Bundesinnenminister Horst Seehofer, für die CSU im Kabinett Merkel, wirkte seltsam unemotional als er die Aktuelle Stunde mit seinem Debattenbeitrag eröffnete. Er warb für eine internationale Zusammenarbeit in der Bekämpfung von islamistischen Terrorismus und für eine deutliche Unterscheidung zwischen fanatischen Terroristen, die sich auf den Islam berufen und den Millionen Muslimen in Deutschland, in der EU, in der Welt:
„Unser Kampf gegen den Terrorismus richtet sich nicht gegen den Islam, sondern gegen fanatischen und gewalttätigen Extremismus.“
Seehofer: nicht alle islamistischen Gefährder können einfach abgeschoben werden
Vielleicht versuchte Seehofer erst gar nicht besonders emotional zu wirken, weil er wusste, dass die Zahlen, die er präsentieren konnte, ziemlich ernüchternd sind. Demnach gebe es in Deutschland 615 islamistische Gefährder. Von denen besäßen 217 die deutsche Staatsangehörigkeit, 119 würden darüber hinaus noch eine andere Staatsangehörigkeit vorweisen können. Lediglich 273 islamistische Gefährder in Deutschland werden von den Sicherheitsbehörden mit einer ausschließlich ausländischen Staatsangehörigkeit geführt. Und nur die ließen sich – wenn überhaupt – abschieben, die bekanntlich wichtigste und immer wiederholte Forderung, wenn es um den Umgang mit straffällig gewordenen Islamisten geht oder solchen, die im Verdacht stehen, Straftaten zu planen.
Seehofer versicherte allen Bundesbürgern, sie könnten sich darauf verlassen, „dass wir uns mit aller Kraft gegen diesen barbarischen Terror stemmen und zwar mit allen Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen, mit repressiven Mitteln, mit präventiven Mitteln, mit polizeilichen Mitteln, mit Überwachungsmaßnahmen, mit Integrationsmaßnahmen und auch mit Abschiebungen.“
Chrupalla: die AfD hatte 2015 Recht mit ihren Warnungen
Doch genau das zogen die beiden Redner der AfD-Fraktion in Zweifel. Tino Chrupalla, einer der beiden Bundessprecher der größten Oppositionspartei im deutschen Parlament genoss es natürlich, den anderen Parteien im Plenarsaal Salz in die Wunde zu streuen, als er sie daran erinnerte, dass seine Partei auf dem Höhepunkt der Migrationsbewegungen 2015 vergeblich davor warnte, dass auch gewaltbereite Islamisten unter den nichtregistrierten Menschen untertauchen könnten. Schließlich entgegnete Chrupalla dem Bundesinnenminister:
„Weil sie hier gefragt haben, was ist zu tun, was hindert uns daran, diese Leute unverzüglich in ihre Heimatländer abzuschieben? Stattdessen denken Grüne, Linke und Sozialdemokraten immer öfter darüber nach, Aspekte der Meinungsfreiheit einzuschränken, weil die Islamisten dies einfordern. Auf diese Weise geben wir grundlegende demokratische Werte wie das Recht auf Selbstbestimmung auf, und ich frage sie, warum?“
Sehr viel deutlicher, um nicht zu sagen, hart an der Grenze, des für die anderen Parteien Erträglichen, wenn die Gesichtsausdrücke in den anderen Bundestagsfraktionen als Gradmesser herangezogen werden können, wurde etwas später der stellvertretende innenpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Martin Hess.
Maier: wir müssen über „vorbeugende Ingewahrsamnahme“ für Gefährder reden
Doch zuvor bemühte sich auch der Thüringische SPD-Innenminister Georg Maier als derzeitiger Vorsitzender der Innenministerkonferenz der Bundesländer den Bürgern zu versichern, dass die Sicherheitsbehörden der Länder zusammen mit denen des Bundes alles für die Sicherheit der Bürger Notwendige tun würden. Dabei übte er auch Selbstkritik, denn die Tatsache, dass der Attentäter von Dresden, der bekanntlich auch aus stupider Homophobie einen Menschen ermordete, im Visier der Sicherheitsbehörden gewesen ist und dennoch auf freiem Fuß war, konnte Maier schlecht leugnen. Er versprach, dass sich die Innenminister der Länder deshalb auch über bislang praktisch undenkbare Maßnahmen wie eine „vorbeugende Ingewahrsamnahme“ nach der Haftentlassung eines Gefährders verständigen werden.
