Der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) fällt die Ehre zu, die tropischen Wirbelstürme zu taufen, die alljährlich über den Atlantik ziehen. Lange vor Beginn der Hurrikansaison jeweils am 1. Juni erstellt ein WMO-Komitee Listen mit genau 21 Namen für die zu erwartenden Stürme. "Isaias" wütete gerade die Ostküste Nordamerikas hinauf, seine Nachfahren werden "Josephine", "Kyle", "Laura" und "Marco" heißen.
In diesem Jahr allerdings kündigt sich ein Problem an: Meteorologen der Colorado State University (CSU) glauben, dass die eigentlich mit einer Sicherheitsmarge ausgestattete Namensliste der WMO zu knapp kalkuliert sein könnte. Die Experten sagen bis Ende November insgesamt 24 tropische Wirbelstürme voraus - doppelt so viele wie gewöhnlich.
Noch mehr, nämlich 28, gab es nur einmal: im Katastrophenjahr 2005, als "Katrina" die Stadt New Orleans und den Süden der USA verheerte, über 1800 Menschenleben forderte und Sachschäden von mehr als 100 Milliarden Dollar anrichtete.
Zehn Hurrikane kommen noch
Nach "Isaias", so prophezeien nun die Forscher aus Colorado, werden noch zehn Hurrikane folgen, fünf davon könnten die besonders zerstörerischen Kategorien von 3, 4 oder gar 5 erreichen. Bei dem Letztgenannten fegt ein verwüstender Wind mit einer Geschwindigkeit jenseits von 252 km/h umher.
Die jetzt ebenfalls veröffentlichte Vorhersage der US-Wetterbehörde NOAA weicht von diesem Szenario nur wenig ab. Auch sie erwartet eine "extrem aktive Saison" - bis zu neun weitere Hurrikane, wovon mindestens drei, vielleicht sechs zu den gefährlichsten Kategorien zählen könnten.
"Isaias" hat Überschwemmungen und Stromausfälle angerichtet, sieben Menschen starben. Viel größere Schäden aber sind in den nächsten drei Monaten zu erwarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest einer der kommenden Wirbelstürme auf die Landmasse der USA treffen wird, beziffert CSU-Forscher Phil Klotzbach auf 74 Prozent.
Wo und wann dies passieren könnte, vermögen die Prognostiker nicht zu sagen; der Verlauf eines Wirbelsturms ist abhängig von einer Vielzahl kurzfristiger Ereignisse. Ein großer Teil des Landes tut aber gut daran, vorbereitet zu sein. Mitten in der Coronakrise könnte den USA eine Situation drohen, in der viele Menschen von Texas bis nach Neuengland ihre Häuser plötzlich verlassen und in Notunterkünfte ziehen müssen.
Nichts davon wäre vereinbar mit den in der Pandemie notwendigen Schutzmaßnahmen; die eine Katastrophe nährte die andere.
Aber warum ist 2020 im Atlantik ein so außergewöhnliches Sturmjahr? Dafür gibt es mehrere Gründe. Das Wasser im nördlichen Atlantik und im Golf von Mexiko ist überdurchschnittlich warm. Hurrikane können sich nur bilden, wenn die Oberflächentemperatur über 26 Grad Celsius liegt. Westlich von Florida herrschen im Ozean derzeit Temperaturen von um die 30 Grad.
Der Ozean ist zu heiß
Die Ursache für das gefährlich gute Hurrikanwetter liegt zumindest zum Teil auch am Klimawandel. Große Bereiche des Atlantiks und der Luftmassen über ihm haben sich schon seit Monaten viel weiter aufgeheizt als über Jahrzehnte üblich zu dieser Jahreszeit.
Weil in wärmerer Luft mehr Wasser verdunsten kann, ist auch mit stärkeren Niederschlägen zu rechnen. Und da sich warmes Wasser ausdehnt, steigt in der Folge der Meeresspiegel, Überschwemmungen in den zunehmend besiedelten Küstenregionen der USA sind dann zwangsläufig.
Es könnte einen weiteren Faktor in dieser Hurrikansaison geben. Im Zentralpazifik erwarten Meteorologen für den Herbst ein "La Niña"-Ereignis. Die Passatwinde zwischen Südamerika und Südostasien nehmen dann zu, das warme Oberflächenwasser des Ozeans fließt nach Westen, und vor Peru steigt kaltes Wasser aus der Tiefe auf. Über komplexe Wechselwirkungen führt dieses Phänomen zu veränderten Winden auch im Atlantik, die dann die Entstehung von Hurrikanen begünstigen.
Auf "Wilfred" folgt "Alpha"
Zumindest das Problem mit der knappen Namensliste lässt sich vergleichsweise leicht und pragmatisch lösen. Das zuständige Komitee der WMO verleiht schon seit 1979 männliche und weibliche Vornamen im Wechsel. Das Namenssystem soll nicht nur Geschlechtergerechtigkeit schaffen, es soll vor allem die Kommunikation über die Stürme erleichtern. Ehedem wurden sie nur durchnummeriert, was zu vielen Missverständnissen geführt hatte.
Was wird passieren, wenn die Saison in diesem Jahr mit "Vicky" und "Wilfred", den letzten Namen auf der bisherigen Liste, tatsächlich noch immer nicht zu Ende sein sollte? Die Meteorologen werden sich dann behelfen und zurückgreifen auf das griechische Alphabet. Der 22. Sturm wird "Alpha" heißen, Nr. 23 "Beta" und der letzte jetzt für den Atlantik vorhergesagte tropische Wirbelsturm von 2020 wird den Namen "Gamma" tragen.
spiegel
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