Guyana ist ein winziges Land, nicht einmal 800.000 Menschen leben in der ehemaligen britischen Kolonie im nordöstlichen Atlantik-Zipfel von Südamerika - eingerahmt von Venezuela, Brasilien und Suriname. Großbritannien hatte sich die Kolonie für den Anbau von Zuckerrohr einverleibt. Seit der Unabhängigkeit vor gut 50 Jahren lebt das Land im Wesentlichen von der Landwirtschaft und vom Bergbau - Bauxit, der Rohstoff für die Herstellung von Aluminium wird in Guyana gefördert.
Die große Chance auf Reichtum sieht Guyana aber draußen, auf hoher See. "2015 gab es etwa 200 Kilometer vor der Küste Guyanas einen sehr großen Ölfund. Noch dazu qualitativ sehr hochwertiges Öl", erklärt Lateinamerika-Experte Federico Foders im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".
In Guyana rechnen sie damit, eines Tages 750.000 Barrel Erdöl pro Tag fördern zu können, also jeden Tag ein Barrel pro Einwohner. "Wenn Guyana das schafft, könnte man bis 2030 Erdöl im Wert von 30 bis 35 Milliarden US-Dollar fördern", sagt Federico Foders. Für das kleine Land eine astronomische Summe, derzeit liegt das Bruttoinlandsprodukt bei knapp vier Milliarden US-Dollar.
"Holländische Krankheit"
Unter dem Atlantik schlummert der Ausweg aus der Armut, so denkt man in Guyana. Doch ein Blick in andere Ölnationen zeigt, dass dazu mehr gehört als große Vorkommen. Im westafrikanischen Äquatorialguinea etwa hat das schwarze Gold nur die Herrscherfamilie reicher gemacht. Und auch in Nigeria, dem achtgrößten Erdöl-Exporteur der Welt, profitiert die Bevölkerung nicht. Besonders besorgniserregend ist für Guyana aber der Blick ins Nachbarland Venezuela, das jährlich über 60 Millionen Erdöl fördert und über die nachgewiesen größten Erdöl-Reserven der Welt verfügt: Das sozialistische Land ist nichtsdestotrotz bitterarm, die Inflation gigantisch und politische Unruhen sind seit Jahren an der Tagesordnung.
Dieses Phänomen wird als Ressourcen-Fluch oder "holländische Krankheit" bezeichnet, sagt Federico Foders. "In den Niederlanden gab es in den 1960er-Jahren einen riesigen Fund Erdgas. Der wurde für das Land aber zum Fluch, weil sich die gesamte Wirtschaft darauf gestürzt hat. So wurden andere Wirtschaftszweige stark vernachlässigt. Die holländische Krankheit hat auch viele Länder in Afrika und Südamerika betroffen."
In Guyana kommt noch ein weiteres Problem hinzu. Offenbar ist der Deal, den das Land mit dem US-Ölkonzern Exxon Mobil, der die Vorkommen erschließen soll, abgeschlossen hat, ein ziemlich schlechter. Angeblich sieht der Vertrag vor, dass nur 52 Prozent der Erdöl-Erlöse an Guyana gehen, den Rest behält das Konsortium um Exxon. "Üblich wäre ein Anteil zwischen 65 und 80 Prozent", sagt Foders.
Korruption an der Tagesordnung
Ob die Ölkonzerne die Führung von Guyana tatsächlich über den Tisch gezogen haben, lässt sich nicht nachvollziehen, denn Einzelheiten des Abkommens sind nie veröffentlicht worden. Transparenz ist ein Fremdwort im Land. Deshalb blüht die Korruption, Problem Nummer drei: "In ganz Lateinamerika ist das ein Dauerthema, Guyana ist da keine Ausnahme", sagt Forders. Die Hoffnungen ruhen im neuen Präsidenten Mohamed Irfaan Ali, der die Wahl erst vor Kurzem nach monatelanger Auszählung der Stimmen gewann. Ali will für mehr Transparenz sorgen, die Staatseinnahmen besser verwalten und am langen Ende den Lebensstandard der Bevölkerung verbessern - durch staatliche Öl-Renten wie in arabischen Öl-Nationen zum Beispiel.
Bisher bleibt es aber bei leeren Versprechungen, denn Guyana versinkt derzeit in politischem Chaos, Problem Nummer vier. Zwar hat Ali die Wahl gewonnen, amtierender Präsident ist noch immer sein Vorgänger David Granger. Denn der weigert sich, seine Niederlage anzuerkennen und die Ölmilliarden seinem Nachfolger zu überlassen. "Beide großen Parteien und die Zivilgesellschaft reißen sich um den erwarteten Reichtum", sagt Forders. "Ich habe da leider keine gute Prognose für Guyana, denn wir müssen auch davon ausgehen, dass der Ölverbrauch in der Welt in den nächsten 20 Jahren sinken wird." In Guyana setzt der Ressourcen-Fluch womöglich schon ein, bevor das erste Fass Öl verkauft wurde.
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Quelle: ntv.de
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