Pyrotechnik oder Militärmunition? - Beirut

  08 Auqust 2020    Gelesen: 673
Pyrotechnik oder Militärmunition? - Beirut

Wie explosiv ist Ammoniumnitrat? Und wie konnte es zum verheerenden Unglück in Beirut kommen? Es braucht schon ein äußeres Ereignis und schlechte Lagerbedingungen für die Kettenreaktion im Libanon, meint der Sprengstoffexperte Wolfgang Spyra. Die Schuld sieht er bei der Behörde, die den Stoff beschlagnahmt, aber nicht fachgerecht behandelt hat.

Herr Spyra, für das Unglück in Beirut werden 2750 Tonnen Ammoniumnitrat verantwortlich gemacht. Fangen wir mit dem Stoff selbst an: Wie reaktiv ist dieser? Unter welchen Bedingungen explodiert er?

Ammoniumnitrat ist eine bekannte Industriechemikalie, die zwei Hauptverwendungen hat. Zum einen macht man Düngemittel daraus, zum anderen kommt es als Sprengmittel im Bergbau für die Steinsprengung zum Einsatz. Es fällt in großen Mengen an und ist relativ lagerstabil. Es ist nicht ganz so einfach, dieses Ammoniumnitrat zur Zündung zu bringen. Wir wissen auch aus Anschlägen, die in Europa stattgefunden haben, dass manche LKW mit hundert, fünfhundert Kilogramm beladen worden sind, aber wenn es gezündet hat, ist es nie voll durchgezündet. Man kann auch an der zweiten schwarzen Wolke sehen, dass ein Großteil sich nicht umgesetzt hat, aber eben schon eine riesige Menge, was dann eben zu dieser verheerenden Druckwelle geführt hat.

Wie sieht denn eine unsachgemäße Lagerung aus und was passiert dabei mit dem Stoff?

Das eine ist: Man kennt ja nicht das Ursprungsmaterial. Wenn dieses Ammouniumnitrat erzeugt wird und für den Düngemittelbereich vorgesehen ist, dann gibt man Normalerweise sogenannte Stabilisatoren hinein, damit dieses nicht so leicht entzündlich ist. Das zweite ist, dass es bestimmte Lagervorschriften gibt, dass man nicht 3000 Tonnen in einem Hauswerk hat, sondern dass man da sehr wohl Trennwände dazwischen hat, um ein Übergreifen von Schadensereignissen zu vermeiden. Das andere, was hier, wie ich denke, ganz wesentlich war, ist, dass diese Lagerbedingungen in dieser Lagerhalle bei diesen klimatischen Bedingungen dazu geführt haben, dass es Zersetzungsprodukte gegeben hat. Und wir wissen, dass bei der Zersetzung Gase entstehen, und Gase entzünden sich nun einmal leichter als Feststoffe.

Was sind das für Zersetzungsprodukte und wie reaktiv sind die?

Dieses Ammoniumnitrat besteht aus Ammonium und einem Rest von der Salpetersäure, NO3. Das Wichtigste ist, dass dort dann unter bestimmten Umständen – und da spielt die Lagertemperatur um 32 Grad auch eine besondere Rolle – Stickstoff und Sauerstoff entstehen, was sehr viel leichter als Initialzündung gelten kann, als wenn es richtig sauber abgelegtes Ammoniumnitrat wäre.

Lagerbedingungen in der Hitze könnten also bereits dazu führen, dass diese Gase sich bilden und eine kritische Menge entsteht, die eine Zündung ermöglicht?

Normalerweise hätte man dieses beschlagnahmte Material zu Düngemittel verarbeitet und dann hätte man diese Lagerprobleme nicht bekommen.

Und wenn dieses Gasgemisch entstanden ist, reicht dann schon ein Zündfunken etwa von einer Zigarette?

Nein, so ist das nicht. Über viele Jahre hat sich dort der Feststoff verdichtet und darüber entsteht eine Schadstoffwolke mit den Chemikalien, die ich gerade nannte. Dieses allein würde sehr schwer zu entzünden sein, wenn es kein äußeres Ereignis gibt. Und dieses äußere Ereignis war die erste Explosion und die erste Explosion müsste meiner Meinung nach irgendwie durch Menschenhand ausgeführt worden sein – es gibt auch sicherlich Vorstellungen, dass starke Sonneneinstrahlung dazu geführt hat, dass das erste Lager hochgegangen ist. Wenn man die Bilder sieht, dann kann man schon denken, dass das dort Pyrotechnik war, die hochgegangen ist. Aber ich schließe auch nicht aus, dass es großkalibrige Militärmunition gewesen sein könnte, eben weil ein Hafen für die Marine auch Munition vorhalten muss. Und wenn das das Lager war, das hochgegangen ist, dann war das die Initialzündung für den großen GAU, der sich dann anschließt. Also menschliches Versagen oder auch eine Selbstentzündung halte ich eher für unwahrscheinlich. Ich denke, dass vielleicht Schweißarbeiten, Funkenflug, ein elektrisches Gerät dazu geführt haben kann, dass es so danebengegangen ist.

Also eine dreiteilige Reaktion?

Eine Kettenreaktion. Ich würde es als eine Kettenreaktion bezeichnen, die da abgelaufen ist.

Vielleicht noch kurz zur Grundhypothese, dass es sich bei dem Stoff um Ammoniumnitrat handeln soll. Die ist für Sie plausibel bei dem Ausmaß der Explosion?

Das finde ich schon. An der Färbung der zweiten Wolke sieht man zwei Dinge. Das eine ist ein ganz schwarzer Teil und das andere ein rötlich gefärbter Teil. Der rötliche Teil ist darauf zurückzuführen, dass dieses Ammoniumnitrat sich nicht hundertprozentig umgesetzt hat, sondern sich zersetzt hat und als Zersetzungsprodukt sogenannte Nitrosegase entstanden sind, die farblich dieser Dunkelbraun-Couleur entsprechen. Es hätte noch schlimmer kommen können, wenn sich alles umgesetzt hätte. Aber das war ja schon verheerend genug, was wir da an Schaden erkennen können.

Allgemein gefragt: Bei reinem Ammoniumnitrat, das fachgerecht gelagert wird – was für eine Einwirkung muss da geschehen, damit das explodiert?

Das lässt sich leicht daraus ableiten, dass es ja Gesteinssprengstoffe gibt, etwa Dynamit. Das ist eine Mischung aus mehreren Komponenten, und da braucht es immer eine ganz starke Energieladung, eben weil dieses Ammoniumnitrat alleine eigentlich zu träge ist, um voll durchzudetonieren. Es braucht immer eine Hilfestellung. Die Hilfestellung bedeutet: Ich brauche einen hohen Energieeintrag, damit sich das Ammoniumnitrat umsetzt. Die Energie kam in Beirut vom ersten Ereignis, das vielleicht durch Schweißarbeiten oder Funkenflug die Pyrotechnik entzündet haben kann. Und dann ist die Kette so abgelaufen, wie wir es auf den Videoaufnahmen gesehen haben.

Der Fehler war also auch, dass sich zwei solche Lager in unmittelbarer Nähe befunden haben?

Der Fehler lag darin, dass da sechseinhalb Jahre Material lag, was Gefährdungspotential hat, von dem man vielleicht nicht wusste, dass es sich sehr stark verändern kann. Aber wenn so etwas beschlagnahmt wird, dann kümmert sich im Grunde die Behörde darum, die es beschlagnahmt hat. Das scheint hier offenbar nicht geschehen zu sein.

sputniknews


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