Schon die Wehrmacht kämpfte mit Crystal Meth

  03 März 2016    Gelesen: 1991
Schon die Wehrmacht kämpfte mit Crystal Meth
Drogen für den Sieg: Im Jahr 1940 galt das Metamphetamin Pervitin als Wunderwaffe für den "Blitzkrieg". Einige "Siege" waren nötig, bis das Mittel dem Opium-Gesetz unterstellt wurde.
Piloten dürfen nicht berauscht sein. Viel zu groß sind die Risiken, für sie selbst und für andere Menschen, nicht nur eventuelle Passagiere, wenn Flugzeugführer nicht im Vollbesitz ihrer Fähigkeiten sind. Aber Fliegen ist anstrengend, in Kriegszeiten zumal und besonders auf Feindflügen. Da zählen die Gefahren durch Drogen weniger, wenn sie Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit erhöhen und außerdem das Schlafbedürfnis reduzieren.

In den Feldzügen der Wehrmacht 1939/40, deren enorm schneller Erfolg den Mythos vom "Blitzkrieg" gebar, kämpften unzählige deutsche Soldaten auf Droge. Vor allem die Piloten und die Besatzungen gepanzerter Fahrzeuge, also die beiden Speerspitzen in Heinz Guderians Konzept "Gefecht der verbundenen Waffen", benutzten dazu chemische Hilfsmittel, die sie ganz offiziell von ihren Vorgesetzten bekamen.

Sie hießen "Stuka-" oder "Göring-Pillen" und "Panzerschokolade", trugen den Markennamen Pervitin, enthielten aber vor allem eines: Metamphetamin. Also jenen synthetischen Wirkstoff, der heute als Crystal oder Ice bekannt ist. Da Pervitin im industriellen Maßstab und ganz offiziell von pharmazeutischen Fabriken hergestellt wurde, vor allem den Temmler-Werken, war es bedeutend reiner als die berüchtigte Szenedroge, die in kleinen Chemielabors zusammengebraut und oft genug mit allerlei giftigen Stoffen gestreckt wird.

Bis in die obersten Rängen der Wehrmacht galt das Mittel um die Jahreswende 1939/40 als Wunderwaffe. Walther von Brauchitsch, als Oberbefehlshaber des Heeres einer der vier höchsten Soldaten des Dritten Reiches, ordnete beispielsweise an: "Die Erfahrung des Polenfeldzuges hat gezeigt, dass in bestimmten Lagen der militärische Erfolg in entscheidender Weise von der Überwindung der Müdigkeit einer stark beanspruchten Truppe beeinflusst wird."

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Dabei war dem Generaloberst, der persönlich den in Offizierskasinos üblichen Rauschmitteln wie Wein und Cognac zuneigte, schon klar, dass Pervitin-Konsum Folgen hatte: "Die Überwindung des Schlafs kann in besonderen Lagen wichtiger sein als jede Rücksicht auf eine etwa damit verbundene Schädigung, wenn durch den Schlaf der militärische Erfolg, die Sicherheit der ruhenden Truppe oder die Transportsicherheit gefährdet wird." Konkret hieß es in der Weisung: "Zur Durchbrechung des Schlafbedürfnisses stehen als leichtere Mittel die Anregungsmittel wie Koffein, Schoka-Cola, starker Tee, als stärkere die Weckmittel – Pervitin und andere – zur Verfügung."

Zynisch betrachtet war das durchaus richtig. Denn Soldaten, die wegen Müdigkeit unaufmerksam und dann durch feindliches Feuer verletzt oder getötet wurden, waren mit Sicherheit mehr geschädigt als durch den Konsum von Pervitin. Doch auch wenn die Pille andere Nebenwirkungen mit sich brachte als Crystal heute, das Konsumenten mitunter rapide verfallen lässt: Folgen hatte die Substanz trotzdem. Das zeigte sich während des massenhaften, über mehrere Wochen andauernden Einsatzes in Kampfeinheiten während des Westfeldzugs 1940.

Allein als Erstausstattung des Westheeres für die Vorbereitung des Angriffs lieferten die Temmler-Werke 35 Millionen Tabletten Pervitin – rein rechnerisch also für jeden der 3,35 Millionen Männer etwa zehn Stück. In Wirklichkeit jedoch bekamen die Soldaten der Kampf- und besonders der Sturmeinheiten wesentlich mehr, da Etappen- und Versorgungseinheiten mit dem Mittel nicht ausgestattet wurden.