Thomae: Muslime, die hier leben wollen, müssen mit Religionskritik klarkommen
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der FDP, Stephan Thomae, ließ sich dadurch aber nicht davon abbringen, in seiner Rede Töne anzuschlagen, die so aus dieser Richtung des Parlamentes bislang unbekannt waren:
“Unser Grundgesetz schützt die Religionsausübung, aber es schützt nicht vor Kritik an der eigenen Religion. Und das ist ein wichtiger Grundsatz, den alle Menschen beherzigen müssen, die bei uns auf Dauer leben wollen. Menschen und vor allem Muslime, die damit klarkommen, die damit umgehen können, können dauerhaft einen Platz in unserer Gesellschaft finden. Was keinen Platz in unserem Land haben kann ist fanatischer Islamismus, den müssen wir auf allen Ebenen bekämpfen.“
Thomae stänkerte vor allem in Richtung der bündnisgrünen Fraktion, die zwar fordere, wo immer rechtlich möglich auch konsequent abzuschieben, sich aber im Bundesrat der Einstufung von Ländern wie Georgien oder Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer zu verweigern, was erwartungsgemäß mit Zwischenrufen beantwortet wurde, das habe nichts mit dem Thema zu tun. Thomae forderte, endlich auch islamistische Vereine konsequent zu verbieten.
Mohamed Ali: Islamismus bedroht Freiheiten nicht nur in Europa
Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Amira Mohamed Ali legte den Fokus in ihrer Rede sehr viel mehr darauf, in der berechtigten Empörung über die brutale Rücksichtslosigkeit der Terroranschläge eines nicht aus dem Blick zu verlieren:
„Der Islamismus ist eine menschenverachtende, gefährliche Ideologie, die sich brutal gegen alle richtet, die nicht so leben und denken, wie die Islamisten es wollen. Er richtet sich gegen die freie Meinungsäußerung, gegen die Demokratie, gegen Gleichberechtigung, gegen die Freiheit von Bildung und Wissenschaft, hier bei uns in Europa, aber auch auf der ganzen Welt.“
Frau Mohamed Ali, selbst Muslima erinnerte daran, dass erst am Montag in Kabul mehr als 30 Menschen bei einem islamistischen Anschlag auf die Universität der afghanischen Hauptstadt ermordet wurden und in der vergangenen Woche mehr als 20 Kinder bei einem islamistischen Attentat auf eine Schule ihr Leben verloren. Sie als Muslima verstehe vollständig, wenn Menschen wegen solcher Morde im Namen einer Religion zornig sind:
„Und auf einer menschlichen Ebene ist es auch nachvollziehbar, dass nach einem Terroranschlag Unsicherheit aufkommt. Das ist eine schwierige Situation. Für alle! Denn es ist auch bedrückend, wenn man zum Beispiel beim Arzt im Wartezimmer sitzt und der Name Mohamed Ali aufgerufen wird.“
Von Notz: auch Muslime werden von Islamisten bedroht und wehren sich gegen sie
Konstantin von Notz, der für Bündnis 90/Die Grünen als stellvertretender Vorsitzender das Parlamentarische Kontrollgremium leitet, nahm diesen Faden auf, als er in seiner Rede daran erinnerte:
„Die meisten Menschen, die von Islamisten ermordet werden, sind Muslime.“
Von Notz appellierte ebenfalls an das Erinnerungsvermögen, dass auch Muslime an der Seite von Menschen stehen, die von islamistischen Fanatikern bedroht und terrorisiert werden. Von Notz verwies auf Beispiele wie die beiden als „Helden von Wien“ bezeichneten Österreicher mit türkischen Wurzeln, die einen Polizisten, ebenfalls mit Migrationswurzeln, unter Einsatz ihres Lebens und obwohl selbst verletzt aus der Schusslinie des Mörders zerrten. Oder an die beiden syrischen Flüchtlinge, die 2016 in Leipzig den islamistischen Terroristen Dschaber al-Bakr wiedererkannten, überwältigten und der Polizei übergaben.
