Der Wert von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern in den vergangenen sieben Tagen dürfte sich bei fast jedem Bundesbürger ins Gedächtnis eingebrannt haben. An dieser Inzidenz hängt nahezu jede Corona-Maßnahme.
Die Bundesregierung begründet den 50er-Wert vor allem mit der Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern. Am Donnerstag sagte Kanzlerin Angela Merkel in der Bundespressekonferenz: "Diese 50er-Inzidenz stammt daher, dass wir überlegt haben: Wann können die Gesundheitsämter wieder die Kontakte nachverfolgen?" Die CDU-Politikerin offenbarte sogar, dass man sich Gedanken gemacht habe, was die "mittlere Leistungsfähigkeit" eines Gesundheitsamtes sei: "Daraus entsteht die 50, nicht aus irgendeiner wissenschaftlichen Grundlage."
Was wäre also, wenn man alle 375 Gesundheitsämter in Deutschland in die Lage versetzen würde, auch bei deutlich höheren Inzidenz-Werten noch eine Kontaktnachverfolgung leisten zu können? Könnten dann Öffnungen und Lockerungen schneller passieren und uns auch länger erhalten bleiben?
In Dortmund geht es bis zu einer Inzidenz von 250
Nach ntv-Informationen war Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuletzt jedenfalls ziemlich verärgert darüber, dass der Unterschied zwischen den Ämtern so groß sei und es ein großes Chaos bei den digitalen Schnittstellen gebe. Und der Chef des Bundeskanzleramtes, Helge Braun (CDU), soll sogar betont haben, dass künftige Lockerungen ganz klar mit der Lage der Gesundheitsämter in Zusammenhang stünden.
Klar ist: Einige Gesundheitsämter haben deutlich schneller reagiert als andere. Der Leiter des Dortmunder Gesundheitsamtes, Frank Renken, sagte ntv: "Wir gehören zu den Gesundheitsämtern, die sagen können: Bis zu einer Inzidenz von knapp unter 250 können wir tatsächlich tagesaktuell die Kontaktpersonen nachverfolgen." In der Spitze der Pandemie wurden aus dem Dortmunder Amt rund 14.000 Kontaktpersonen pro Woche angerufen. "Das waren also 2000 Menschen, die wir am Tag antelefonieren mussten", so Renken.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP, Christine Aschenberg-Dugnus, fordert: "Auch bei einer Inzidenz von über 50 sollten Gesundheitsämter Kontakte nachverfolgen können. Denn die Rückverfolgung von Infektionsketten ist das A und O bei der Eindämmung des Virus."
"Gigantische" Leistung
Um das zu schaffen, musste Renken die Personaldecke in seinem Amt allerdings auch enorm hochfahren. Statt normalerweise 90 Mitarbeitern arbeiten dort nun fast 400 - rund 300 davon in der Pandemie-Bekämpfung. Es sei "gigantisch" gewesen, wie das Amt so schnell personell aufgestockt werden konnte, sagt Renken. Da ging es auch um Schulungen, IT und Umzüge. Hilfe gab es von der Bundeswehr und anderen Ämtern aus der Region.
Die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst (BVÖGD), Ute Teichert, sagte ntv: "Man muss die Hilfskräfte kurzfristig auf jeden Fall in den Ämtern behalten, wenn man die Kontaktnachverfolgung weiter leisten will."
Doch auch langfristig wird die Frage zunehmend wichtiger, wie gut unsere Gesundheitsämter ausgestattet sein müssen. Teichert betont: "Wir haben grundsätzlich schon seit Jahren zu wenig Personal in den Gesundheitsämtern und das ist ein Problem, was jetzt auch dringend angegangen werden muss."
Software-Chaos hält an
Zum anderen geht es aber auch um die fehlende Digitalisierung. Tatsächlich sind auch einige Arzt- und Laborpraxen weiterhin auf Faxgeräte angewiesen. Zudem haben weniger als ein Drittel der 375 Gesundheitsämter in Deutschland die Kontaktnachverfolgungs-Software SORMAS überhaupt installiert. Es herrscht ein gewisses Software-Chaos, das die Bundesregierung eigentlich bis Anfang Januar beheben wollte.
FDP-Politikerin Aschenberg-Dugnus kritisiert: "Die dringend erforderliche Digitalisierung dauert viel zu lange und ist längst überfällig." Dabei könne die vollständige digitale Anbindung der Ämter der "Schlüssel zum Erfolg" sein.
Auch die Kanzlerin zeigte sich am Donnerstag in dieser Hinsicht irritiert. Sie betonte die Wichtigkeit der digitalen Kontaktnachverfolgung und "womit wir uns da alles rumschlagen...". Merkel sagte, die Ministerpräsidenten und sie selbst hätten "jetzt festgelegt, dass bis Ende Februar jeder SORMAS installiert haben soll". Das wäre in gut vier Wochen. ntv fragte beim Gesundheitsamt in Bielefeld nach: Wann ist die Umstellung auf SORMAS geplant? Die Antwort: "Eine kurzfristige Einführung ist nicht geplant."
Wie problematisch es ist, dass die Verwaltung in Teilen von Deutschland so verstaubt ist, fasst der Dortmunder Amtsleiter Renken so zusammen: "Hätten die digitalen Systeme in den Gesundheitsämtern in ganz Deutschland von Anfang an besser funktioniert, dann hätten auch nicht so viele Gesundheitsämter so früh die Kontrolle verloren. Wir hätten deutlich länger mithalten können."
Quelle: ntv.de
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