Deutschlands Vorzeigemanager fiel tief

  26 Januar 2021    Gelesen: 512
Deutschlands Vorzeigemanager fiel tief

Ein System schwarzer Kassen, über das mehr als eine Milliarde Euro Schmiergeld floss, wird zum Tiefpunkt und Ende der Karriere von Heinrich von Pierer bei Siemens. Doch zum 80. Geburtstags des einst einflussreichsten Managers Deutschlands werden auch seine Leistungen wieder gewürdigt.

Fast 15 Jahre stand Heinrich von Pierer als Vorstands- und dann Aufsichtsratschef an der Spitze von Europas größtem Elektrokonzern, war weltweit als "Mr. Siemens" bekannt. Er beriet die Bundeskanzler von Helmut Kohl über Gerhard Schröder bis zu Angela Merkel. Er traf die mächtigsten Politiker und Manager der Welt, sprach vor der Uno. Dann flog 2007 die Schmiergeld-Affäre auf. Für den einstigen Vorzeigemanager Deutschlands, der heute 80 Jahre alt wird, begann eine lange Eiszeit.

"Tragisch" nennt Daniela Bergdolt, Vizepräsidentin der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), dass Pierers Karriere bei Siemens mit der Schwarzgeldaffäre endete. Die Enthüllung schwarzer Kassen, über die beim Vorzeigekonzern der deutschen Industrie Milliarden an Bestechungsgeldern flossen, erschütterte nicht nur die Siemens-Führung. Jahrelang prägte die Affäre die Debatte über Korruption und Unternehmensführung in Deutschland.

Der Skandal trübt bis heute die Sicht auf von Pierers Lebensleistung. Aber die sei gut, sagt Aktionärsschützerin Bergdolt: "Er hat Siemens in die Moderne geführt." Vor Pierer sei Siemens ein altehrwürdiges Unternehmen gewesen, das stolz auf die Leistungen seiner Ingenieure war: "Ob's Gewinn abwarf, war nicht so wichtig". Pierer habe aus dem langsamen Tanker eine Flotte von Schnellbooten gemacht: "Er hat darauf geachtet, dass jeder einzelne Geschäftsbereich auch rentabel ist", sagt Bergdolt. "Zum 80. sage ich ihm: Gut gemacht - dankeschön!"

Was fällt Heinrich von Pierer heute als erstes ein, wenn er Siemens hört? "Dass sich Siemens natürlich sehr verändert hat. Die alte Firma, wie ich sie gekannt habe, gibt es nicht mehr", sagt er. "Ich habe ein ganz normales Verhältnis wieder zu Siemens. Ich spreche mit dem ein oder anderen, von Zeit zu Zeit. Sie hören zu, sind sehr höflich."

Kritikern war Siemens "zu sozial"

Auch offiziell lobt Siemens Pierer heute. Nach dem jahrelangen Rechtsstreit um Schadensersatz für die Schmiergeldaffäre in Millionenhöhe tritt die Affäre wieder in den Hintergrund, Pierers Leistung als Manager in den Vordergrund. Pierer habe "eine Ära geprägt" und "entscheidende Weichen für Wachstum und Richtung des Unternehmens gestellt. Wir gratulieren Heinrich von Pierer herzlich zu seinem Geburtstag und wünschen ihm für die kommenden Jahre viel Glück, Gesundheit und Zufriedenheit", teilt der Konzern mit.

Der promovierte Jurist und diplomierte Volkswirt Pierer fing 1969 bei Siemens in der Rechtsabteilung an, machte in der Kraftwerkssparte Karriere, wurde 1990 in den Konzernvorstand berufen und 1992 zum Vorstandschef.

Mit fast 500.000 Mitarbeitern, aber nur zwei Prozent Umsatzrendite war Siemens manchem Kritiker im Vergleich zum US-Konkurrenten General Electrics damals "zu sozial". Als Siemens 1997/98 der erste Verlust in der Konzerngeschichte drohte, die Aktionäre auf die Barrikaden gingen und Banker über Pierers Ablösung sprachen, änderte er den Kurs. Er brachte Infineon an die Börse, verkaufte die EDV-Sparte Siemens Nixdorf, brachte die Computersparte in ein Gemeinschaftsunternehmen mit Fujitsu, die Atomkraftsparte in eines mit der französischen Framatome ein, baute 30.000 Stellen ab und sanierte die Medizintechnik.

Pierer hielt beim Konzernumbau das Gleichgewicht zwischen den Interessen der Mitarbeiter und denen der Aktionäre. 2002 ernannte der Erfurter Betriebsrat Pierer zu seinem Ehrenmitglied. Der bayerische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sagt: "Es zeichnet von Pierer aus, dass er ebenso von der Chefetage wie auch von der Arbeiterschaft geschätzt wurde." Unter seiner Führung als Vorstandschef bis 2004 hatte Siemens seinen Umsatz verdoppelt und den Gewinn kräftig gesteigert.

"Die Berge werden immer höher"

Im Mai 2006 berief Merkel Pierer noch an die Spitze ihres neuen Rats für Innovation und Wachstum. Im November flog dann auf, dass Siemens-Manager illegal Bestechungsgelder für Hunderte Aufträge im Ausland gezahlt hatten. Rund 1,3 Milliarden Euro waren über schwarze Kassen an Entscheidungsträger in zahlreichen Ländern geflossen, um Aufträge zu ergattern. Der Skandal warf nicht nur ein Schlaglicht auf die Praxis schwarzer Kassen und hoher Schmiergeldzahlungen, die unter deutschen Industriekonzernen erschreckend weit verbreitet war. Sie prägte auch die Debatte über die Corporate Governance, die Unternehmensführung in Aktiengesellschaften, insbesondere über die Rolle langjähriger Manager, die oft routinemäßig in den Aufsichtsrat wechselten und dort ihre Nachfolger kontrollieren sollten.

Pierer musste seinen Posten als Aufsichtsratschef räumen. Bergdolt und die IG Metall begrüßten das. Betriebsratschef Ralf Heckmann bedauerte es, weil Pierer sich wie kein anderer für die Arbeitnehmer und den Standort Deutschland eingesetzt habe. Siemens forderte Schadenersatz und drohte mit einer Klage. Pierer bestritt jede persönliche Schuld, zahlte aber 5 Millionen Euro an Siemens. Die Staatsanwaltschaft fand keinen Hinweis auf eine Straftat Pierers und stellte auch ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen Zahlung eines Bußgelds ein.

"Mir gehts gut, ich kann mich nicht beklagen", sagt Pierer wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag. "ich kann auch noch meinen Sport ausüben, habe einige Beratungsaufträge." An der Universität Nürnberg-Erlangen gibt Pierer heute Seminare an seiner alten Fakultät. "Dieses Semester geht es um die Neuausrichtung von Unternehmen", sagt er und staunt über seine Studenten und Studentinnen: "Ich hätte das nicht gekonnt, so aufzutreten in dem Alter." Gerade hat er ein Buch fertiggeschrieben, es erscheint im März, ein launiger Ratgeber für Chefs und Untergebene. Der ehemalige bayerische Tennis-Jugendmeister hat auch 2020 für seinen Verein Punktspiele ausgetragen, "wie jedes Jahr, schon seit 70 Jahren hintereinander". Und "auf meine alten Tage bin ich meiner Frau gefolgt, die angefangen hat, Golf zu spielen. Und dann gehe ich immer noch zum Skifahren mit meinen Kindern und Enkeln", sagt Pierer. Aber das Alter fordere Tribut. "Die Berge werden immer höher."

Quelle: ntv.de, mbo/dpa


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