Potanins Weg vom Beamten zum Milliardär

  12 Juli 2020    Gelesen: 609
  Potanins Weg vom Beamten zum Milliardär

Als der Eiserne Vorhang fällt, schmeißt Wladimir Potanin seine Beamtenkarriere hin und knöpft dem jungen russischen Staat mit gewieften Tricks Nornickel ab. Heute ist der Oligarch nicht nur der reichste Mann des Landes, sondern auch der größte Umweltsünder.

Nach 30 Jahren Ehe hat Wladimir Potanin genug von seiner ersten Ehefrau Natalia, im wahrsten Sinne des Wortes. Beim gemeinsamen Abendessen, kurz nachdem die Kinder den Tisch verlassen haben, erklärt er ihr: “Wir haben lange miteinander gelebt. Und jetzt habe ich beschlossen, dass ich genug von dir habe. Ich will eine Scheidung, heute." So schildert seine Frau später vor Gericht, was sich im November 2013 zugetragen hat. "Ich dachte, das ist ein Scherz."

Doch dann seien Potanins Leibwächter mit den Scheidungsdokumenten in der Hand an den Tisch gekommen, erzählt Natalia. Ihr Mann habe darauf bestanden, dass sie auf alle Vermögensansprüche verzichtet. Sie weigert sich - und kämpft seitdem vor Gericht für die ihrer Meinung nach gerechte Verteilung der Potanin-Milliarden. Bislang vergeblich.

Sollte sie sich doch noch durchsetzen, käme es vermutlich zur zweitteuersten Scheidung der Geschichte. Denn Wladimir Potanin ist der reichste Mann Russlands. Und wenn es um sein Geld geht, macht er keine Späße. Laut dem "Billionaires Index" von Bloomberg ist er derzeit 26,4 Milliarden Dollar schwer. Weltweit sind demnach nur 39 Menschen reicher als der Oligarch.

"Es stehen tote Bäume in der Region"

Daran ändert auch das Coronavirus nichts. Während andere russische Oligarchen, die auf Öl und Gas setzen, unter dem weltweiten Kollpas der Wirtschaft leiden, kann sich Potanin entspannt zurücklehnen. Sein Bergbaukonzern Norilsk Nickel, kurz Nornickel, ist der größte Nickel- und der größte Palladiumproduzent der Welt. In der Corona-Krise profitiert das Unternehmen davon, dass beispielsweise die südafrikanische Konkurrenz ihre Förderung virusbedingt drosseln musste.

Aber so blendend es finanziell für den Oligarchen läuft, so schlecht ist die Presse, die er derzeit bekommt. Schuld daran ist die Umweltkatastrophe, die Nornickel in der sibirischen Nickelhauptstadt Norilsk verursacht hat. Mehr als 21.000 Tonnen Diesel sind Ende Mai aus einem havarierten Kraftwerkstank in die beiden Flüsse Daldykan und Ambarnaja und von dort in den Süßwassersee Pjassino gelaufen. Umweltschützer sprechen von der schlimmsten Ölkatastrophe in der russischen Arktis in der Geschichte.

Aber das ist womöglich nur noch ein Tropfen auf dem heißen Stein, denn Nornickel soll außerdem jahrelang hochgiftige Abwässer in die Tundra gepumpt haben - mit deutlich sichtbaren Folgen: "Es stehen tote Bäume in der Region, manche sind gelb-orange gefärbt", sagt Dorothea Wehrmann, Expertin für arktische Städte am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE). "Man findet tiefer im Wald größere, übel riechende Tümpel, die darauf schließen lassen, dass das nicht zum ersten Mal in der Art praktiziert wurde."

Potanin tritt in die Fußstapfen seines Vaters

Die Rechnung für die Katastrophe - oder die Katastrophen - soll Potanin aus eigener Tasche bezahlen. Das erwartet der russische Präsident Wladimir Putin, der dem Oligarchen eigentlich als wohl gesonnen gilt. "Es hätte keinen Schaden gegeben, wenn sie den Tank rechtzeitig ausgetauscht hätten", ermahnte er die Unternehmensführung und speziell Potanin in einer öffentlichen und staatsmännisch inszenierten Videokonferenz. Der Milliardär biss an und zeigte Reue: 10 Milliarden Rubel will er locker machen, umgerechnet 127 Millionen Euro, um die Umweltschäden in und um Norilsk zu beseitigen. Peanuts für den Mann, der sich in den 90er Jahren den Bärenanteil an Nornickel sicherte.

