Kann er nicht oder will er nicht?

  20 Februar 2021    Gelesen: 485
 Kann er nicht oder will er nicht?

Für das Chaos bei den Coronahilfen ist der Wirtschaftsminister der Buhmann, dabei trägt er die Schuld nicht allein. Altmaier habe "zu wenig Drive", um sich gegen Finanzminister Scholz zu stellen, heißt es aus der Opposition.

Es ist Samstag und Peter Altmaier hat wieder eine Woche Coronakrise überstanden. Am Montag hat Wolfgang Kubicki seine Ablösung gefordert. Am Dienstag traf sich der Bundeswirtschaftsminister mit 40 Wirtschaftsverbänden in einer Videoschalte, um sich zwei Stunden lang deren Beschwerden über die mangelnde Öffnungsstrategie und das Chaos bei den Coronahilfen anzuhören. "Macht endlich Dampf", forderte Bayerns Regierungschef Markus Söder am Aschermittwoch aus dem CSU-Wohnzimmer heraus. Und auch von den anderen Rednern in den digitalen Bierzelten ließ kaum einer die Gelegenheit ungenutzt, um Altmaier einen mitzugeben. Am Donnerstag sprachen sich 38 Prozent der Befragten in einer Umfrage im Auftrag von ntv und RTL dafür aus, Altmaier solle zurücktreten. Und am Freitag kam Kritik vom bayerischen Finanzminister.

In der Rückschau war es womöglich sogar eine bessere Woche als die vorherige, in der die verzögerten Coronahilfen im Bundestag diskutiert wurden. Es sei "ein Skandal, dass die Wirtschaftshilfen bei den Menschen nicht ankommen", erklärte die FDP. Doch die sind wenigstens Opposition und harsche Kritik in dem Sinne erwartbar. Aber mit den eigenen Leuten erging es Altmaier nicht besser. Eine Sitzung der Unionsfraktion wurde zu einer Art Klassenrat, wo jeder Parteifreund, der wollte, mal ganz unverhohlen sagen konnte, was seiner Meinung nach an Altmaiers Politik das Hauptproblem ist. Spätestens da schien ein Zustand von Druck erreicht, von dem sich ein Minister kaum noch selbst befreien kann. Abgesehen von der Frage, wie lange man es aushält, in einer ohnehin etwas unentspannten Öffentlichkeit permanent der Buhmann zu sein.

Bezüglich letzterer Frage muss man Altmaier wohl eine beeindruckende Resilienz attestieren, und zwar eine andere Art von Widerstandskraft, als sie sein Kabinettskollege Andreas Scheuer an den Tag legt. Während der Verkehrsminister angesichts von mutmaßlichen Milliardenschäden durch zu früh abgeschlossene Mautverträge bis heute die Stirn hat zu behaupten, er habe nichts falsch gemacht, setzt sich Altmaier in eine Live-Schalte und sagt: "Erst einmal entschuldige ich mich dafür, dass es so lange dauert." Das hat Charakter. "Wenn ich irgendeine Möglichkeit gesehen hätte, es zu beschleunigen, so ich hätte es gemacht."

"Altmaier hat zu wenig Drive"

Man möchte ihm das sofort glauben. Das Problem ist ein anderes: Wenn der Minister keine Möglichkeit zur Beschleunigung gesehen hat, heißt das nicht, dass es sie auch nicht gab.

Das Wirtschaftsministerium sah sich im Herbst gezwungen, eine ganz neue Software entwickeln zu lassen, damit Milliardenhilfen beantragt und ausgezahlt werden konnten. Warum? Die vom Teil-Lockdown betroffenen Betriebe sollten eine neu und vor allem großzügiger berechnete Unterstützung bekommen als zuvor. Anstelle des bis dahin ausgezahlten Zuschusses zu den Fixkosten sollten es 75 Prozent des Vorjahresumsatzes sein.

