Die Verhaftungen waren filmreif: Vor fünf Jahren nahm Chinas Polizei den Hedgefonds-Milliardär Xu Xiang (Spitzname: Big Xu) fest, als er im Auto auf dem Weg zu seiner Großmutter war. Dafür sperrte sie eine der wichtigsten und spektakulärsten Brücken des Landes für eine halbe Stunde ab. Doch das war nichts gegen die Verhaftung von Xiao Jianhua. Er wurde 2017 in Hongkong aus einem Luxushotel abgeführt - den Bildern einer Überwachungskamera zufolge mit einer Decke oder einem Laken über dem Kopf in einem Rollstuhl sitzend. Und das, obwohl der damals 44-jährige Milliardär bis dahin stets ohne Rollstuhl unterwegs gewesen war.
Von Xu war erst wieder zu hören, als er später wegen Börsen-Manipulation vor Gericht gestellt und verurteilt wurde. Xiao ist bisher nicht wieder aufgetaucht. Er befindet sich seiner Firma zufolge auf dem chinesischen Festland, wo er seiner Firma zufolge mit den Sicherheitsbehörden zusammenarbeitet.
Als es von Jack Ma, dem Gründer des Online-Giganten Alibaba, wochenlang öffentlich kein Lebenszeichen gab, erinnerte das an andere Tycoons und Prominente, die in der Volksrepublik ebenfalls plötzlich von der Bildfläche verschwunden waren. Zwar war Ma nun nach rund drei Monaten Abwesenheit zumindest wieder in einer kurzen Videobotschaft zu sehen, in der er ankündigt, sich verstärkt um seine wohltätigen Aktivitäten zu kümmern. Doch wo er steckt und warum er so lange nichts von sich hören ließ, sagte er nicht.
Gemeinsam ist den - meist nur zeitweise - verschwundenen Milliardären nicht nur ihr Reichtum. Sie alle haben auch Ärger mit der Staatsführung unter Präsident Xi Jinping bekommen. Bei einigen von ihnen ist bis heute unklar, was aus ihnen geworden ist. Die meisten tauchen jedoch wieder auf. Einem Teil von ihnen wird der Prozess - zumeist wegen Korruption - gemacht. Andere kehren in ihre Firmen zurück - allerdings ohne öffentlich ein Wort darüber zu verlieren, warum sie weg waren.
Finanzsektor im Fokus
Das war beispielsweise bei Zhou Chengijan der Fall. Der Gründer der Modekette Metersbonwe war unauffindbar und für seine Firma auch telefonisch nicht mehr zu erreichen. Die Zeitung "China Daily" zufolge war er festgenommen worden, um Ermittlern bei Untersuchungen wegen möglicher Aktienkursmanipulationen zu helfen. Kurze Zeit später kehrte er zurück. Das Unternehmen wird mittlerweile nicht mehr von ihm, sondern von seiner Tochter geführt.
Für Aufmerksamkeit sorgte auch das Verschwinden von Guo Guangchang, bekannt als der "Warren Buffett Chinas" und einer der Gründer von des Investmentkonglomerats Fosun. Auch er half seiner Firma zufolge den chinesischen Behörden bei Ermittlungen. Der Milliardär tauchte später wieder auf und blieb an der Unternehmensspitze.
Bei all dem geht es der Parteiführung darum, ihren absoluten Machtanspruch durchzusetzen. Präsident Xi hatte nach seinem Amtsantritt im März 2013 angekündigt, gegen die Korruption vorzugehen. Seitdem hat die zentrale Disziplinarkommission der Kommunistischen Partei fleißig gearbeitet. Zehntausende Beamte, Staatsmanager und Funktionäre wurden vor Gericht gestellt.
Zunächst konzentrierten sich die Maßnahmen auf Chinas Staatskonzerne, Verwaltungschefs und die Armee. Später geriet dann der Finanzsektor in den Fokus - in diesen Zusammenhang gehören etwa die Verhaftungen von "Big Xu" und von Xiao. Im Visier der Staatsführung standen vor allem Konglomerate wie Xiaos Tomorrow Group, die in zahlreichen Geschäftsfeldern von Banken bis Rohstoffen unterwegs war. Im vergangenen Sommer teilten die Behörden mit, Tomorrow werde "umstrukturiert", die übernahmen die Kontrolle über neun Tochterfirmen. Offenbar war das undurchsichtige Firmengeflecht so groß geworden, dass die Regierung in ihm eine Gefahr für die Finanzstabilität der Volksrepublik sah.