Sein Gespür für Macht, Geld und Einfluss kommt nicht von ungefähr. Potanin begann schon früh, Verbindungen in Politik und Wirtschaft zu knüpfen. Sein Vater Oleg, der im sowjetischen Außenhandelsministerium arbeitete und ihn oft mit auf Reisen nahm, war ein guter Lehrer mit den richtigen Kontakten. Kein Wunder also, dass Potanin 1978 einen der begehrten Studienplätze an der Diplomaten-Universität erhielt: Am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen, kurz MGIMO, wurde die sowjetische Elite ausgebildet. Nach seinem Abschluss trat Potanin in die Fußstapfen seines Vaters und startete seine Karriere als Bürokrat im sowjetischen Außenhandelsministerium.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verließ Potanin seinen staatlichen Posten und nutzte sein Wissen über Marktwirtschaft und Kapitalismus für die persönliche Vermögensplanung. Anfang der 90er Jahre gründete er die Bank Oneksimbank und die Holdinggesellschaft Interros, mit der er noch heute Unternehmen wie Nornickel kontrolliert. Zu der Zeit brauchte der junge russische Staat dringend Geld, das der Moskauer Unternehmer mit seiner Bank liefern konnte. Mit dem sogenannten "Aktien-für-Kredite-Programm" griff er Russland finanziell unter die Arme und sicherte sich im Gegenzug 38 Prozent der Anteile am früheren Metallkombinat Norilsk Nickel.

Die dreckigste Stadt Russlands in seiner Hand

Potanin schaffte den Sprung vom Beamten zum Milliardär in nur wenigen Jahren, und sein wachsender Reichtum verschaffte dem heute 59-Jährigen auch politischen Einfluss. Ende der 90er Jahre war er unter dem damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin für zwei Jahre Vize-Ministerpräsident der russischen Regierung und als solcher zuständig für finanzwirtschaftliche Fragen.

Mit der Sauberkeit nahm es der Moskauer Oligarch allerdings nie so genau. Seit er Nornickel kontrolliert, wird das Unternehmen von Vorwürfen der Umweltverschmutzung begleitet. Tatsächlich pustet der Nickelgigant so viele Abgase in die Luft, dass er als größter Einzel-Luftverschmutzer der Erde und Norilsk als schmutzigste Stadt Russlands gilt. Da überrascht es nicht, dass die russische Umweltaufsicht die 127 Millionen Euro, die Potanin in den Raum geworfen hat, bei weitem nicht für ausreichend hält, um alle Schäden in der Region zu beseitigen. Sie erwartet stattdessen eine "freiwillige Kompensationszahlung" von umgerechnet rund 1,8 Milliarden Euro - das vierzehnfache der Oligarchen-Schätzung.

Immer noch Peanuts für ein Unternehmen, das vergangenes Jahr fast 6 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat, aber dennoch eine ganz andere Hausnummer. Zu erkennen auch daran, dass Potanin plötzlich nicht mehr bereit war, "alles zu tun, was nötig ist", um in der Region aufzuräumen: Nornickel hat angekündigt, gerichtlich gegen die Höhe der Strafzahlung vorgehen zu wollen.

Ob Wladimir Potanin und Nornickel diese Summe wirklich zahlen müssen, darf angesichts der nicht immer unabhängigen russischen Gerichtsbarkeit mindestens bezweifelt werden. Auch deshalb, weil der Multimilliardär die gesamte Region in und um Norilsk unter seine Kontrolle gebracht haben soll. Bisweilen ist von einem "selbständigen Staat mit eigenen Gesetzen" die Rede. Ob es stimmt, lässt sich schwer abschätzen, sagt Arktis-Expertin Dorothea Wehrmann. "Aber dadurch, dass vor allem ehemalige Manager in der Stadtverwaltung von Norilsk arbeiten, ist der Einfluss natürlich sehr groß." An sich sei es auch erstaunlich, dass es überhaupt gelungen ist, die Umweltverschmutzung so lange zu vertuschen. Für uns vielleicht, aber nicht für einen Mann, von dem selbst seine Exfrau nach 30 Jahren Ehe sagt: "Er ging alle Fragen rational an."

Quelle: ntv.de


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