Joachim Löw spricht am liebsten über Fußball. Am späten Samstagabend in Leipzig wusste der Bundestrainer aber, dass der Fußball trotz eines 3:1-Siegs gegen die Ukraine nicht im Vordergrund stehen würde. Und so antwortete er geduldig auf die Fragen nach Corona und der im Vorfeld diskutierten Spielabsage.
"Ich kann die Sorgen und die Gedanken der Menschen nachvollziehen", sagte Löw zu den vier positiven Testergebnissen in der ukrainischen Mannschaft und der Kritik, womöglich nicht angemessen reagiert zu haben. "Ich bin aber der falsche Ansprechpartner, ich bin Trainer. Wir mussten uns darauf einstellen, was die Uefa oder das Gesundheitsamt entscheidet. Ich kann nicht sagen, dass das Spiel nicht stattfindet."
Damit hat Löw Recht. Letztlich machte er es sich mit dieser Aussage aber zu einfach. Denn auch beim Deutschen Fußball-Bund dürfte der Plan, das Spiel austragen zu können, oberste Priorität gehabt haben. "Wir haben gefiebert, dass es keine weiteren Fälle gibt", hatte DFB-Direktor Oliver Bierhoff vor der Partie im ZDF gesagt – und dabei ein seltsames Verhältnis zu dieser Pandemie offenbart. Jener Bierhoff, der Anfang der Woche mit seinem Wolken-Bild die Stimmung rund um die junge Mannschaft angeprangert, dabei aber seine eigene Rolle in dem Gesamtkonstrukt außen vorgelassen hatte.
Es war ein denkwürdiger Tag in Leipzig, der in seiner ganzen Absurdität das gespaltene Verhältnis vieler Beobachter zum Gebaren der Fußball-Verantwortlichen in der Coronakrise erneuerte. Am Freitagabend, 25 Stunden vor dem Anpfiff, waren die positiven Testergebnisse im ukrainischen Lager bekanntgegeben worden. Die vier Spieler und der betroffene Betreuer wurden isoliert, bei der vom RKI angegeben Inkubationszeit zwischen drei und fünf Tagen können weitere Infektionen nicht ausgeschlossen werden. Eine Entscheidung über eine Absage wurde nicht gefällt.
Am Samstagvormittag, knapp zwölf Stunden vor dem Anpfiff, kümmerte sich das Gesundheitsamt der Stadt Leipzig um die Kontaktnachverfolgung. Dabei wurde den Mitarbeitern des Amts von ukrainischer Seite versichert, dass es in den vorangegangenen 48 Stunden keine intensiven Kontakte zwischen den Infizierten und anderen Spielern gegeben haben soll. Zum Verständnis: Am vergangenen Mittwoch hatte das ukrainische Team in Polen gespielt, war danach gemeinsam nach Leipzig gereist, wohnte in einem Hotel und bereitete sich gemeinsam auf die Partie gegen Deutschland vor.
Gegen Mittag gab die Stadt Leipzig über ihren Sprecher die Entscheidung bekannt, die Quarantäne auf keine weiteren Spieler auszudehnen. Zur Sicherheit wurde jedoch eine weitere Testreihe vereinbart. Laut Bierhoff erreichte den DFB um 15 Uhr, sechs Stunden vor Anpfiff, die Nachricht, "dass die Testergebnisse alle negativen waren und das hat uns die Zuversicht gegeben". Anderthalb Stunden später folgte die offizielle Bestätigung der Uefa: Das Spiel sollte stattfinden.
Der Europäische Fußball-Verband spielt in diesem Dreieck der Entscheidungsträger eine wichtige Rolle. Mit der vor Monaten formulierten Maßgabe, jedes unter der Obhut der Uefa stehende Spiel müsse ausgetragen werden, solange zwölf Feldspieler und ein Torwart zur Verfügung stehen, hat der Verband gezeigt, was die größte Bedeutung hat: Nicht die Gesundheit der Spieler, sondern die Erfüllung der lukrativen Fernsehverträge (in der Nations League wie in der Champions League).
Dass auch anders entschieden werden kann, zeigt das Beispiel der norwegischen Nationalmannschaft. Dort gab es im Vorfeld des für Sonntag angesetzten Spiels in Rumänien einen positiv getesteten Spieler, woraufhin die gesamte Mannschaft von der norwegischen Regierung unter Quarantäne gestellt wurde und die Partie von der Uefa gezwungenermaßen abgesagt wurde.
Für DFB-Arzt Tim Meyer, der die Hygienekonzepte von DFB und DFL mitverantwortet hat, ist die Entscheidung in Leipzig trotzdem richtig. "Während des Spiels ist die Ansteckungsgefahr ohnehin deutlich geringer als im Umfeld, das besser zu kontrollieren ist", hieß es in einer auf Twitter veröffentlichten Stellungnahme des Mediziners. Dabei wird die Kritik der vergangenen Tage und Wochen – auch aus der Bundesliga – weniger wegen der Kontakte der Spieler auf dem Rasen geäußert. Vielmehr geht es um das erhöhte Reiseaufkommen während der Länderspielpause.
Die deutsche Nationalmannschaft spielt am kommenden Dienstag gegen Spanien um den Gruppensieg in der Nations League. Im Risikogebiet Sevilla.
spiegel
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