"Zu den Aufgaben unserer Bundesbehörde gehört das Erstellen von wirtschaftlichen Langzeitprognosen, die Prüfung von Unternehmen für staatliche Finanzhilfen, sowie die Evaluation und Durchführung von Umstrukturierungsmaßnahmen einzelner Betriebe", stand auf der Webseite eines gewissen "Bundesamts für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe". Das klang nach normalem Polit-Sprech. Außerdem hieß es, "aktuell" liefen in mehreren deutschen Unternehmen Befragungen. "Wir wollen gemeinsam mit Ihnen an Strategien für eine nachhaltige Bewältigung der Coronakrise arbeiten."
Sogar Ansprechpartner aus bestimmten "Abteilungen" wurden genannt, jeweils mit Foto und funktionierender Mailadresse. Etwa ein Heiner Stahl von der "Prozessoptimierung" und eine Maria Ermisch, Team "Ökologie und Soziales". Für ganz harte Fälle stünde eine Frieda Still zur Verfügung. Sie wurde als Mitarbeiterin einer "Abteilung Konkurs" aufgeführt.
Garniert war der Internetauftritt mit dem Konterfei von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier von der CDU. Ansonsten gab es für den Politikbetrieb typische Formulierungen, keine Rechtschreib- und Grammatikfehler. Unter "Impressum" von https://bakwh.de war Altmaiers Ressort mit korrekter Adresse aufgeführt. Allein, wer unter der angegebenen Telefonnummer anrief, bekam zu hören: "Diese Rufnummer ist leider noch nicht fertig eingerichtet."
Die Fragen machen stutzig
Das wundert auch nicht. Denn ein "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" existiert nicht, es ist eine Erfindung. Hinter der gefälschten Webseite steckten nach Informationen von ntv.de sehr wahrscheinlich Umweltaktivisten, die mindestens einen großen Energiekonzern, nämlich RWE, reinlegen wollten. Auch die "Welt am Sonntag" berichtet über diesen Hintergrund. Radikale Klimaschützer zählen das Unternehmen zu den Erzfeinden. Tatsächlich gelang es einer Frau, Vorstandschef Rolf Martin Schmitz zu einem Telefonat zu bewegen. Ihre Fragen machten ihn jedoch stutzig, so dass der Schwindel rasch aufflog.
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Die Frau, die sich "de Vries" nannte, zog - nicht unbedingt erwartbar von einer Beamtin eines CDU-geführten Schlüsselministeriums - die Sinnhaftigkeit von Wirtschaftswachstum in Zweifel. Sie wollte wissen, ob eine politische Steuerung von oder sogar eine staatliche Beteiligung an RWE sinnvoll wäre. Die Frau hätte zudem gerne eine Debatte über die Entsendung eines Vertreters des Umweltministeriums in den Aufsichtsrat geführt, wie Schmitz der "Welt am Sonntag" sagte. Demnach warf sie auch die generelle Frage auf, ob RWE nicht grundsätzlich seine Geschäftspolitik im Zuge der Corona-Misere ändern müsse.
Warum sollte sich der Staat, der Hunderte Milliarden Euro zusätzlich an Krediten aufnehmen muss, um das Corona-Debakel zu bewältigen, an einem Unternehmen beteiligen, dass gut durch die Krise gekommen ist? Das kam dem Vorstandschef und seinen Beratern seltsam vor. Schmitz informierte Altmaiers Leute und drehte anschließend den Spieß um, indem er "Frau de Vries" anrief, die tadelloses Deutsch mit niederländischem Akzent gesprochen haben soll. Nach kurzem Innehalten sei sie aus der Deckung gegangen und habe erklärt: "Wissen Sie, wir müssen in neun Jahren aus der Kohle raus sein, und dafür sind solche Methoden für uns notwendig", zitierte die Zeitung den Konzernchef. Da das ganze Vorgehen professionell gewirkt habe, "scheint kriminelle Energie dahinter zu stecken".
Webseite noch tagelang abrufbar
RWE informierte nicht nur das Wirtschaftsministerium, sondern auch alle übrigen 29 Dax-Unternehmen. Das Ministerium machte schließlich die Fälschung "auf Anfrage" der Deutschen Presse-Agentur öffentlich. Diese meldete am Samstag: "Die Bundesregierung warnt Unternehmen vor Betrügern, die sich als Vertreter eines imaginären 'Bundesamts für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe' ausgeben." Der Tipp sei von einem Unternehmen gekommen. In der Sache werde bereits ermittelt. Eine Sprecherin des Ministeriums verwies laut dpa zudem auf eine Warnung vor betrügerischen E-Mails mit Bezug zu Corona-Zuschüssen für Unternehmen.
Die Formulierung ließ eine betrügerische Absicht der Urheber der Webseite des erfundenen Bundesamtes erahnen. Allerdings blieb unklar, wie der Betrugsverdacht im strafrechtlichen Sinne begründet wird. Von finanziellem Schaden wurde nichts bekannt. Die Aktivisten hinter der Guerilla-Aktion versuchten offenbar nicht, mit der Umfrage zu "Strategien für eine nachhaltige Bewältigung der Coronakrise" die angefragten Unternehmen abzuzocken, so dass der Straftatbestand des Betrugs erfüllt worden wäre.
Auf Nachfrage, wie die mutmaßliche Abzocke genau funktioniert haben könnte, teilte eine Ministeriumssprecherin mit: "Wir sind in der letzten Woche von einem Unternehmen auf den Sachverhalt aufmerksam gemacht worden und gehen dem nach." Auf der eigenen Webseite sei ein Warnhinweis aufgenommen worden. "Darüber hinaus kann ich Ihnen zu diesem Sachverhalt nichts mitteilen", sagte die Sprecherin.
Erstaunlich ist, dass die Webseite noch tagelang abrufbar war, obwohl die Bundesregierung nach Angaben der Sprecherin von der Fälschung seit "letzter Woche" wusste. Seit Samstagnachmittag ist der Internetauftritt allerdings vom Netz, unmittelbar nach der dpa-Meldung und der Anfrage von ntv.de.
ntv
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