Spahn will nicht mehr der Buhmann sein

  01 Februar 2021    Gelesen: 748
Spahn will nicht mehr der Buhmann sein

Beim nationalen Impfgipfel soll es heute darum gehen, wie viele Dosen in den nächsten Monaten für Deutschland zur Verfügung stehen. Spahn will die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilen, die SPD will sicherstellen, dass Spahn weiter der Schuldige ist.

Zu behaupten, die Impfkampagne in Deutschland laufe nicht rund, wäre noch geschmeichelt. Erst setzt der Hersteller Biontech/Pfizer für eine Woche seine Lieferungen aus, wegen Umbaus eines Werkes in Belgien. Dann heißt es von Astrazeneca, es könne zunächst nicht mal die Hälfte der von der EU bestellten Dosen für das erste Quartal 2021 liefern: statt 80 nur 31 Millionen. Nordrhein-Westfalen als größtes Bundesland ruft seine 1,2 Millionen Senioren über 80 dazu auf, sich ab demselben Tag zur selben Uhrzeit einen Impftermin zu besorgen, und ist dann ganz verwundert, dass die Server schlapp machen und die Menschen sich über unterirdisch schlechte Organisation empören.

Der Impfgipfel soll es nun richten - aber wie überhaupt? Die ungünstigen und zu spät geschlossenen EU-Verträge stehen, daran ändert die heutige Bund-Länder-Runde gar nichts. Doch womöglich kann man anderweitig Nutzen aus der Videoschalte schlagen. Das scheint sich zumindest die SPD zu denken. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller schickte Angela Merkel am Freitag einen Brief. Darin wird die "sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin" aufgefordert, "verlässliche und verbindliche Informationen zu den Impfstofflieferungen" zu geben. Planbarkeit "im Sinne eines Lieferkorridors mit Minimal- und Maximalmengen" sei von großer Bedeutung.

Parallel dazu fordert SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" klare Berechnungen, "in welcher Zeit wir wie viele Bürgerinnen und Bürger bei uns impfen können". Es reiche als Planung nicht, dafür neben den Impfzentren irgendwann die Hausärzte einbeziehen zu wollen. "Das scheint mir als Konzept zu sehr aus dem Ärmel geschüttelt zu sein. Der Impfgipfel sollte konkrete Berechnungen beauftragen." Wichtig ist Scholz auch die Feststellung, dass er an den Verhandlungen mit den Pharmakonzernen nicht beteiligt war, die ja von der EU-Kommission geführt wurden. Aus Sicht der SPD soll bitteschön als hiesiger Verantwortlicher weiterhin Gesundheitsminister Jens Spahn im Fokus der Beschwerden stehen. So bemühen sich die Sozialdemokraten nach Kräften, unter den Tisch fallen zu lassen, dass sie selbst als Teil der Bundesregierung eine Mitverantwortung am Impfdebakel haben - Vizekanzler Scholz wäre da als Erster zu nennen.

Offiziell geht es der SPD nicht um Wahlkampf, sondern um Planbarkeit. Das klingt wundervoll, ist aber in der jetzigen Situation ein irreales Ziel. Vor zwei Tagen erst kündigte der Konzern Moderna eine Reduzierung seiner Liefermengen (minus 43.200) an. Seit heute früh 6 Uhr ist bekannt, dass Biontech hingegen im zweiten Quartal, also ab April, 75 Millionen Dosen mehr an die Europäische Union liefern will. Astrazeneca hat sich auch noch einmal zurückgemeldet und legt für die EU neun Millionen Dosen drauf - statt 31 wären so immerhin 40 Millionen Impfungen möglich.

Weitere Kapriolen sind zu erwarten

In einer Situation, in der es weltweit nur drei Impfstoffe gibt, die für die EU geprüft und zugelassen sind, werden diese drei Meldungen ganz sicher nicht die letzten Kapriolen sein, die von den Herstellern geschlagen werden. Planung kann in diesem Fall nur lauten: auf den günstigsten Fall vorbereitet zu sein. Lieber ein perfekt ausgestattetes Impfzentrum ein paar Wochen lang auf halber Kraft fahren lassen, als logistisch nicht hinterher zu kommen, wenn der nächste große Schwung Impfdosen Deutschland erreicht.

Scholz betonte im Vorfeld des Impfgipfels, er habe darauf bestanden, dass auch die Pharmakonzerne daran teilnehmen. Wozu das inhaltlich führen soll, außer die Teilnehmerzahl der Schalte Richtung 30 anzuheben - Vertreter der EU-Kommission sind auch noch dabei -, bleibt fraglich. Vertragspartner der Hersteller wären die Kommission oder die Bundesregierung. Und letztere wäre es auch, die gemeinsam mit den Konzernen ausloten muss, in welcher Form sich Deutschland mit weiteren Fördermitteln daran beteiligen könnte, die Impfstoffproduktion so schnell wie möglich zu erhöhen.

Immerhin, Jens Spahn könnte von der Mega-Schalte profitieren. Je mehr Länderchefs und Kabinettsmitglieder heute mitreden, desto weniger können sich in den nächsten Wochen über neuerliche Änderungen bei Liefermengen und -zeiten beschweren und dabei darauf verweisen, sie seien bei den Gesprächen mit den Impfstoffherstellern ja nicht beteiligt gewesen. Siehe Olaf Scholz.

Ansonsten kann man sich von dem Impfgipfel erhoffen, dass die Bundesländer von ihrem Lockerungswettbewerb zunehmend in einen Impfwettbewerb übergehen. Es wäre tatsächlich ein ausschließlich positiver Effekt für die Impfwilligen zu erwarten, wenn jede Länderchefin und jeder Länderchef mit aller Kraft das Ziel verfolgen würde, in der Rangliste, die den Anteil Geimpfter an der Bevölkerung misst, ganz schnell ganz weit nach oben zu kommen. Denn unabhängig davon, wie oft sich die Liefermengen der drei derzeit nutzbaren Impfstoffe noch verändern - der Anteil, der den Bundesländern zur Verfügung gestellt wird, bleibt immer der gleiche.

Quelle: ntv.de


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