Als im Estadio da Luz in Lissabon bereits das Licht ausging, da sprach Thomas Tuchel wahre Worte. "Wir haben hier im Klub Rückschläge erlebt, die du vielleicht manchmal brauchst. Diese Niederlagen stählen dich und machen dich härter und hungriger", sagte der Trainer von Paris St. Germain. "Der Weg ins Champions-League-Finale ist wahnsinnig schwer, dafür haben wir jahrelang gearbeitet und jetzt sind wir verdient da."
Acht Jahre lang hatte Investorenklub Paris nach dem Einstieg der katarischen Finanziers Million um Million ausgegeben und war stets spätestens im Viertelfinale gescheitert. Angetrieben von diesem Erfolgshunger, einem neuen Pariser Teamgefühl und der Klasse der Superstar-Zauberer Neymar, Angel di Maria und Kylian Mbappé geriet das Duell gegen Überraschungs-Halbfinalist RB Leipzig - ebenfalls Investorenklub - zu einer eindeutigen 3:0 (2:0)-Machtdemonstration.
Yussuf Poulsen saß nach Abpfiff noch 20 Minuten im Schneidersitz auf dem Rasen an der Seitenlinie. RB Leipzigs Rekordspieler schaute in das leere Rund, wo normalerweise der Lärm von 60.000 getost hätte. Immer mal wieder kam ein Kollege, Trainer oder Gegenspieler wie Thilo Kehrer vorbei, um Poulsen Mut zuzusprechen. "Es ging mir darum, den Moment zu genießen, mir durch den Kopf gehen zu lassen, was wir hier gerade gespielt haben", erklärte er.
Erst der Frust, dann der Stolz
Genießen? Nach einer 0:3-Pleite? "Es geht darum, das zu verarbeiten und stolz zu sein, was wir hier geleistet haben", sagte Leipzigs Kapitän. Dafür bekam er Lob von Trainer Julian Nagelsmann, denn es war nach diesem Halbfinal-Abend von Lissabon nicht so einfach im Blick zu behalten, dass RB Leipzig elf Jahre nach der Gründung nicht nur gegen eine der besten, sondern auch gegen die sechstteuerste Mannschaft der Welt die Grenzen aufgezeigt bekam.
Zu deutlich war der Klassenunterschied in allen Belangen. Nagelsmann hatte angekündigt, mutig und offensiv gegen das Pariser Starensemble zu spielen. Gegen Atlético war es dem Leipziger Kollektiv noch gelungen, die Mechanismen der Fußballbranche außer Kraft zu setzen und den erfahreneren und individuell vermeintlich besseren Favoriten zu knacken. Paris indes spielte von Beginn an auf einem anderen Level als RB. Die Leipziger konnten nur ohnmächtig reagieren, hinterherlaufen und zusehen, wie Neymar & Co. wirbelten, Chance um Chance kreierten und Tore schossen. Es war für RB ein Rückfall in die alte Topspiel-Lethargie. Doch der Gegner hieß eben auch PSG.
Erst legte di Maria per Standard dem Brasilianer Marquinhos auf (13.); dann bereitete Neymar nach Patzer von Keeper Peter Gulacsi für di Maria vor (42.); und dann flankte erneut der Argentinier auf den Ex-Münchner Juan Bernat, der den Leipzigern mit seinem Kopfballtreffer (56.) im "Luz" endgültig die Lichter ausknipste. Eine Lehrstunde, auf deren Verlauf Nagelsmann keinen entscheidenden Einfluss nehmen konnte und deshalb gar nicht so tief wie gewohnt in die Analyse der Partie einstieg.
Tuchels Idee schlägt Nagelsmanns Plan
Seine Idee, mit einer Viererkette zu beginnen, Lukas Klostermann auf die linke Innenverteidigerposition und Nordi Mukiele rechts in die Kette zu beordern und davor das Dreier-Mittelfeld mit Konrad Laimer, Marcel Sabitzer und Kevin Kampl aufzubauen, ging nicht auf. Tuchels Plan hingegen, sehr variabel in der Grundordnung zu agieren, sich nicht durch Gegner RB kirre machen zu lassen, sondern auf die eigene Dominanz und Qualität zu vertrauen, wurde bestätigt.
"Alle - Spieler und Trainer - hätten vieles besser machen können, es hätte wahrscheinlich trotzdem nicht gereicht", sagte Nagelsmann und hatte damit wohl sogar Recht. Zu geschlossen und individuell herausragend zugleich agierten die Franzosen, einen zu guten Abend erwischten Neymar und di Maria. "Wir haben eine Mannschaft erschaffen, in der jeder seine Stärken und Schwächen kennt. Es ist wichtig, dass man die Leute um einen herum schätzt, dann ist es einfacher, Opfer zu bringen", sagte Mbappé fast schon philosophisch.
Nagelsmann bekannte indes: "Aktuell überwiegt der Frust." Von der großen Bühne Champions League lenkte er den Fokus bereits auf die nächste Alltagsaufgabe: DFB-Pokal in Nürnberg. "Psychologisch ist das keine einfache Situation. Die Spieler werden jetzt ein bisschen brauchen", sagte er. "Aber wir müssen uns aufraffen, den Frust beiseiteschieben und müssen glücklich sein über das, was wir erreicht haben."
Der 33-Jährige wirkte nach der Pariser Machtdemonstration vergleichsweise gefasst. "Ich nehme sehr viel Positives mit aus der Champions League", sagte er und meinte die "unerschrockene Leistung" gegen Madrid. "Wir hatten auch heute das Herz am rechten Fleck. Ich trage heute auch Stolz in mir, weil der Gegner übermächtig war. Das muss man auch mal anerkennen", so der geschlagene Coach. Er wünschte sich und seinen Spielern, "dass wir solche Spiele wieder erleben" - dann gestählt durch die Lehrstunde gegen Paris.
Quelle: ntv.de
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