Immer gleich im Clinch

  04 März 2016    Gelesen: 1010
Immer gleich im Clinch
Währungen, Handel, Flüchtlinge, Öl – Staaten setzen zunehmend auf Konfrontation. Das verschlimmert die Krisen
Das Leben ist hart in Nullsummenspielen. Beim Tauziehen kann man das sehen, wenn sich die Gesichter vor lauter Anstrengung verzerren: Jeden Zentimeter, den eine Seite gewinnt, muss die andere abgeben. Oder beim Boxen, wenn es um jeden Punkt und jeden Punch geht. In wirtschaftlichen Nullsummenspielen ist es nicht anders. Gibt es einen Gewinner, dann gibt es zwangsläufig auch Verlierer. Firmen treiben sich in einem Preiskampf bis an die Grenze des Ruins. Unternehmer konkurrieren um einen Auftrag. Börsianer wetten gegeneinander, ob die Kurse steigen oder fallen. Einer gegen einen, jeder gegen jeden, das ist die harte Konkurrenz in einer Welt, in der die Kontrahenten sich strecken können, wie sie wollen, und es einfach keinen Raum für fruchtbare Zusammenarbeit, für Wachstum, für Innovation gibt. Am Ende steht – die Nullsumme.

Doch ob die Menschen sich wirklich in einem Nullsummenspiel befinden, liegt oft an der Sichtweise. Die Globalisierung sah für viele Deutsche erst wie ein Spiel aus, dem Politiker Einhalt gebieten mussten. Arbeitsplätze wurden nach Fernost verlagert, bei uns fehlten sie dann. Mann gegen Mann, Asiate gegen Europäer. Nullsumme. Aber mit dem Wachstum in China oder Vietnam kamen die Aufträge für Maschinen, Autos, Chemikalien. Und darüber ist das Wachstum auch zu uns zurückgekehrt. Auf längere Sicht war die Summe alles andere als null, sie war positiv. Es hat sich gelohnt, die Weltwirtschaft zu entgrenzen, und deshalb hat die Globalisierung für die Deutschen auch ihren Furcht einflößenden Charakter verloren.


Nullsumme ist nicht die Natur der Wirtschaft, sie beruht vor allem auf einer kurzsichtigen Mentalität. Gut 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges meldet sie sich zurück. Damals war die Hoffnung auf eine liberale Weltgesellschaft groß, in der über den wirtschaftlichen Austausch der Wohlstand überall steigen könnte. Heute regiert das Denken in Nullsummen. Im Gegeneinander. Im isolierten Spiel. Man hat es überall dort gesehen, wo die Krise droht und die Börsianer das große Zittern überfällt.

Beim Öl zum Beispiel, dessen dramatischer Preisverfall die Weltwirtschaft ins Wanken bringt. Amerika forderte mit seinem Fracking-Boom die Ölstaaten im Nahen Osten heraus, und Saudi-Arabien nahm die Herausforderung an. Statt wie sonst starke Preisschwankungen mit mehr oder weniger Förderung auszugleichen, trieb der führende Ölproduzent der Welt mit vollen Rohren die Preise nach unten. Die Saudis versuchten mit Macht, ihren Anteil am globalen Ölgeschäft zu halten und die neue Konkurrenz auszubooten. Das Ergebnis: eine Schlacht um Marktanteile mit schlimmen Folgen für Förderländer, Ölindustrie und Banken in aller Welt.

Kaum besser geht es im Welthandel zu. Von über 800 neuen Handelsbarrieren berichtete schon voriges Jahr der führende Versicherer von Warenkrediten, Euler Hermes. Lauter kleine Maßnahmen sind das, meistens zum Schutz von ein paar heimischen Unternehmen und immer gegen andere. Mehr für uns, weniger für euch – Nullsumme. Diese Haltung existiert wahrlich nicht nur in Schwellenländern. So wehrt sich die europäische Stahlindustrie gerade vehement gegen die billigeren Produzenten aus China. Bisher tut Europa alles, um sich der östlichen Konkurrenz mit Anti-Dumping-Verfahren und Strafzöllen zu erwehren. Bald aber dürfte die Welthandelsorganisation WTO die Chinesen in den Adelsstand der "Marktwirtschaft" erheben – was gegnerische Maßnahmen erschweren würde. Also nehmen die Proteste noch zu. Wenn Europa sich bei der WTO dem angeschlagenen China entgegenstellt, drohen Gegenmaßnahmen, und die Weltwirtschaft wäre ein weiteres Mal geschwächt.

Die Suche nach gemeinsamen Vorteilen ist selten geworden – selbst bei Zentralbanken

Seit drei Jahren verhandeln dagegen Europa und Amerika über ein Abkommen namens TTIP. Doch kaum jemand redet öffentlich über die Vorteile gemeinsamer transatlantischer Märkte, über Innovationen und Investitionen, die dadurch erleichtert werden. Nein, fast alle fürchten um Besitzstände. Das Heute zählt mehr als das Morgen, und die Angst, übervorteilt zu werden, überwiegt beidseitig.

Die Suche nach gemeinsamen Vorteilen ist selten geworden – sogar im vornehmen Zirkel der Zentralbanken. Viele von ihnen haben sich auf den Wettlauf der Abwertung eingelassen, das heißt, sie setzen die Zinsen so niedrig und schöpfen so viel Geld, dass ihre Währung gegenüber dem Rest der Welt fällt und vor allem gegenüber dem Dollar.

Zugeben würde das kaum jemand, aber dadurch soll nicht bloß den heimischen Exporteuren geholfen werden, weil deren Waren dann im Ausland billiger werden. Durch teurere Importe wollen sie zu Hause höhere Preise erzeugen, um das Gespenst der Deflation zu vertreiben. Japan versucht das seit Jahren, die Europäische Zentralbank hat zuletzt die gleiche Karte gespielt, zusammen mit vielen Schwellenländern rund um den Planeten. Es ist ein echtes Nullsummenspiel: Je mehr Länder es versuchen, desto weniger kann es gelingen.

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