Gestatten, Tönnies' mächtigster Gegner

  19 Juli 2020    Gelesen: 689
Gestatten, Tönnies

Wenn es um den Skandal-Schlachter Tönnies geht, packt NRW-Gesundheitsminister Laumann die Wut. Er hat sich die Fleischindustrie vorgeknöpft - und das könnte für die Unternehmen unbequem werden. Ein Porträt eines Politiker-Typus, der immer seltener wird.

Der Minister hat einfach keinen Bock. "Ich hab keinen Bock, dass ich Herrn Tönnies oder den Subunternehmen irgendwas überweise", poltert Karl-Josef Laumann. Der Fleischkonzern hatte angedeutet, eine Erstattung von Lohnkosten vom Land zu fordern - wegen des Lockdowns. Der NRW-Gesundheitsminister ist stinksauer und kündigt an, "dass alles so geprüft wird, dass möglichst kein Geld fließt. Da können Sie Gift drauf nehmen." So redet NRW-Gesundheitsminister Laumann nicht hinter vorgehaltener Hand, sondern vor laufender Kamera. Und er gibt sich gar nicht erst die Mühe, dabei seinen münsterländischen Dialekt zu vertuschen. Laumann hat den Fleischkonzern auf dem Kieker. Und das könnte für Tönnies noch richtig ungemütlich werden. Warum, das zeigt ein Blick in den Werdegang des Ministers.

Aufgewachsen ist Laumann in Birgte, einer Ortschaft im Münsterland, in der es etwas mehr als ein Dutzend Gebäude gibt - inklusive Scheunen. Als er zur Welt kommt, ist diese Gegend eine Welt, wie man sie sich heute kaum noch vorstellen kann - erzkonservativ und streng katholisch. In dem Landkreis liegt die Zentrumspartei damals bei 20 Prozent. Es existieren noch eigenartige Bräuche; etwa, dass eine Braut eine "befleckte" Hochzeit nur mit Strohkranz und braunem Kleid feiern darf - statt in weiß und mit Krone. Und über die "Metropole" der Region, die heute lebendige Studentenstadt Münster, schreibt 1958 ein Jura-Student im Semesterspiegel: "Das auffallendste Kennzeichen dieser Stadt ist, dass rein gar nichts los ist. Ein Nirwana auf Erden. Ade, Lebensfreunde." Der Beitrag genießt heute in Münster einen gewissen Kult-Status. Das Münsterland in den 50er- und 60er-Jahren war eine andere Welt.

Laumann gehörte nicht zu der Elite, die es sich erlauben konnte, aus dieser Welt auszubrechen: Hauptschulabschluss, Lehre zum Maschinenschlosser in einer Firma für Landmaschinen, 1974 Eintritt in die CDU. Als er 1990 zum ersten Mal für die Partei in den Bonner Bundestag einzieht, lassen sich die Arbeiter in seiner Fraktion an zwei Händen abzählen. Auf 17 Jahre Werkbank folgen 15 Jahre Abgeordnetensitz. Als er 2005 die Fraktion für seinen ersten Ministerposten verlässt, haben außer ihm noch zwei andere Parlamentarier bei der Union einen Arbeiterhintergrund. Auch deshalb nennen sie ihn in der Partei manchmal den "Blaumann der CDU". Berührungsängste mit "einfachen Leuten" sind ihm fremd. Bei Terminen im Münsterland kommt er rein, klopft auf den Tisch und legt los. Der Mann bewegt sich in Gummistiefeln auf einem Acker sicherer als im Anzug auf den Teppichen der feinen Berliner Polit-Gesellschaft. Vielleicht mögen ihn viele im Münsterland deswegen lieber als den ehrgeizigen Jens Spahn, der aus dem benachbarten Landkreis kommt.

"Ein junger Säufer, der nichts geleistet hat"

Für seine Partei ist Laumann aber nicht nur wegen seines bodenständigen Werdegangs wie eine personifizierte Erinnerung daran, dass eigentlich die CDU einmal die Partei der "kleinen Leute" war. Er ist es vor allem wegen seiner inhaltlichen Arbeit. Kurz nach seinem Eintritt in die Partei engagierte sich Laumann auch für die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), die sich als "soziales Gewissen" der Partei versteht. Es ist so etwas wie der "linke Parteiflügel", der seit seiner Gründung nach dem Krieg viel an Bedeutung verloren hat. Das änderte sich, als Laumann 2005 CDA-Vorsitzender wurde und gleichzeitig in Düsseldorf Arbeits- und Sozialminister unter Ministerpräsident Jürgen Rüttgers.

Nachdem die CDU auf ihrem Parteitag 2003 in Leipzig einen radikalen Systemwechsel in der Sozialpolitik vollzog und sich einen neoliberalen Anstrich verpasste, gab es ausgerechnet aus der schwarz-gelben Landesregierung bemerkenswerte Vorstöße. Rüttgers und sein Arbeitsminister Laumann starteten plötzlich sozialpolitische Projekte, wollten Teile des Hartz-Systems korrigieren, dass die SPD kurz zuvor eingeführt hatte. Rüttgers bezeichnete den Parteitag in Leipzig als "Lebenslüge" der Partei. Laumann wollte erreichen, dass es für ältere Menschen mehr und länger Arbeitslosengeld gibt. Seine Argumentation von damals zeigt, dass der bollerige Westfale seine Rhetorik nicht groß verändert hat. "Das Prinzip, dass jemand, der lange Beitrag gezahlt hat, auch längere Zeit das Arbeitslosengeld I bezieht als ein junger Säufer, der nichts geleistet hat, ist richtig und sozial", sagte er damals. Laumann kämpfte für die Opel-Belegschaft in Bochum. Rüttgers forderte eine Rückbesinnung auf die Soziale Marktwirtschaft. Die beiden trieben die CDU in eine völlig andere Richtung als in Leipzig beschlossen.

