Die S 1000 XR ist nach Aussage von BMW das meistverkaufte Adventure Sport Bike auf dem Markt. Aber auch die Besten müssen dafür sorgen, dass sie die Besten bleiben. Und genau mit diesem Ansinnen haben die Bayern auf der Eicma 2019 ihren neuen Reisetourer vorgestellt und gleich darauf hingewiesen, dass die Neuauflage jetzt noch leichter, noch schneller, noch wendiger ist und eine "nie dagewesene Spreizung zwischen Langstreckenkomfort und Sport" bietet.
Ganz schön dick aufgetragen
"Wow", denkt der Leser jetzt vielleicht, "ganz schön dick aufgetragen". Naja, Fakt ist, dass die aus dem Supersportbike S 1000 RR erwachsene S 1000 XR per Gen und damit Definition in Form des 165 PS starken Vierzylinders den Teufel im Rahmen zu hängen hat. Das sind zwar 42 PS weniger, als die RR liefert, aber wer hier ordentlich am Hahn dreht, wird sein blaues Wunder erleben. Und zwar ganz unmerklich.
Die S 1000 XR schalt ihren Fahrer nämlich auf der Standardsitzbank in 840 Zentimeter Höhe zwischen Tank und Soziussitzplatz tief und aufrecht ein. Das ist alles andere als eine aktive Haltung, aber für das Handling des 226 Kilogramm schweren Sporttourers und natürlich für lange Strecken geradezu genial. Selbst mit einer Körperhöhe von 1,75 Meter sind die Füße nah genug am Boden, um an der Kreuzung einen festen Stand zu haben. Und von größter Freude ist die Leichtfüßigkeit, mit der sich dieses doch recht mächtige Bike in ganz engen Kreisen bewegen lässt. Ein Umstand, der vor allem denen zugutekommen wird, die sich vorzugsweise auf bergigen Landstraßen bewegen.
Es gibt Arbeit
Allerdings gibt es für die auch etwas Arbeit: Der Sporttreibsatz der S 1000 XR mag nämlich den niedrigen Drehzahlbereich gar nicht. Unter 2500 Kurbelwellenumdrehungen neigt er zu einem schüchternen, aber dennoch spürbaren Konstantfahrruckeln. Hier ist es angesagt - auf Wunsch über den Schaltassistenten und ohne Kupplung - die Gänge nach unten zu bewegen. Im besten Fall um zwei Stufen, dann ist ausreichend Druck auf der Kette, um sauber ums Eck zu pfeilen. Wer jetzt befürchtet, dass durch zu hohe Drehzahlen das Hinterrad ins Rutschen kommen könnte, dem kann die Angst genommen werden. Neben einer Anti-Hopping-Kupplung verfügt die S 1000 XR jetzt erstmals über eine Motor-Schleppmoment-Regulierung (MSR). Elektronisch geregelt, verhindert das MSR ein Rutschen des Hinterrades durch abruptes Gaswegnehmen oder Zurückschalten.
Zickiger gibt sich da schon die Vorderbremse. Die regiert auf leichten Zug recht aggressiv und es bedarf einiger Manöver, bis man sich an diesen scharfen Biss gewöhnt hat. Gerade bei langsamer Fahrt mit Gepäck und Sozius ist das nicht in allen Situationen hilfreich. Hilfreich ist aber in jedem Fall das serienmäßige ABS Pro. Das verhindert nämlich selbst bei heftigen Bremsmanövern in der Kurve ein Blockieren der Räder. Auch bei Vollbremsungen aus hohen Geschwindigkeiten hat sich das ABS Pro im Test bewährt.
Potent bis zum Abwinken
Und die sind bei der Fahrt mit der S 1000 XR nicht selten. Das liegt an dem unglaublich potenten Vierzylinder, aber auch an der schon erwähnten Sitzposition des Fahrers hinter dem in zwei Stufen per Einhandbetrieb verstellbaren Windschutz. Schneller als einem lieb ist ballert das Gerät nämlich auf Wunsch in einen Geschwindigkeitsbereich, der so manchem Autofahrer die Tränen in die Augen treibt. BMW gibt die Geschwindigkeit mit über 200 km/h an. Im Test wurden auf freier Strecke per GPS als Vmax 257 km/h ermittelt. Das Erschreckende: Der Sprint bis Tempo 200 ist für den Fahrer kaum spürbar und geschieht in unter zehn Sekunden bei freudvollem Kreischen aus der Abgasanlage. Dabei reißt die Fuhre ab ungefähr 7500 Umdrehungen noch mal richtig an. Ab 9250 Touren liegt dann auch das maximale Drehmoment von 114 Newtonmetern an und wer bis 11000 ausdreht, bekommt die volle PS-Packung.
Für Sportfreunde und schnell Reisende ist das ein Genuss. Überholvorgänge sind ein Kinderspiel, Kraft ist immer verfügbar und auf freien Autobahnpassagen wird Tempo 170 zur Reisegeschwindigkeit, weil die S 1000 XR so satt und stabil auf der Straße liegt, dass es echt Spaß macht, so flott unterwegs zu sein. Jedenfalls dem Fahrer. Der Sozius hat in der Regel ab 150 km/h die Nase voll. Tatsächlich sitzt der sehr bequem auf dem großen Polster auf seinem erhöhten Posten hinter dem Piloten, aber der Wind, der ihm bei hohen Geschwindigkeiten ins Gesicht bläst, wird relativ schnell als unangenehm empfunden und ist dann auch für den Fahrer mit der Bitte nach Mäßigung verbunden.
