In Myanmar hat das Militär die frühere Freiheitsikone und De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi sowie Staatspräsident Win Myint und weitere ranghohe Politiker festgesetzt. Das teilte Myo Nyunt, ein Sprecher der Regierungspartei Nationale Liga für Demokratie (NLD), mit. In einer im Fernsehen vorgetragenen Erklärung verkündete die Armeeführung die Entmachtung der Regierung. Gleichzeitig rief sie einen einjährigen Ausnahmezustand aus.
Der frühere General und bisherige Vize-Präsident Myint Swe fungiere nun als Übergangs-Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht liegt aber bei Armeechef Min Aung Hlaing, der im Notstand die oberste Befehlsgewalt hat, berichtete der vom Militär kontrollierte Fernsehsender Myawaddy.
Seit Tagen hatte es Gerüchte über einen bevorstehenden Militärputsch in dem südostasiatischen Land gegeben. Hintergrund sind Spannungen zwischen der zivilen Regierung und dem mächtigen Militär wegen Vorwürfen des Wahlbetrugs bei der Parlamentswahl vom November. Die NLD hatte die Abstimmung klar gewonnen, das Militär weigert sich jedoch, das Ergebnis anzuerkennen. Das neue Parlament hätte erstmals heute zusammenkommen sollen, wegen der zunehmenden Spannungen im Land war die Sitzung aber auf Dienstag verschoben worden, wie die Zeitung "Myanmar Times" am Freitag berichtet hatte.
BBC berichtet von Soldaten und gekappten Telefonleitungen
Ein ranghoher Militärsprecher hatte in der vergangenen Woche vor Medienvertretern angedeutet, dass es zu einem Putsch kommen könnte, falls die Regierung nicht auf die Vorwürfe des Wahlbetrugs eingehen sollte. UN-Generalsekretär Antonio Guterres rief daraufhin dazu auf, jede Form von "Aufwiegelung oder Provokation" zu vermeiden und das Wahlergebnis anzuerkennen.
Der britische Sender BBC berichtete von Soldaten in den Straßen der Hauptstadt Naypyitaw und der größten Stadt Yangon. Telefonleitungen und das Internet in Naypyitaw seien gekappt worden. NLD-Parteisprecher Myo Nyun rechnete eigenen Angaben zufolge ebenfalls mit seiner baldigen Festnahme durch Sicherheitsbeamte.
Die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi hatte sich bei der Parlamentswahl eine zweite Amtszeit in dem Land mit knapp 54 Millionen Einwohnern gesichert. Ihre Partei NLD holte nach offiziellen Angaben die absolute Mehrheit, die Wahlbeteiligung lag über 70 Prozent.
Doch auch nach der Wahl blieb Suu Kyi auf die Kooperation mit dem Militär angewiesen. Ein Viertel der Sitze in den Parlamentskammern blieb für die Streitkräfte reserviert. So steht es in der Verfassung von 2008, die die Junta aufgesetzt hatte, um auch nach der Einleitung demokratischer Reformen nicht entmachtet zu werden. Wegen einer anderen Klausel kann Suu Kyi nicht Präsidentin werden, sondern regiert als Staatsrätin und somit De-Facto-Regierungschefin das frühere Birma. Ohne das Militär sind auch Verfassungsänderungen nicht möglich, zudem kontrolliert es die wichtigsten Ministerien.
Beobachter hegen Zweifel an Wahl
Nach einem Putsch im Jahr 1962 stand das Land fast ein halbes Jahrhundert lang unter einer Militärherrschaft. Suu Kyi setzte sich in den 1980er Jahren für einen gewaltlosen Demokratisierungsprozess ein und wurde deshalb 15 Jahre unter Hausarrest gestellt. 1991 erhielt sie für ihren Einsatz gegen Unterdrückung und soziale Ungerechtigkeit den Friedensnobelpreis. Im eigenen Land ist die Politikerin sehr beliebt.
International ist die frühere Freiheitsikone mittlerweile aber umstritten. So sind die versprochenen demokratischen Reformen in dem buddhistisch geprägten Land bislang weitgehend ausgeblieben, und Suu Kyi zeigt inzwischen selbst einen immer autoritäreren Regierungsstil. Vor allem wegen der staatlichen Diskriminierung der Rohingya und ihres Schweigens zur Gewalt gegen die muslimische Minderheit steht Suu Kyi international in der Kritik. Mehr als eine Million Rohingya sind vor den Übergriffen des Militärs nach Bangladesch geflohen. In einem Völkermord-Verfahren in Den Haag hatte Suu Kyi die Vorwürfe 2019 zurückgewiesen. Von Genozid könne keine Rede sein, die Armee verteidige nur das Land gegen Angriffe bewaffneter Rebellen, sagte sie damals.
An der Legitimität der Parlamentswahl hatten Wahlbeobachter bereits im Vorfeld der Abstimmung Zweifel angemeldet. Grund: Die Wahlkommission hatte entschieden, dass in mehreren von ethnischen Minderheiten dominierten Konfliktregionen wegen Sicherheitsbedenken gar nicht gewählt werden durfte. Damit seien 1,5 Millionen Menschen von der Abstimmung ausgeschlossen worden, kritisierten Menschenrechtler im November. Zudem konnten Hunderttausende in Myanmar verbliebene Rohingya nicht teilnehmen, nachdem ihnen 1982 die Staatsbürgerschaft entzogen worden war. "Human Rights Watch" sprach von einer Wahl mit "grundlegenden Mängeln".
n-tv
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