Das trifft beispielsweise auch auf Anbang zu. Der Versicherungsriese war unter seinem Gründer Wu Xiaohui auf eine wilde Einkaufstour im Ausland gegangen, darunter auch 1,9 Milliarden Dollar für das Hotel Waldorf Astoria in New York. Doch 2017 ging es für Wu steil bergab. Er wurde verhaftet, vor Gericht gestellt und wegen Finanzverbrechen zu 18 Jahren Haft verurteilt. Im vergangenen September wurde mitgeteilt, dass das Unternehmen aufgelöst und abgewickelt wird.
Geht Ma bloß in Deckung?
Nun geht es auch Internet-Mogulen wie Ma an den Kragen, wenn ihre Unternehmen aus Sicht der Regierung eine Bedrohung darstellen - entweder für die Stabilität des Finanzsektors oder dem Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei. Der Alibaba-Gründer vereinigt beides: Mit Ant, dem Finanz-Arm seines Online-Händlers Alibaba, schuf er den dominierenden Bezahldienst in China, der - weitgehend unreguliert - über Apps auch Kredite anbietet.
Ma hatte im Oktober öffentlich die Finanzregulierungsbehörden seines Landes kritisiert. Als Folge davon wurde er von den Behörden zu einem Gespräch einbestellt. Wenige Tage später sagten die Regulierer kurzfristig den Börsengang von Ant ab - es hätte der größte Börsengang der Welt werden sollen. Dann leitete Chinas Behörde für Marktregulierung eine Untersuchung wegen möglicher "monopolistischer Praktiken" gegen Alibaba ein, und Ma war in der Öffentlichkeit nicht mehr zu sehen.
Dass sich Ma in Gewahrsam von Sicherheitsbehörden befindet, wird von den meisten China-Kennern für unwahrscheinlich gehalten. Sie vermuten, dass ihm stattdessen von der Staatsführung nachdrücklich nahegelegt wurde, sich zeitweise ganz zurückziehen. Die Botschaft lautet auch hier: Niemand darf die Kommunistische Partei herausfordern - und jeder, der das macht, kann zur Rechenschaft gezogen werden.
Hinzu kommt eine weitere Entwicklung, die nicht für die Tycoons, sondern auch für die Partei ein Problem ist. Lange galten Unternehmer wie Ma als Symbol für den rasanten ökonomischen Aufstieg Chinas. Ihre Milliardenvermögen wurden dort nicht nur als Ausdruck der wirtschaftlichen Potenz Chinas gesehen, sondern auch als Versprechen, dass jeder Chinese ebenfalls reich werden könne. Ma wurde in China wie ein Rockstar gefeiert.
Erhebliche Ungleichheit
Doch die Zeiten haben sich geändert. Superreiche sind bei vielen Chinesen überaus unbeliebt. Das mag auch daran liegen, dass die Staatsmedien kritischer über sie berichten. Entscheidender ist wohl, dass gigantischer Reichtum in wenigen Händen liegt, während weite Teile der Bevölkerung noch immer arm sind. So hat China der "New York Times" zufolge zwar mehr Milliardäre als die USA. Zugleich verdienen 600 Millionen Chinesen monatlich umgerechnet nur 150 Dollar - oder weniger.
Präsident Xi macht vor diesem Hintergrund klar, was er von den reichen Unternehmern seines Landes erwartet: Kurz nach der Absage des Ant-Börsengangs begab er sich in eine Ausstellung, die Zhang Jian gewidmet war. Der 1926 gestorbene Industrielle gilt als vorbildlich - von der Staatspropaganda wird er als glühender Patriot und Wohltäter dargestellt, der in seiner Heimatstadt Schulen, Straßen, Waisenheime, Krankenhäuser und Bibliotheken gebaut habe.
Xi stellte Zhang als leuchtendes Vorbild dar. Was er allerdings nicht erwähnte: So richtig erfolgreich war Zhang nicht. Nachdem sein Unternehmen 1922 knapp an der Pleite vorbeigeschrammt war und ein Geflecht aus undurchsichtigen Zahlungen und Krediten ans Licht gekommen war, wurde er von einem Bankenkonsortium von der Firmenspitze entfernt. Kurz darauf starb er.
Quelle: ntv.de
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