Sollten Abgeordnete immer dem Willen ihrer Wähler folgen? Verfolgen Politiker andere Ziele als die Bürger? Sollten wichtige Fragen besser in Volksabstimmungen entschieden werden, nicht in Parlamenten? Mit Fragen wie diesen untersuchen Forscher populistische Einstellungen, seit 2017 auch die Bertelsmann-Stiftung und das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Zum bereits fünften Mal legen sie nun ihr Populismusbarometer vor.
Das Fazit ist eindeutig: Immer weniger Menschen sind populistisch eingestellt. Das gelte vor allem für die politische Mitte, heißt es in der Untersuchung. Doch es gibt noch eine zweite Entwicklung: Die Gefahr einer weiteren Radikalisierung am rechten Rand steigt.
"Der Trend eines zunehmend populistisch aufgeladenen Meinungsklimas in Deutschland ist gebrochen", schreiben die Studienautoren und vergleichen die aktuellen Zahlen mit jenen von November 2018. Damals zeigte fast jeder dritte Wahlberechtigte eine populistische Einstellung - 32,8 Prozent der Befragten. Laut den Daten vom Juni 2020 ist es nun nur noch jeder Fünfte (20,9 Prozent). Gleichzeitig nimmt der Anteil der unpopulistischen Wähler zu, von 31,4 Prozent 2018 auf 47,1 Prozent in diesem Jahr.
Corona-Krise verstärkt den Trend
Mehr noch: Auch die Intensität populistischer Einstellungen nimmt ab. Verglichen mit 2018 sei die Populismusneigung im Durchschnitt aller Wahlberechtigten auf der Populismusskala von 0 (unpopulistisch) bis 8 (populistisch) um 0,68 Skalenpunkte auf 4,66 gesunken, heißt es. Es ist der niedrigste Wert seit der ersten Umfrage im Frühjahr 2017. "Die Populisten sind in Deutschland wieder in die Defensive geraten", lautet das Fazit.
Die Zahlen bestätigen eine Entwicklung, die sich bereits bei der vorhergehenden Erhebung Ende 2019 abgezeichnet hat. Der Anteil der Menschen mit populistischer Einstellung war zu diesem Zeitpunkt bereits zurückgegangen, nachdem er im November 2018 einen Höhepunkt erreicht hatte. Das zeigt, dass der Rückgang nicht von der Corona-Pandemie ausgelöst wurde, auch wenn sie eine Rolle spielt: "Das gestiegene Vertrauen in die Regierungsarbeit im Verlauf der Corona-Krise hat diese Trendumkehr stabilisiert und leicht verstärkt, aber nicht ausgelöst", sagt Robert Vehrkamp, Demokratieexperte der Bertelsmann-Stiftung und Mitautor der Studie. Als Auslöser werden vielmehr "die nach 2018 deutlich verbesserte und inklusivere Regierungsarbeit" und Lerneffekte im Umgang mit Populisten ausgemacht.
Angetrieben wurde die Entwicklung etwa von der politischen Mitte. Noch 2018 verzeichnete diese Wählerschaft laut Studie die größte Zunahme an populistischen Neigungen. Bei der aktuellen Befragung stellte die Gruppe dagegen überdurchschnittlich viele unpopulistische Wähler. "Insbesondere die politische Mitte erweist sich in der Auseinandersetzung mit der populistischen Versuchung als lernfähig und robust und damit als wichtigste Stütze des Meinungsumschwungs", sagt Vehrkamp.
Drei Kernelemente des Populismus
Wenn aber weniger Wähler populismusanfällig sind, geht auch der Populismus der etablierten Parteien zurück. "Die Versuchung der beiden bürgerlichen Parteien, dem Populismus der AfD zu folgen, ihn nachzuahmen oder sich zumindest rhetorisch ihm anzupassen, verliert damit seinen elektoralen Anreiz", sagt Wolfgang Merkel, Demokratieforscher am WZB, mit Blick auf CDU/CSU und FDP. Die Grünen wiederum sind laut der Untersuchung die "am wenigsten populismusanfällige Partei".
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht die AfD. Über diese sagt Merkel: "Aus der rechtspopulistischen Mobilisierungsbewegung wird eine zunehmend von rechtsextremen Einstellungen dominierte Wählerpartei." Die Zahlen sind hier eindeutig: 73 Prozent aller AfD-Wähler sind entweder klar oder zumindest teils/teils populistisch eingestellt. Gleichzeitig seien 56 Prozent entweder latent rechtsextrem (27 Prozent) oder sogar manifest rechtsextrem (29 Prozent). Die Studie folgert daraus, dass es eine zunehmende Überlappung und Verschmelzung von populistischen und rechtsextremen Einstellungen gebe. Gerade einmal 13 Prozent der AfD-Anhänger sind demnach unpopulistisch und zugleich nicht rechtsextrem eingestellt.
Erhoben werden die Daten mit acht Fragen, die auf drei Kernelemente des Populismus abzielen: die Unterscheidung zwischen einem "wahren Volk" und "korrupten Eliten", die Idee eines allgemeinen Volkswillens und die Idee gesellschaftlicher Homogenität. "Je stärker Wähler Aussagen und Positionen vertreten, die den drei Populismus-Dimensionen entsprechen, umso populistischer sind sie", heißt es dazu in der Studie. Nur wer allen Fragen zustimmt ("voll und ganz" oder "eher"), weist demnach eine populistische Einstellung auf. Wer mindestens einer Aussage "überhaupt nicht" zustimmt oder mindestens der Hälfte der acht Aussagen "eher nicht" zustimmt, gilt als unpopulistisch. Befragt wurden für die Studie von YouGov Deutschland im Juni 2020 mehr als 10.000 wahlberechtigte Deutsche.
Quelle: ntv.de, mli
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