiv des Kulturministeriums Russlands.

Da sind Zeugnisse der sowjetischen Kunstbehörden und Gutachter für die kompensatorische Restitution von Kunst- und Kulturgütern aus Deutschland und Listen deutscher Äquivalente für den Ausgleich der kulturellen Verluste der UdSSR. Zudem Direktiven, Verfügungen, Anordnungen und Befehle der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) und der höheren Staats- und Parteibehörden der UdSSR zu dieser Frage. Weitreichende Dokumentationen über die Suche, Identifizierung und Auswahl von Kunstwerken, Büchersammlungen und Archivmaterialien in der SBZ und ihren Transport in Sammellager. Dem Schriftverkehr der sowjetischen Kunstbrigaden und Kunstdepots in Berlin und Dresden in der SBZ sowie Sammelberichten über die von ihnen geleistete Arbeit sind extra Bereiche gewidmet. Zudem sollen Materialien zum Abtransport der Güter sowie deren Empfang in den größten sowjetischen Museen, etwa seinerzeit der Eremitage in Leningrad, dem Puschkin-Museum für Bildende Künste und dem Historischen Museum in Moskau enthalten sein.

Die Webseite mit den Quellen sei laut den Forschern nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer wissenschaftlichen Erschließung der Archivalien sowjetischer Herkunft. Fraglich sei allerdings der Zugang zu den wissenschaftlichen Archiven bekannter russischer Museen, welche den wertvollsten Teil der „Beutekunst“ in der Nachkriegszeit erhielten. Insgesamt sollen dort rund 250.000 deutsche Kunstwerke gelagert worden sein. Ihre Arbeit soll Grundlage zu weiterer Erforschung des „Problems der deutschen Beutekunst in Russland“ sein, so die Forscher.

Inventarverzeichnis und Suchmaske
Nach vier Jahren Forschung ist nun in Kooperation des Zentrums für Interdisziplinäre Polenstudien der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt/Oder, mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam eine neue Datenbank entstanden, in der mehr als 1.200 bisher weitgehend unbekannte Archivdokumente bereitgestellt werden. Zudem wurden 80 Schlüsseldokumente ins Deutsche übersetzt. Online verfügbar ist das Inventar der Sammlung, in dem sämtliche Datensätze mit den wichtigsten Metadaten mit einer detailliert gestalteten Suchmaske abgerufen werden können. Vor Ort in der Potsdamer Bibliothek können die sogenannten Digitalisate aller Archivdokumente eingesehen werden.

sputniknews


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