Warum Spanien der politische Stillstand droht

  03 März 2016    Gelesen: 933
Warum Spanien der politische Stillstand droht
Die Regierungsbildung in Spanien misslingt, der Sozialist Pedro Sánchez hat keine Mehrheit hinter sich bekommen. Die anhaltenden Probleme zeigen, wie tief die spanische Gesellschaft gespalten ist.
Zwei Tage lang hatte das spanische Parlament getagt, um einen neuen Ministerpräsidenten zu küren. Doch am Ende kam es, wie es kommen musste. Dem Sozialisten Pedro Sánchez gelang es nicht, die Mehrheit der 350 Abgeordneten im Madrider Unterhaus hinter sich zu bringen. So stimmten 219 Parlamentarier am Mittwochabend gegen den 45-jährigen. Mehrheiten lassen sich eben nicht erzwingen, auch nicht mit guten Vorsätzen.

Sánchez wollte der wochenlangen gegenseitigen Blockadepolitik im spanischen Parlament ein Ende bereiten und eine Regierung für sein krisengeschütteltes Land auf die Beine stellen. Am Freitag ist die zweite Abstimmung, so sieht es die spanische Verfassung vor. Hier würde die einfache Mehrheit reichen, aber auch die dürfte Sánchez verfehlen. So werden die Spanier wohl im Juni erneut wählen müssen. Dabei wünscht sich die Mehrheit der Iberer schon jetzt nichts sehnlicher als eine handlungsfähige Regierung. "Spaniens Parteien sind nicht reif genug, parteipolitische Interessen zu überwinden und an einem Strang zu ziehen, Koalition ist ein Fremdwort", urteilt der Schriftsteller Francisco Gavilan.

Erstmals in der Geschichte der spanischen Demokratie gab es beim Urnengang kurz vor Weihnachten ein Patt zwischen den konservativen und den linken Kräften Spaniens. Dies ist ein Novum, mit dem sich die Politiker in Spanien schwertun, denn jahrzehntelang wechselten sich Sozialisten und Konservative in schöner Regelmäßigkeit in der Regierung ab, da war es nicht nötig, aufeinander zuzugehen. Ein Blick auf die Geschichte zeigt, warum das so ist.

Die Verbrechen der Franco-Diktatur wurden bis heute nie richtig aufgearbeitet, fünf Jahrzehnte nach Francos Tod ist die spanische Gesellschaft immer noch in zwei Lager aufgeteilt, die sich feindselig gegenüberstehen.

Rajoy: Die Kandidatur von Sánchez ist ein einziger Bluff

Die bis heute nicht überwundene Spaltung der Gesellschaft wurde in der erhitzten Debatte vor der Abstimmung deutlich. Der Ton im Parlament war rau, gegenseitige Beschimpfungen waren an der Tagesordnung, die Debatte wurde mehrmals durch tumultartige Zwischenrufe gestört.

Die Kandidatur von Sánchez sei ein einziger Bluff, schleuderte der amtierende Ministerpräsident Mariano Rajoy seinem Herausforderer entgegen. Mit seinen gerade einmal 90 Abgeordneten könne er keinesfalls auf das Amt des Ministerpräsidenten spekulieren. In seinen Worten schwang auch viel verletzter Stolz mit, denn Sánchez hat eine Koalition mit seiner Volkspartei (PP) abgelehnt, obwohl diese mit 123 Abgeordneten die stärkste Fraktion im Parlament stellt. Mit den Konservativen, die tief im Korruptionssumpf steckten, sei kein Neuanfang in Spanien möglich, so Sánchez, der Rajoy bereits bei einer Fernsehdebatte vor dem Urnengang scharf angegriffen und ihn gleich mehrmals als Lügner bezeichnet hatte.

Sánchez hatte den Schlagabtausch forciert, denn er hatte gehofft, Rajoy mit Unterstützung der beiden Newcomer im spanischen Parlament, der Linkspartei Podemos und der liberalen Bürgerpartei Ciudadanos, aus dem Amt drängen zu können.

Doch der Sozialistenchef hatte nicht damit gerechnet, dass sich die neuen Akteure nicht mit der Statistenrolle begnügen, sondern ihr Debüt auf der politischen Bühne nutzen würden, um sich selbst zu profilieren. Podemos-Chef Pablo Iglesias, dessen Partei 69 Sitze erzielte, schlug dabei besonders laut auf die Pauke. Er bot sich Sánchez als Koalitionspartner an, forderte aber im Gegenzug das Amt des Vizepräsidenten, mehrere Ministerien und die Kontrolle über den Geheimdienst, was die Sozialisten zutiefst verstörte. Mit seiner Forderung, die Katalanen sollten per Referendum über ihre Unabhängigkeit befinden, brachte sich Iglesias dann definitiv ins Abseits.

Erst in zwei Monaten wird wohl neu gewählt

Er rächte sich mit dem Vorwurf, Pedro Sánchez und seine Partei seien weichgespülte "Kaviarsozialisten", die längst ihre sozialdemokratischen Prinzipien verraten hätten. Mehr Glück hatte Sánchez im liberalen Lager, denn die 40 Abgeordneten der Bürgerpartei Ciudadanos stimmten für ihn. Im Gegenzug für seine Unterstützung erzwang ihr Chef Albert Rivera freilich einen umfangreichen Maßnahmenkatalog mit liberalen Vorschlägen für eine Reform auf dem Arbeitsmarkt und im Steuerwesen.

Im eigenen Lager wird Sánchez dafür keinen Beifall erhalten, im Gegenteil: "Ich verstehe nicht, warum er den Liberalen so entgegenkam, anstatt zusammen mit Podemos zu regieren", so Andrés Sánchez (62), ein Flugzeugtechniker, der früher immer die Sozialisten wählte, dann aber auf Podemos setzte, weil ihn die Sparmaßnahmen seiner Partei enttäuschten. Wie so viele seiner Landsleute verlor er vor sieben Jahren im Zuge der schweren Wirtschaftskrise seinen Job, seitdem arbeitet für eine Zeitarbeitsfirma, derzeit wartet er im schwedischen Umea bei Minus 26 Grad Flugzeuge in der Nachtschicht.

Es gibt viele einstige sozialistische Stammwähler wie Andrés, die jetzt zu Podemos übergelaufen sind oder es noch tun werden, wie die Umfragen bescheinigen. Und das Szenario, das Spaniens Medien jetzt skizzieren, dürfte dem Sozialistenchef ebenfalls kaum zur Freude gereichen. Podemos will zusammen mit den Konservativen auch bei der zweiten Abstimmung am Freitag gegen Sánchez stimmen, obwohl die politischen Vorstellungen beider Parteien unterschiedlicher nicht sein könnten. Ab Freitag, prognostizierte Podemos-Chef Iglesias schon mal, werde man neu verhandeln. Denn die spanische Verfassung gibt den Parlamentariern noch zwei Monate Zeit, sich auf eine neue Regierung zu einigen. Erst dann steht ein neuer Urnengang an. Wenig Trost für Spaniens leidgeprüfte Wähler: Nach der Wahl ist vor der Wahl.


Quelle : welt.de

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