Das ist schon ernüchternd: Da kommen alle Verantwortlichen für eines der wichtigsten Projekte der jüngeren deutschen Geschichte - die Durchimpfung des Landes im Kampf gegen die Corona-Pandemie - zusammen und am Ende ist vor allem Schulterklopfen zu vernehmen. Dabei gab es für diesen Impfgipfel doch nur einen Grund. Nämlich den, dass die lange herbeigesehnte Impfkampagne mindestens enttäuschend angelaufen ist. Und zwar weil alle Beteiligten, die Hersteller, die einkaufende EU-Kommission, die koordinierende Bundesregierung und die umsetzenden Länder, den berechtigten Erwartungen der Öffentlichkeit nicht gerecht geworden sind. Doch am Ende eines langen Nachmittags setzen sich die Bundeskanzlerin und die Vorsitzenden der Ministerpräsidentenkonferenz vor die Kameras und können nicht einen einzigen Fehler ausmachen.
Dass der Einzelkämpfer Großbritannien in Relation zur Bevölkerung ein Vielfaches von dem beschaffen konnte, was die Weltwirtschaftsmacht EU an Impfmitteln erhalten hat? Brüssel war halt vorsichtiger und das ist ja auch nicht schlecht, sagt Merkel sinngemäß. Dass politisch vielleicht nicht alles für mehr Produktionskapazitäten bei den Herstellern unternommen wurde? Viel mehr wäre auch mit Geld nicht zu machen gewesen, erklärten die Unternehmen laut Bundeskanzlerin auf dem Gipfel. Dass Experten und Praktiker immer wieder Zweifel an der starren Priorisierung der zu Impfenden anmelden? An den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission werde nicht gerüttelt, stellt Merkel ohne weitere Erläuterung fest. Dass die Organisation der Impfterminvergabe für die Älteren oft eine Zumutung ist? Ist Ländersache, sagt die Kanzlerin. Und in Berlin laufe es eh super, stellt der Regierende Bürgermeister Michael Müller fest.
Hersteller bekommen Hilfen
Auf Vorschläge von Opposition und Wirtschaftsexperten, finanzielle Anreize für frühere Lieferungen zu setzen, gehen Merkel, Müller und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ebenso wenig ein wie auf Überlegungen, dass der Staat die Patente für die Impfmittel aussetzen könnte, damit weitere Unternehmen in die Produktion einsteigen. Dass mehr Klinikpersonal nun doch früher an Impfmittel kommt, besorgt voraussichtlich die nicht gesicherte Verträglichkeit des Astrazeneca-Mittels bei Älteren. Und weil mit Ausnahme der AfD jede Bundestagspartei an Landesregierungen beteiligt ist, hält sich die politische Empörung über die Impfterminvergabe ebenfalls in Grenzen. Nein, dieser Gipfel hat weder zu einer Abrechnung mit den Fehlern der Vergangenheit geführt noch zu einem grundsätzichen Überdenken der laufenden Strategie.
Dennoch war es gut, dass es diesen Gipfel gab. Denn dass der Impfstart nicht optimal gelaufen ist, gestehen die Verantwortlichen zwischen den Zeilen sehr wohl ein. Die Bundesregierung will fortan die Hersteller mehr unterstützen bei der Lösung von Lieferengpässen bei Chemikalien und Produktionszubehör. Merkel tönt gar, an Geld werde es da nicht fehlen. Nur Geld war ja auch zuvor schon vorhanden, der Austausch mit den produzierenden Unternehmen aber offenbar nicht. Das wirft Fragen auf, insbesondere an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dessen "exzellente Arbeit" Merkel sicherheitshalber lobt - ohne zu bestreiten, dass sie das Impfen nun zur "Chefsache" erhoben habe. (So schrieb es Söder der Kanzlerin zu, während Müller den Gipfel als SPD-Initiative pries - man merkt, die Bundestagswahl naht.)
Vage Pläne für Massenimpfung
Noch mehr Einsicht, dass das erste Quartal nach Zulassung des Biontech-Impfstoffs nicht gut genutzt wurde, spricht aber aus dem Beschluss eines nationalen Impfplans. Söder spricht davon, eine "Plattform zu entwickeln, wo wir uns abstimmen und auch versuchen, da mehr Plan und Struktur hereinzubringen". Was er damit einräumt: An ebenjenem Plan und Struktur hat es bislang gemangelt. Bund und Länder wären mit ihren bisherigen Vorbereitungen wohl gründlich blamiert, würden die Hersteller jetzt schon ein Vielfaches an Impfmitteln ausliefern. Für deren massenhafte Verimpfung besteht nämlich weiterhin kein detaillierter Plan.
Merkel und Söder bekunden ihr Vertrauen, dass 450 Impfzentren und die Struktur der Hausärzte es schon richten werden. Doch das gilt erst, wenn so viele Dosen zur Verfügung stehen, dass bei den noch nicht Geimpften gar keine Priorisierung mehr vorgenommen werden muss. Und wenn die Impfmittel Kühlschrank-kalt gelagert werden können. Davon aber ist Deutschland noch Monate entfernt. So ist der Beschluss eines Impfplans die wenig spektakuläre, aber dennoch ermutigende Einsicht, dass das zweite und dritte Quartal des Impfjahres 2021 deutlich besser vorbereitet sein müssen als das erste. Sich darauf zu konzentrieren, ist momentan allemal wichtiger, als sich an Dingen abzuarbeiten, die nicht mehr zu ändern sind. Oder anders ausgedrückt: Das erste Kind ist im Brunnen, noch ein weiteres darf keinesfalls hineinfallen.
Quelle: ntv.de
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