Schwierige Mission an Balkanroute Tusk geht auf Schengen-Rettungsmission

  01 März 2016    Gelesen: 939
Schwierige Mission an Balkanroute Tusk geht auf Schengen-Rettungsmission
Der EU-Sondergipfel zur Flüchtlingskrise naht, und Europa ist so zerstritten wie lange nicht. Jetzt bemüht sich EU-Ratspräsident Tusk darum, das drohende Fiasko zu verhindern. Zu spät, meinen manche. Athen verlangt indes Millionen-Hilfen von der EU.
Sieben Staats- und Regierungschefs in vier Tagen. Mit einem Reisemarathon von Wien bis Ankara sucht EU-Ratspräsident Donald Tusk das scheinbar Unmögliche: eine Kompromisslinie in der Flüchtlingskrise entlang der Balkanroute. Der Pole geht damit vor dem EU-Sondergipfel am Montag in die Offensive, der sonst womöglich zum Fiasko werden könnte.

Tusk kann sich nun bis Freitag die Kettenreaktion entlang der Balkanstrecke aus der Nähe ansehen. Seit Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge eingeführt hat, folgten Slowenien, Kroatien und Serbien. Durch den Druck aus dem Norden ist inzwischen auch weiter südlich in Mazedonien die Grenze weitgehend dicht, womit Tausende in Griechenland festsitzen.

Der ehemalige polnische Regierungschef will bei der Tour durch die Hauptstädte für die vom letzten EU-Gipfel verlangte Rückkehr zum Schengen-System mit einem funktionierenden Schutz der Außengrenzen werben - was aber eben in Griechenland seit Monaten nicht funktioniert. Und der "Schlüsselpartner" Türkei tut aus Sicht der Europäer nicht genug, um den Flüchtlingsandrang von außerhalb zu stoppen.

Tusk beschwört deshalb einen notwendigen Kraftakt: "Es wird Geld und Zeit kosten und eine riesige politische Anstrengung erfordern", sagte er vergangene Woche. Und mit Blick auf Länder wie Griechenland hält er Maßnahmen für notwendig, um die "humanitären Folgen" zu bewältigen.

Athen beantragt 470 Millionen Euro EU-Hilfen

Die Regierung in Athen rechnet damit, dass wegen der Schließung seiner Grenze zu Mazedonien in den kommenden Tagen mehr als 100.000 Migranten in Griechenland festsitzen könnten. Aus diesem Grund habe die Regierung ein EU-Hilfspaket in Höhe von 470 Millionen Euro beantragt, berichten griechische Medien. Auch andere Medien nannten diesen Betrag. Der Plan sehe vor, dass etwa 50.000 Menschen in Aufnahmelagern und weitere 50.000 in einfachen Hotels untergebracht werden sollen. Es würden insgesamt 8200 Polizisten und zivile Mitarbeiter benötigt, um die Flüchtlinge zu registrieren und für Verpflegung, Gesundheit und Sicherheit zu sorgen, hieß es.

Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras kündigte an, keinem EU-Beschluss zuzustimmen, der nicht die gleichmäßige Verteilung von Flüchtlingen in allen Staaten der Europäischen Union vorsieht. Dies gelte auch für den EU-Türkei-Gipfel in Brüssel, bekräftigte Tsipras in einem Interview des griechischen Fernsehsenders Star.

"Das hätte er schon vor langer Zeit machen sollen"

Kritik an Tusk kam indes vom Institut Carnegie Europe. Mit der Balkanreise begebe er sich viel zu spät in der Flüchtlingsfrage ins Rampenlicht, sagt Judy Dempsey."Das hätte er schon vor langer Zeit machen sollen." Dass Österreich vergangene Woche mit neun Balkanländern einen Gipfel veranstaltete, der letztlich die Grenzschließung in Mazedonien vorbereitete, habe die "Schwäche" Brüssels, aber des Ratspräsidenten im Besonderen gezeigt. Und auch davor sei Tusk in der Flüchtlingsfrage "selbst hinter den Kulissen offenbar nicht besonders aktiv gewesen".

Tusk muss als Gipfelorganisator immer einen Spagat zwischen weit auseinander liegenden Positionen machen: zwischen der "Willkommenspolitik" von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Umverteilungsverweigerern und Grenzzaunbauern wie Ungarns Regierungschef Viktor Orban.

Erschwerend komme hinzu, dass der Liberal-Konservative Tusk durch den Regierungswechsel in Polen zusätzlich geschwächt sei, sagt Joachim Fritz-Vannahme, Europa-Experte bei der Bertelsmann-Stiftung. Die neue nationalkonservative Regierung in Warschau sehe in dem 58-Jährigen gar "eine Art Staatsfeind". Sehr viel mehr als Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, könne Tusk auf seinem Balkan-Trip voraussichtlich nicht, sagt Fritz-Vannahme. Aber vielleicht sei es sogar ein Vorteil, "dass er nicht schon wieder mit einer Brüsseler Agenda kommt. Er kann ausloten, wo die roten Linien sind und wo die orangenfarbenen, die man vielleicht noch dehnen kann".

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