Im Rest der CDU wurde das Treiben des erstaunlichen Gespanns in Düsseldorf nicht nur mit Wohlwollen beobachtet. Im Gegenteil: Es gab starke Widerstände gegen die Abweichler aus NRW. Aber Karl-Josef Laumann hatte sein wirkliches Großprojekt erst noch vor sich.

Vor dem Parteitag 2011 begannen er und seine CDA mit der Arbeit. Wochenlang tingelte er durch die Kreisverbände und versuchte die Partei für ein Projekt zu begeistern, das nicht wenige damals noch als "Sozen-Spinnerei" bezeichnet hätten - den Mindestlohn. Seine Beliebtheit bei den Gewerkschaften wuchs parallel mit dem Entsetzen bei der Wirtschaft und den mächtigen Arbeitgeberverbänden. Noch während des Parteitages warnte Wirtschaftspolitiker Josef Schlarmann: "40 Prozent plus sind Geschichte!" Doch Laumann hatte die Delegierten bereits überzeugt. Ausgerechnet in Leipzig, wo seine Partei acht Jahre zuvor neoliberaler werden wollte, beschloss sie die Einführung eines - damals noch in der Höhe verhandelbaren - Mindestlohns. Dass sich seine Partei in diese Richtung bewegt hat, ist vor allem sein Verdienst. Die "Zeit" verlieh ihm damals den Titel "Mindestlohn-Flüsterer".

Danach war erstmal Schluss mit Exekutive. Schwarz-Gelb wurde in NRW 2010 abgewählt. Laumann setzte sich knapp gegen Armin Laschet im Rennen um den Fraktionsvorsitz im Landtag durch und blieb dort bis 2013. Danach holte ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel als Pflegebeauftragten der Bundesregierung nach Berlin. Maschinenschlosser Laumann wurde als erster Spitzenbeamter in der Geschichte der Bundesrepublik nur mit einem Hauptschulabschluss zum Staatssekretär vereidigt. "Weil ich immer besonders die Leute gemocht habe, die es nicht so einfach hatten", begründete er damals seinen Wechsel auf den wenig öffentlichkeitswirksamen Posten.

"Dieses System ist schlecht"

Als Laschet 2017 NRW-Ministerpräsident wurde, lag es nahe, dass er Laumann zurückholen würde, auch wenn die beiden nach dem Ende von Schwarz-Gelb in NRW eine kurze Rivalität um den Fraktionsvorsitz hatten. Typen wie er sind Gold wert für eine Volkspartei, das weiß Laschet. Und Laumann scheint sich bereits das nächste sozialpolitische Großprojekt gesucht zu haben: die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zu ändern. Die Corona-Krise gibt ihm dabei zusätzlichen Rückenwind.

Vorgeknöpft hat sich der NRW-Minister das undurchsichtige Geflecht aus Leiharbeit und Subunternehmen in der Branche schon vor der Pandemie. Im Hinblick auf Unternehmen wie Tönnies sagte er vergangenen Sommer, dort dürfe "Würde, Recht und Gesetz nicht mit Füßen getreten werden" und kündigte neuartige Kontrollen an. Seine Aktion "Faire Arbeit in der Fleischindustrie" deckte massenhaft Verstöße auf - Sicherheitsmängel, unwürdige Unterkünfte, unberechtigte Lohnabzüge.

Kritik aus den Reihen von Sozialdemokraten und Grünen prallt in dem Zusammenhang an ihm ab. Laumann zieht sozialpolitische Projekte seit Jahrzehnten durch und hat ausgerechnet als CDU-Politiker die Hartz-Reformen der SPD sozialverträglicher gemacht. Ende Juni sagte er während einer Landtagsdebatte in Düsseldorf: "Klar ist: Dieses System ist schlecht, dieses System hat mit einer humanen Arbeitswelt nichts zu tun, ein normaler Arbeitgeber kann dieses System nicht rechtfertigen." Als es daraufhin höhnische Zwischenrufe von SPD und Grünen gab, ließ er sie schnell verstummen, indem er sagte: "Rot-grüne Regierungen haben das doch bisher genauso toleriert wie bürgerliche."

Dann fuhr er mit seiner Rede fort. Tönnies und Westfleisch hätten ihm noch vor wenigen Wochen versichert, dass ihre Betriebe ohne die umstrittenen Werkverträge zusammenbrechen würden. Dann plötzlich hätten sie eingeräumt, es ginge auch ohne Leiharbeit. "Also verarschen kann ich mich selber", spricht Laumann wieder von der Seele. Für die Fleisch-Giganten wird das noch unangenehm. Angesichts seines Werdegangs und der Ausdauer, mit der er politische Projekte durchgedrückt hat, ist davon auszugehen, dass er so schnell nicht locker lässt.

Quelle: ntv.de


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