Olaf Scholz war über Jahre dafür bekannt, das Gegenteil eines politischen Marktschreiers zu sein. Seit jeher hat der Sozialdemokrat das Image eines Parteisoldaten mit dem Charme eines Beamten. Seit einigen Monaten lässt der Finanzminister es auch mal krachen. Das Debakel um die europäische Impfstoff-Bestellung hat ihn so aufgeregt, dass er sagte, dies sei "richtig scheiße gelaufen". Zu einiger Berühmtheit hat es seine weniger kraftvolle, aber dennoch eindrückliche Ankündigung im Juni gebracht: "Wir wollen mit Wumms durch die Krise kommen." Die Verwandlung des Olaf Scholz hat vor allem damit zu tun, dass er inzwischen Kanzlerkandidat der SPD ist und deshalb das Image des kühlen Hanseaten abzustreifen versucht.
"Wumms" macht es allerdings permanent auch im Untersuchungsausschuss des Bundestages, der das Wirecard-Debakel aufklärt. Ständig werden hanebüchene Vorgänge aufgedeckt, die direkt in den politischen Zuständigkeitsbereich von Scholz fallen - und an seinem Image vom Anpacker kratzen. Die SPD setzt längst alles daran, die Beweisaufnahme in dem Gremium Ende April zu beenden, um die Rolle des Finanzministers bei der Aufklärung des Wirecard-Fiaskos möglichst aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten.
Wie sehr Scholz schon unter Druck steht, wird bei seinem Agieren in Bezug auf die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht offenbar. Die als Bafin abgekürzte Behörde erstattete im April 2020 Anzeige gegen einen Journalisten der britischen "Financial Times" - wegen angeblicher Marktmanipulation. Es erwischte den Falschen, die Recherchen des Reporters erwiesen sich als richtig. Vor wenigen Tagen erstattete die Bafin wieder Anzeige, nun gegen einen ihrer Beschäftigten - wegen Insiderhandels. Er soll öffentlich nicht bekanntes Wissen für Geschäfte mit Wirecard-Aktien genutzt haben, während Tausende Anleger in die Röhre schauten.
Opposition hält Hufeld-Rauswurf für Bauernopfer
Scholz zog die Reißleine, Bafin-Präsident Felix Hufeld und seine Stellvertreterin Elisabeth Roegele traten zurück. Um in die Offensive zu kommen, legte der Minister nicht einmal eine Woche später ein Konzept vor, mit der die Bafin reformiert werden soll. Das Konzept geht auf Empfehlungen des Beratungsunternehmens Roland Berger zurück, das die Behörde über Monate durchleuchtet hatte. Die neue Führung der Bafin soll nach dem Willen von Scholz "den Anspruch haben, sich mit den besten Aufsichtsbehörden der Welt zu messen - oder gleich die beste sein zu wollen".
Aus Sicht der Opposition sind Hufeld und Roegele Bauernopfer, die sich Scholz eigentlich gerne für das Ende des Ausschusses aufgehoben hätte. Und auch der Superlativ von der "Weltspitze" hält sie für wortgewaltiges Geklapper, mit dem der Minister versuche, von seinem "Versagen" abzulenken. Zumal ihm auch in Hamburg Ungemach droht. Die Rolle von Scholz in der Cum-Ex-Steueraffäre in seiner Zeit als Erster Bürgermeister der Hansestadt ist hochumstritten. Auf ihm lastet der Verdacht, die lokale Privatbank MM Warburg begünstigt zu haben, was Hamburg zig Millionen Steuergelder gekostet habe.
Tatsächlich hätte der 62-Jährige die Eckpunkte der Bafin-Reform in der Form deutlich früher vorstellen können. Die Kernidee, die Kontrollinstanz zu einer Aufsicht zu machen, die alle Geschäftsbereiche eines Konzerns umfasst, liegt auf der Hand. Denn die Behörde hatte lediglich die Bank-Tochter von Wirecard direkt beaufsichtigt - alle anderen Bereiche des Pleite-Konzerns blieben außen vor. Auch deshalb trägt die Bafin Mitverantwortung für das Desaster des ehemaligen Dax-Unternehmens, das nur deshalb immer neue Millionen von Investoren erhielt, weil diverse staatliche und private Prüfinstanzen versagten.
