Konkret geht es um die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), die nach Gewalterlebnissen, Missbrauch und Folter entstehen kann. Sie sei, so steht es im Gesetzentwurf, schwer diagnostizier- und überprüfbar und werde daher "sehr häufig" als Abschiebungshindernis geltend gemacht. Und selbst wenn die Diagnose PTBS von den Behörden akzeptiert wird, ist eine Abschiebung künftig möglich. Denn von nun an zählen als Abschiebehindernis "nur lebensbedrohliche und schwerwiegende Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden", heißt es im Gesetzentwurf. Gemeint sind zum Beispiel Krebs oder Diabetes - Erkrankungen, die ohne Behandlung zum Tod führen.
Doch auch Krieg, Folter oder Vergewaltigungen können in Menschen schwere Schäden anrichten. Nicht nur am Körper, auch in der Seele. Diese Schäden aber bleiben oft lange Zeit verborgen, es gibt keine einfache Medizin dagegen. Die Wunden sind nicht sofort sichtbar wie ein gebrochener Arm oder ein Hautausschlag. Aber sie sind da - und sie sind für die betroffenen Menschen nicht weniger schmerzhaft.
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Wissenschaftler schätzen, dass etwa 20 bis 50 Prozent aller Menschen, die Krieg, Folter oder Gewalt erlebt haben, unter einer solchen Belastungsstörung leiden. Genaue Zahlen kennt niemand. Nicht, weil eine Diagnose nicht möglich wäre, wie die Regierung behauptet. Sondern weil viele Betroffene nicht untersucht werden. Zwar gibt es kein Blutbild oder eine Laboranalyse, die psychische Erkrankungen auf die Schnelle nachweisen kann. Und doch untersuchen Ärzte und Psychotherapeuten ihre Patienten nach klaren Kriterien. Es ist daher grundfalsch, Ärzte und Flüchtlinge unter Generalverdacht zu stellen.
Die Regierung wirft Ärzten vor, Flüchtlingen "auf Vorrat" Atteste auszustellen, die dann just aus der Tasche gezogen werden, wenn die Abschiebung kurz bevor steht. Deshalb sollen Geflüchtete in Zukunft unverzüglich eine umfassende ärztliche Bescheinigung vorlegen, die eine Erkrankung bestätigt. Doch wie soll eine solche Diagnose gelingen, wenn die Unschuldsvermutung nicht mehr gilt und eine Untersuchung unter Zeitdruck geschehen muss?
Wollte man Simulanten von echten Patienten unterscheiden, so müsste man Traumaopfern Zeit geben, sich vor einem Arzt oder Beamten zu öffnen. Gerade Folter- und Vergewaltigungsopfer schämen sich und haben große Schwierigkeiten, über ihre Erlebnisse zu sprechen.
Keine bundesweiten Zahlen
Der Generalverdacht der Regierung basiert zudem auf einem Bauchgefühl. Denn es ist bislang unklar, wie viele Menschen sich wegen Gesundheitsproblemen überhaupt gegen eine Abschiebung wehren - oder wie viele Beschwerden vortäuschen. Auch dazu gibt es keine bundesweiten Zahlen, das Ausländerzentralregister erfasst Duldungen aus medizinischen Gründen erst seit November 2015. Erste Daten liegen bislang nicht vor.
Das bayerische Innenministerium gibt an, dass im vergangenen Jahr gerade mal in 180 Fällen die Abschiebung aus Bayern wegen Reiseunfähigkeit storniert werden musste. Zum Vergleich: Im selben Jahr haben die Behörden in Bayern 4000 Menschen abgeschoben, mehr als 13000 Menschen sind freiwillig ausgereist. Andere Bundesländer wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen erfassen medizinische Gründe als Abschiebehindernis nicht. Auch das Bundesinnenministerium nennt keine Zahlen, sondern verweist auf "Erfahrungswerte von Praktikern aus den Bundesländern."
Doch die Erfahrung vieler Praktiker, also von Ärzten und Therapeuten, ist eine ganz andere: Wer Patienten nicht genau zuhört, riskiert, dass schutzbedürftige Menschen, Opfer von sexueller Gewalt und Folter in genau das Land abgeschoben werden, in dem sie ihr Leid erfahren haben.
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