Der Wind, der Wind
Aber selbst dem wird der Wind irgendwann zu viel. Tatsächlich nimmt der Windschild den Druck von der Brust, kann aber nicht verhindern, dass die Verwirbelungen den Helm erreichen. Der Autor hat viel versucht, um dessen Herr zu werden, musste dann aber für sich konstatieren, dass er wohl mit seiner Körpergröße nicht für die Höhen des Windabweisers gemacht ist. Doch zurück zu der ursprünglichen Idee, die BMW für dieses Bike vorgesehen hat: die sportliche Reise. Und hier muss man den Bayern testieren, dass wirklich alles passt. Dank der schon erwähnten Sitzposition und den Fahrmodieinstellungen, die von Rain über Road bis Dynamik und Dynamik Pro reichen, ist man auf allen Wegen bestens unterwegs.
Vor allem wer sich für das elektronisch gesteuerte Fahrwerk entscheidet, schwebt mit der S 1000 XR wie auf Wolken. Der Unterschied wurde dem Autor spätestens deutlich, als er auf seine ach so geliebte Japanerin umstieg, die pur und konventionell ausfedert. Bei der BMW erfolgte ob des Dynamic ESA die Dämpfung nämlich automatisch und beladungsabhängig. Nie hat der Fahrer im Test das Gefühl gehabt, dass die Federspannung zu weich oder zu hart ist. BMW erklärt das übrigens auch mit einer neuen Ventiltechnologie, die aus dem Rennsport übernommen wurde. Dadurch lassen sich im Millisekundenbereich Wechsel zwischen geringen und straffen Zugstufen realisieren.
Alles im Blick
Natürlich lässt sich das alles auch manuell über die Steuerelemente am Lenker der S 1000 XR handhaben und über das 6,5 Zoll große TFT-Display kontrollieren. Auch das stammt aus der S 1000 RR und ist ein echter Gewinn. Das macht nämlich auch ein zusätzliches Navi völlig überflüssig, denn über die BMW Motorrad Connectivity App kann auf das wirklich bei jedem Licht ablesbare Display eine Pfeilnavigation mit multipler Wegpunktführung eingestellt werden. Heißt nichts anderes, als dass sich der Fahrer vor Antritt der Reise eine Route mit mehreren Zielen zusammenstellen kann, die dann genauso abgefahren werden. Natürlich sieht man auf Wunsch auf dem Display auch die eigenen Schräglage, Verzögerung oder wie die Traktionskontrolle arbeitet. Und für den, der Spaß daran hat, werden alle Fahrdaten auch in der App aufgezeichnet.
Allerdings wird auch der Verbrauch verbrieft und der erfreut bei der S 1000 XR nicht wirklich. Im Datenblatt ist er mit 6,2 Litern angegeben, im Realbetrieb waren es dann aber 7,1 Liter, die der sportliche Vierzylinder über 100 Kilometer aus dem 20 Liter fassenden Tank saugte. Insofern blieb der Reiseradius bis zur nächsten Zapfsäule mit unter 300 Kilometern für ein Tourenmotorrad doch etwas bescheiden. Natürlich ist das am Ende kein Grund für ein lautes Lamento, schließlich lässt sich binnen weniger Sekunden wieder Sprit einfüllen und die Fahrt geht weiter. Vorausgesetzt, die Batterie erhält nicht beim Starten eine Überspannung und gibt dann komplett den Geist auf.
Wenn der Ofen aus ist
So leider beim Tester geschehen. Nun kann man daraus niemandem einen Strick drehen, so ärgerlich der Umstand ist; das kann passieren. Wirklich blöd ist aber, dass es, wenn man den schlüssellosen Starter gewählt hat, auch keine manuelle Möglichkeit gibt, ohne Strom das Lenkerschloss zu verriegeln. Um so erfreulicher der BMW Service. Den gibt es ja bekanntlich bei den Bayern mit jedem gekauften Fahrzeug dazu und im Rahmen der Garantie ist der auch noch kostenlos. Dass der aber, als er gerufen wurde, mit einem Techniker nach nicht mehr als 20 Minuten vor Ort war, fällt hier unter die Kategorie beeindruckend. Test und Gespräch ergab dann auch, dass die erstmals in der S 1000 XR verbaute Lithium-Ionen-Batterie den Geist aufgegeben hatte und im gesamten Gebiet Berlin-Brandenburg kein solches Kraftpaket aufzutreiben war. Ergo: Zur Überprüfung sollte das Bike nun lieber in die Werkstatt.
Auch um auszuschließen, dass es sich um einen größeren elektronischen Fehler handelt. Und wie da hinkommen? Wieder 20 Minuten später war ein BMW-Service-Fahrzeug mit Anhänger da, hat die Maschine aufgeladen und abtransportiert. Auch das wäre für den Besitzer des Bikes kostenlos gewesen. Also bei allem Ärger über den Defekt - einen solchen Service gibt es tatsächlich bei keinem anderen Hersteller. Und der ADAC kann das erfahrungsgemäß nicht mal im Ansatz bieten.
Fazit: Die BMW S 1000 XR läuft mit einem Einstiegspreis von 16.522 Euro nicht gerade in der Kategorie preiswert. Wird noch Wert auf einige Features aus dem Zubehörkatalog gelegt, ist man schnell bei knapp 20.000 Euro für die Maschine. Wer aber wirklich lange Touren auf einem sehr hohen Niveau mit schier unerschöpflichen Kraftreserven machen möchte und dabei ein für die Größe echt handliches Bike will, darf sich wenigstens eine Probefahrt gönnen. Und dabei sollte er aber auch den für den Testbericht nicht vorgesehenen, aber in kürzester Zeit verfügbaren BMW-Service im Hinterkopf behalten.
Quelle: ntv.de
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