"Die Fragen an Scholz werden nicht geringer"
"Scholz hat weder vor dem Kollaps von Wirecard richtig und entschlossen gehandelt, noch hat er es danach getan", sagt der Grünen-Abgeordnete Danyal Bayaz. Die Neuaufstellung der Bafin habe er verschleppt. "Der Minister wollte sich einen Schutzraum erhalten. Er macht immer nur das, was er tun muss, um sein Gesicht zu wahren." Mit dem Rauswurf der Bafin-Spitze sei das Thema nicht erledigt. Der Druck auf Scholz werde zunehmen, weil ihm nun mit Hufeld ein Blitzableiter fehle, meint Bayaz. "Die Fragen an ihn und sein Ressort werden nicht geringer - auch inwiefern der Minister selbst informiert gewesen ist."
Der Finanzexperte der Grünen hatte Scholz erstmals im Juli 2020 nach Aktiengeschäften von Bafin-Beschäftigten gefragt. "Da hat er verkündet, sich ab sofort an die Spitze der Aufklärung zu stellen", meint Bayaz. "Ein halbes Jahr später zeigt die Bafin Mitarbeiter wegen Insiderhandels an. Mit Aufklärungswillen hat das nichts zu tun." Florian Toncar, der für die FDP in dem Untersuchungsgremium sitzt, schließt sich den Aussagen an. Scholz müsse sich "endlich" bei allen entschuldigen, die von der Bafin mit haltlosen Anschuldigungen überzogen worden sein, sagt er. Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk geht noch weiter. "Sollte sich rausstellen, dass Scholz von Insiderhandel wusste, dann muss er seinen Hut nehmen", erklärt der AfD-Politiker.
SPD weist Vorwürfe zurück
Die SPD-Fraktion weist alle Verdächtigungen und Vorwürfe zurück, sie steht eisern zu Scholz - wobei alles andere eine faustdicke Überraschung wäre. Jens Zimmermann, der die Sozialdemokraten in dem Ausschuss vertritt, betont: "Es gibt keine konkreten, sondern nur abstrakte Vorwürfe gegen Olaf Scholz, gegen die sich zu wehren eine große Herausforderung ist." Der Beginn des Skandals liege sechs, sieben Jahre zurück - da war Scholz noch in Hamburg. Für die Bafin trage der Minister "am Ende" politische Verantwortung. Deshalb habe er "schon früh" eine interne Untersuchung angeordnet, um Transparenz zu schaffen, und die Reform angeschoben.
Zimmermann erklärt die Lage seines Parteikollegen so: "Entlässt er Hufeld nicht, hält er zu lange an ihm fest. Entlässt er ihn, ist er das Bauernopfer." Weder das eine noch das andere würde die Opposition zufriedenstellen. "Bei all dem Gepolter von FDP, Grünen und Linke" gerate ihm die eigentliche Aufgabe des Ausschusses, das Wirecard-Debakel zu durchleuchten, zu sehr in den Hintergrund. "Unsere Strategie ist, den Betrugsskandal möglichst vollständig aufzuklären, und nicht, Herrn Scholz zu schützen."
Allerdings wird daran mittlerweile selbst in der Union gezweifelt. Matthias Hauer, CDU-Mitglied des Ausschusses, sagt ohne Rücksicht auf Koalitionsdisziplin: "Wir haben oft den Eindruck, dass es der SPD vor allem darum geht, ihren Kanzlerkandidaten zu schützen." Das sehe man schon daran, dass sie sich vor allem auf die Wirtschaftsprüfer konzentriere, für deren Aufsicht CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier zuständig sei. Die Union verhalte sich anders. "Wir haben zum Beispiel auch Karl-Theodor zu Guttenberg hart angepackt, der ja bekanntlich in der CSU ist. Und wir werden uns auch kritisch dem Hauptkomplex Bafin zuwenden, für den Herr Scholz nun mal als oberster Dienstherr zuständig ist."
Quelle: ntv.de
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