Vorige Woche war die Polizei am Camp Nou. Im Auftrag von Untersuchungsrichterin Alejandra Gil ersuchte sie beim städtischen Renommierklub FC Barcelona um Unterlagen in der Affäre, die als "Barçagate" bekannt geworden ist. Die Ermittlungen basieren auf der Anzeige einer Fangruppe namens "Dignitat Blaugrana": Blau-granatrote Würde.
Um jene Würde machen sich derzeit viele Anhänger des FC Barcelona so ihre Sorgen. Die wohl verlorene Liga, merkwürdige Transfers, angespannte Finanzen und ein angeblich verstimmter Lionel Messi geben Anlass genug. Und dann ist da eben noch "Barçagate" - die seltsamen Vorgänge um ein aus dem Klub beauftragtes Internetunternehmen, das über Fake-Accounts in den sozialen Netzwerken gegen oppositionelle Funktionäre, Klublegenden wie Pep Guardiola und sogar Messi gestänkert haben soll.
Wegen "Barçagate" wurde Vereinschef Josep Maria Bartomeu in den letzten beiden Heimspielen vor Corona von großen Teilen des Publikums durch das Schwenken weißer Taschentücher zum Rücktritt aufgefordert. Wegen "Barçagate" verlor er an Ostern ein Drittel seines Vorstands. "Ich glaube, in diesem Fall hat sich jemand in der Kasse bedient", argwöhnte Emili Rousaud, einer der zurückgetretenen Dissidenten.
320 Seiten starker Bericht der Wirtschaftsprüfer
Während neben den üblichen Scharmützeln etwa mit Ex-Spieler Neymar also auch in dieser Angelegenheit womöglich bald prozessiert wird, konnte der Verein am Montagabend immerhin schon mal neues Material vorweisen. Nach über vier Monaten Untersuchung hatten ihm die externen Wirtschaftsprüfer PwC ihren 320 Seiten starken Bericht zugestellt. Alle nur erdenklichen Informationen, darunter Laptops und Telefone der relevanten Klubmanager, habe man den Kontrolleuren für ihre Arbeit ausgehändigt, betonte Vereinssprecher Josep Vives. Im Ergebnis erblickte er einen triumphalen Freispruch: "Es wurde keine verunglimpfende Kampagne gegen niemanden beauftragt", sagte er. Und: "Es gab keinerlei korrupte Verhaltensweisen".
Mit dem Rückenwind einer Teamleistung wie aus besseren Zeiten am Vorabend in Villarreal (4:1) und der nach viel Frust der letzten Spiele als befreiend empfundenen Kritik Bartomeus an der vermeintlichen Bevorzugung von Real Madrid durch den Videoassistenten ("Seit der Unterbrechung gab es viele Spiele, die ungerecht waren und in denen die Gleichen begünstigt wurden, viele Mannschaften wurden benachteiligt", sagte Bartomeu) erklärte Vives gar den furiosen Gegenangriff. Unterstellungen wie jener von Rousaud werde man mit Verleumdungsklagen begegnen. Auch die Medien sollten ihre "Anschuldigungen und Diffamierungen der letzten Monate" mit Richtigstellungen korrigieren.
Es bleiben Ungereimtheiten um die Verträge mit dem uruguayischen Unternehmer Carlos Ibáñez über das "Online Reputation Management" des Vereins. Warum wurden für einen einzigen Auftrag über drei Jahre acht verschiedene Gesellschaften von Ibáñez beauftragt, darunter offenbar Scheinfirmen? Warum holte der Verein zu keinem Moment andere Angebote ein? Zwar schlussfolgert PwC, dass Barça mit rund einer Million Euro pro Jahr einen durchaus marktüblichen Preis für diese Stimmungsanalysen der sozialen Netzwerke gezahlt habe (auch wenn im Gegenzug nur Leistung im Gegenwert von maximal 620.000 Euro erbracht worden sei). Aber der Verdacht, dass mit der Stückelung in etliche Kleinverträge die bei höheren Summen vorgeschriebene Vorstandskommission umgangen werden sollte, existiert weiter. "Standards der internen Vergabepolitik wurden nicht eingehalten", bemängeln die Prüfer.
Fingierte Accounts, die Bartomeu als Helden darstellen
Vor allem aber bleiben die fingierten Accounts, die Bartomeu als Helden des Barça-Universums darstellten, während sie andere diskreditierten. Sehr belastend ist der Bericht insofern für Bartomeus Spin Doktor Jaume Masferrer, der mit der Abwicklung des Projekts betraut war – und seit Bekanntwerden der zugehörigen Exzesse suspendiert ist.
Bartomeu diente er jahrelang als privater Kommunikationsberater, ab Oktober 2018 dann auf einem eigens für ihn geschaffenen Posten als eine Art Kanzleramtsminister. Die PwC-Rechercheure befinden, dass Masferrer sowohl "Mitwisser" als auch "Beteiligter" war bei den "Eingriffen in die Konversationen in den digitalen Medien und/oder sozialen Netzwerken", also bei der Steuerung der Desinformationskonten mit Namen wie "Alter Ego" oder "Sports Leaks".
Als ob alles nicht schon schlammig genug wäre, wurde Masferrer – womöglich von einem abtrünnigen Ibáñez-Mitarbeiter – erpresst. Das erklärte am Montag jedenfalls Barças Hausjurist Román Gómez Ponti. In den Job zurückkehren werde der PR-Mann zunächst ebenso wenig wie die vor einem Monat von ihren Pflichten entbundenen Compliance-Officerin des Vereins, Noelia Romero. Diese habe bei ihren eigenen Recherchen zu "Barçagate" eine "falsche Prüfung" durchgeführt, hieß es.
Und wenn nun allmählich gar keiner mehr durchblickt, ist das den Beteiligten bestimmt nicht mal Unrecht. Alles andere entscheiden dann sowieso wieder die Gerichte.
spiegel
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