Außerdem war zu dieser Zeit Pervitin in Deutschland noch frei erhältlich. Die Droge gab es in verschiedenen Formen, niedrig dosiert etwa in likörhaltiger "Hausfrauenschokolade" oder auch als Tabletten, dann zwar nur in Apotheken, aber rezeptfrei. Soldaten, die während des Polenfeldzuges die Vorzüge des Mittels kennengelernt hatten, baten vielfach ihre Verwandtschaft in der Heimat, sie per Feldpostpäckchen zu versorgen.

Der später bekannteste Süchtige war wohl Heinrich Böll. Mehrfach finden sich in seinen Briefen von 1939/40 Bitten wie: "Schickt mir nach Möglichkeit bald noch etwas Pervitin" oder "Vielleicht könntet Ihr mir noch etwas Pervitin für meinen Vorrat besorgen?", mitunter sogar fast flehentlich: "Der Dienst ist stramm, und Ihr müsst verstehen, wenn ich späterhin Euch nur alle zwei bis vier Tage schreibe. Heute schreibe ich hauptsächlich um Pervitin."

Schon vor Beginn der Feldzüge gegen Skandinavien sowie Frankreich, Belgien und die Niederlande wusste aber auch die Führungsebene des Dritten Reiches um die Gefahren des Mittels. Ausgerechnet Leonard Conti, der wahrlich nicht zimperliche "Reichsärzteführer", führte bei einem Vortrag am 19. März 1940 aus: "Wer Ermüdung mit Pervitin beseitigen will, der kann sicher sein, dass der Zusammenbruch seiner Leistungsfähigkeit eines Tages kommen muss."

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Zwar räumte der NS-Funktionär ein: "Dass das Mittel einmal gegen Müdigkeit für einen Hochleistungsflieger, der noch zwei Stunden fliegen muss, angewendet werden darf, ist wohl richtig. Es darf aber nicht angewendet werden bei jedem Ermüdungszustand, der in Wirklichkeit nur durch Schlaf ausgeglichen werden kann. Das muss uns als Ärzten ohne Weiteres einleuchten." Conti setzte sich durch: Pervitin wurde der Rezeptpflicht unterstellt.

Doch es gab auch eine Gegenbewegung. Ein praktizierender Nervenarzt etwa empfahl Ende 1940 die Verschreibung des Mittels bei verschiedensten Indikationen, darunter psychophysischen Erschöpfungszuständen aller Art, Depressionen, sowohl akuten wie chronischen Migräneanfällen, aber auch den Folgen von Rauschgiftentziehungskuren, Angstneurosen sowie See- und Bergkrankheit. Bei einem so breiten Spektrum hätten wohl die meisten Pervitin-Süchtigen leicht einen Arzt finden können, der ihnen ihre Droge verschrieb.

Panzerfäuste und Wachmacher-Pillen

Deshalb gab Conti eine Gegenstudie in Auftrag, die zutreffend das hohe Suchtpotenzial des Mittels herausstellte. 1941 wurde Pervitin dem Opium-Gesetz unterstellt, konnte also fortan nur noch unter hohen Auflagen verschrieben werden.

Doch viele Wehrmachts- und Waffen-SS-Einheiten kämpften weiter high, denn die Tabletten wurden vielfach gerade vor Offensiven massenhaft an Soldaten ausgegeben. Unter anderem für die Schlacht um Charkow Anfang 1943 und den Angriff auf den Kursker Bogen wenige Monate später ist das durch Dokumente belegt, auch für den letzten Großangriff der Luftwaffe am 1. Januar 1945 gegen Flugplätze der Westalliierten.

Als sich der Zweite Weltkrieg dem Ende zuneigte, bekamen die Hitler-Jungs, die als Teil des "Volkssturms" den Vormarsch der sowjetischen Elitearmeen aufhalten sollten, neben Panzerfäusten auch "Wachmacher-Pillen" in die Hand gedrückt. Vermutlich handelte es sich um Pervitin. Wer Glück hatte, schluckte die Pillen so deutlich vor dem Angriff, dass er die Attacke der Rotarmisten dann durch die Überdosierung verschlief und nicht ums Leben kam. Die "Panzerjäger", die sich mit ihren einfachen Waffen mit den sowjetischen T-34-Tanks anlegten, hatten jedenfalls fast keine Überlebenschance.

Quelle : welt.de

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