Hess: wir verteidigen unsere Werte gegen euch und wir werden siegen
Für den bereits eingangs erwähnten AfD-Abgeordneten Martin Hess waren das möglicherweise nur gewiss lobenswerte, aber eben nur Ausnahmen. Anders ist seine Wortmeldung kaum zu erklären, die in weiten Teilen mehr einer Kriegserklärung glich, auch wenn Hess ausdrücklich darauf reagierte, dass seiner Ansicht nach Islamisten Europa den Krieg erklärt hätten. Dennoch wirkte seine Rede ganz offenkundig für viele Bundestagsabgeordnete mindestens befremdlich. Etwa, wenn Hess die Bundesregierung und die anderen im Bundestag vertretenen Parteien heftig kritisierte, sie würden zum wiederholten Male die „übliche Betroffenheitsrhetorik“ von sich geben und behaupten, sie würden alles tun, um den islamischen Terrorismus zu bekämpfen:
„Aber die Wahrheit ist, sie tun es nicht, und sie haben es nie getan. In Deutschland und in Europa sterben Menschen, weil sie sich weigern, die erforderlichen Schutzmaßnahmen umsetzen, und dafür sollten sie sich schämen, ihr Totalversagen ist nicht weiter hinnehmbar.“
Die Bürger hätten es satt, „immer nur große Worte zu hören“, sondern wollten, „dass das Krebsgeschwür des islamistischen Terrorismus endlich entfernt und Deutschland wieder sicher wird.“ Dies sei nach Ansicht von Martin Hess „die derzeit wichtigste Aufgabe des Staates“. Er forderte eine „klare und unmissverständliche Benennung der Wahrheit“ und warf der Bundeskanzlerin „Feigheit vor dem Feind“ vor. „Ja, sie haben richtig gehört, Islamisten haben Europa den Krieg erklärt, und wir müssen jetzt endlich zurückschlagen. (…) Wenn wir jetzt keine Härte zeigen, werden wir diesen Kampf verlieren.“
Hess forderte die sofortige Abschiebungshaft für islamistische Gefährder und wo rechtlich nicht möglich eine Rechtsgrundlage für einen „längerfristigen Gefährdergewahrsam“.
Interessant war, dass in den anderen Fraktionen offenbar gediegene, aber stille Fassungslosigkeit herrschte, als Martin Hess seine Rede mit Worten beendete, die sonst bei den anderen Parteien für helle Empörung sorgt:
„Gegen Muslime, die mit uns in Frieden leben wollen und unsere Grund- und Werteordnung teilen, gegen die hat niemand etwas. Wer aber den Koran über unsere Gesetze stellt, wer unseren Staat verachtet, wer Hass predigt oder unsere Gesellschaft aktiv bekämpft, für den haben wir eine klare Botschaft: Wir, die Bürger dieses Landes, wir werden unsere Werte und die Art und Weise wie wir leben, gegen eure menschenverachtende Ideologie des Hasses verteidigen. Und wir werden siegen. Also passt Euch an oder geht.“
Vogt: das ist doch genau das, was Terrorismus will – eine gewalttätige und brutale Gesellschaft
Der Part der Empörung blieb der früheren Staatssekretärin im Bundesinnenministerium, Ute Vogt von der SPD vorbehalten, die in an sich lobenswerter freier Rede leider trotzdem etwas peinlich wirkte, weil sie ihrem Vorredner unterstellte, er hätte in der Debatte wohl nicht zugehört, weil viele Gefährder als deutsche Staatsbürger nicht abgeschoben werden könnten, obwohl Martin Hess dies ausdrücklich bei seinen Forderungen berücksichtigt hatte.
Ute Vogt schaffte dann aber doch noch den Bogen von der überheblichen Oberlehrerin zur ernsthaften Mahnerin, als sie an die Adresse von Martin Hess warnte:
„Was sie hier tun, nämlich verbal zu sagen, wir erklären den Krieg und wir schlagen zurück, ja, das ist es doch, was der Terrorismus erreichen will, dass diese Gesellschaft auf einmal gewalttätig und brutal wird, und genau das gilt es zu verhindern.“
Ute Vogt kritisierte in ihrer Rede auch die Medien, die nach wie vor die Täter, statt die Opfer in das Zentrum ihrer Berichterstattung nehmen und sie damit unnötiger Weise eine Wichtigkeit einräumen würden, die sie nicht hätten, weil sie nichts weiter als, so Vogt wörtlich „kleine, mickrige, gewalttätige Verbrecher“ seien.
sputniknews
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