Gazastreifen: Türkei löst Ägyptens wirtschaftliche Monopolstellung ab

  27 Februar 2016    Gelesen: 787
Gazastreifen: Türkei löst Ägyptens wirtschaftliche Monopolstellung ab
Zwischen 2007 und 2014 besaßen ägyptische Güter eine Monopolstellung im quasi eingeschlossenen Gazastreifen. Das hat sich nun geändert: Die türkische Wirtschaft hat Ägyptens Stellung auf den Märkten des Palästinensergebiets ersetzt. Ankara verdient damit nicht nur Geld, sondern stärkt auch seine Position als Schutzmacht der „unterdrückten Muslime“.
Türkische Waren auf den Märkten Gazas sind nicht auf einige wenige Basisgüter limitiert. Sie umfassen alle möglichen Sorten von Kleidung, Haushaltsgeräten, bis zu Möbeln und viele weitere Güter. Auch wenn türkische Produkte im Vergleich zu der ägyptischen Konkurrenz, die in der Regel über die zahlreichen mittlerweile größtenteils zerstörten Tunnelsysteme geschmuggelt wurden, teurer sind, bleiben sie für die palästinensische Mittelschicht erschwinglich. Der entscheidende Vorteil ist, dass die türkischen Produkte von weit besserer Qualität sind, die die Palästinenser offenbar schätzen.

Spätestens 2014 änderte sich die Versorgungslage für die Bevölkerung des Gaza, der von Israel im Norden und Osten sowie Ägypten im Süden und dem Mittelmeer im Westen umrahmt wird, dramatisch. Zu dieser Zeit übernahm der mutmaßlich von Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten an die Macht geputschte General Abdel Fattah el-Sisi das Büro des Präsidenten Ägyptens. Kurze Zeit darauf startete die ägyptische Armee Angriffe gegen logistische Ströme zwischen Ägypten und dem Gazastreifen, die über die Grenzstadt Rafah organisiert wurde. Dabei wurden insbesondere die Tunnelsysteme, die als unterirdische Versorgungslinien gen Gaza dienten, gezielt zerstört.

Dem ägyptischen Export in das Palästinensergebiet wurde damit nicht nur ein symbolisches Ende bereitet. Faktisch verlor Kairo auch einen von ausländischen Importen abhängigen, durchaus lukrativen Exportmarkt.

In der Zwischenzeit berichteten palästinensische Medien, dass türkische Ausfuhren von 3,500 Tonnen Zement den Gazastreifen erreichten. Diese wurden über den israelischen Hafen von Aschdod und den Landweg mit Lastwagen in den Gaza eingeführt. Diese Lieferung sollte nicht zuletzt zum Wiederaufbau des von der palästinensischen Muslimbruderschaft, auch Hamas genannt, beherrschten Gebiets beitragen. Von Juli bis August 2014 führte die israelische Armee einen Krieg gegen die Hamas. Schließlich sollte es neben zahlreichen zivilen Opfern, auch zu massiven Zerstörungen an der Infrastruktur des Gazasteifens kommen.

Nabil Abu Muaileq, der stellvertretende Vorsitzende der Palästinensischen Bauunternehmer-Vereinigung, sagte in einer Stellungnahme am 11. Januar, „diese Ausfuhren werden Gegenstand einer sorgfältigen Inspektion gemäß der UN und gemäß entsprechender Standards weiter verkauft. Die türkischen Zementlieferungen stehen nicht im Zusammenhang mit politischen Angelegenheiten, es ist vielmehr eine politische Kooperation zwischen Palästinensern und Türken“.

Der PR-Manager der Handels- und Industrie-Kammer des Gaza, Mahir Tabbaa, erklärte im Interview mit dem Fachmagazin „Al-Monitor“, dass die Märkte des Palästinensergebiets mit türkischen Gütern und Waren übersät seien, da offizielle Importeure ihre Beziehungen zu Exportunternehmen in der Türkei wiederhergestellt haben. Er schloss aus, dass die türkischen Importe lediglich politischen Charakter hätten.

Tabbaa glaubt, dass der Hauptgrund hinter den neuen Wirtschaftsverbindungen zur Türkei auf den Märkten des Gazas Konsumentenwünsche nach mehr Qualität für Basisprodukte sei. Er fügte mit Blick auf die höhere Qualität von türkischen Wirtschaftsgütern hinzu:

„Die Produkte, die durch Tunnel kamen, gingen nicht durch Qualitätskontrollen und wurden an die Verbraucher weitergegeben. In der Zwischenzeit aber werden türkische Güter Qualitätskontrollen unterzogen, seitdem diese offiziell durch Grenzübergänge kommen.“

Auch wenn Abu Muaileq und Tabbaa eine politische Komponente hinter dem türkischen Wirtschaftsinteresse im Gaza verneinen, ist eine politische Dimension nur schwerlich von der Hand zu weisen. In den vergangenen Monaten heizten Verhandlungen über ein Wiederannäherungsabkommen zwischen Ankara und Tel Aviv die bilateralen Beziehungen an. Dabei forderte die Türkei als Vorbedingung für die Normalisierung der Beziehungen nicht zuletzt die Lockerung der Gaza-Blockade durch israelische Behörden. Die diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten sind im Zuge des Mavi Marmara-Zwischenfalls, bei dem versucht wurde die israelische Blockade zur See zu durchbrechen, seit 2010 angespannt. Die israelische Marine griff das Schiff an. 10 türkische Staatsbürger wurden getötet und weitere 50 verletzt.

Am 26. Dezember 2015 sagte der türkische Handelsminister Bülent Tüfekci in einer Presse-Stellungnahme:

„Die Gespräche mit Israel ergaben, dass türkische Güter in den Gaza-Streifen ohne Hindernisse eingeführt werden können. Jegliche humanitäre Hilfe wird den Gaza-Streifen über türkische Institutionen erreichen, bis die Blockade über den Gaza aufgehoben ist.“

Tüfekci informierte darüber nicht, welche türkische Institutionen den Prozess oder Hilfsgüter den Gaza erreichen werden, um die Wirtschaftsblockade abzumildern.

Auch Eurasia News sieht hinter dem wachsenden türkischen Interesse am Gaza eine nicht zu gering einzuschätzende politische Dimension. Die AKP-geführte Regierung in Ankara, eine der Muslimbruderschaft nahe stehende Partei, nähert sich seit Jahren aus ideologischen Gründen der Hamas an, die den Gaza kontrolliert. Auf diese Weise versucht die Türkei aber auch neue Konfrontationen zwischen der Hamas und Israel über diplomatische Anstrengung und „wirtschaftliche Wohlstandförderung“ vorzubeugen.

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