Doch für ein Hilfsprogramm, das neu berechnet wird, braucht man auch Datenverarbeitung, die auf den neuen Bedingungen basiert. Die Bundesländer, die bislang die Soforthilfe und Überbrückungshilfe 1 verwaltet hatten, lehnten ab, das nun erneut zu tun. Die Finanzämter, die alle nötigen Fakten über die Antragsteller bereits gehabt hätten und darum von vielen für die Aufgabe favorisiert wurden, sollten es auch nicht übernehmen. Unter anderem war das Finanzministerium dagegen.

Schließlich blieb es an Altmaier hängen, eine komplett neue Software entwickeln zu lassen, womit er heillos in Verzug geriet und nun die Schelte für etwas bezieht, was außer ihm niemand erledigen wollte. Ankreiden kann man ihm das Versagen dennoch: Denn die gewählte war vermutlich die schlechteste Lösung. Der Minister hätte im Streit mit Olaf Scholz, dem Chef des Finanzressorts, nicht nachgeben dürfen.

"Altmaier hat zu wenig Drive, um sich gegen Scholz zu stellen", so sieht es Katharina Dröge, parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen. Und tatsächlich gerät Peter Altmaier immer wieder in Situationen, in denen Vorhaben im Sinne der Wirtschaft an mangelnder Durchsetzungskraft gegenüber dem Finanzressort scheitern. Wie etwa der Unternehmerlohn für Soloselbstständige, für den es im Wirtschaftsflügel der Union viel Zustimmung gab. Altmaier konnte also mit einigermaßen breitem Rücken in die Verhandlung mit Scholz gehen, doch der blockierte. Der Wirtschaftsminister ließ sich auf einen Kompromiss ein - heraus kam eine "Neustarthilfe” als Einmalzahlung und Enttäuschung bei den Betroffenen.

"Ankündigungsminister"

Eine Ausweitung des Verlustrücktrags, also der Möglichkeit, Verluste aus den Corona-Jahren mit Einkünften aus den Vorjahren zu verrechnen und damit deren Steuerlast zu senken, kündigte Altmaier im Mai 2020 an. Statt sie zu beschließen, wurde über Monate diskutiert, weil der Finanzminister dagegen war. FDP und Grüne plädierten dafür, mehrere Bundesländer machten sich stark, "im Bundestag haben CDU-Wirtschaftsexperten schon Reden gehalten, in denen sie etwas forderten, was ihr eigener Wirtschaftsminister nicht umsetzt", erinnert sich Wirtschaftsexpertin Dröge. In diesem Fall gab Scholz schließlich nach Monaten des Widerstands seine Weigerung auf.

Nicht immer wird allerdings deutlich, ob der Wirtschaftsminister sich nicht gut durchsetzen kann, oder ob er sich womöglich gar nicht durchsetzen will: Mit einer neuen Industriestrategie brachte er vor zwei Jahren den Mittelstand gegen sich auf. Altmaier schlug in einem Papier vor, Firmenzusammenschlüsse und Übernahmen zu erleichtern durch Änderungen im Wettbewerbsgesetz. "Wir brauchen mehr europäische Champions", lautete die Devise, die notfalls auch mit befristeten Staatsbeteiligungen zu erreichen sei. Der Mittelstand jedoch fand in der Strategie schlicht nicht statt und bemängelte das entsprechend.

Ein "Irrweg" mit planwirtschaftlichen Elementen sei die Industriestrategie. Stattdessen müsse der Mittelstand als Stütze der Wirtschaft gestärkt werden, forderte der Verband der Familienunternehmer und legte sogleich eine Gegenstrategie vor. Weitere Gegenstrategien kamen auch von Industrieverbänden. Als Altmaier ein halbes Jahr später die reichlich überarbeitete Endfassung auf den Markt warf, strebte er nicht einmal mehr an, dass seine Position auch die Strategie der Regierung - also das politische Ziel - werden sollte. "Ich muss das nicht haben", so der Kommentar des Ministers. Wozu dann der ganze Aufwand?

Wozu - diese Frage stellte sich auch, nachdem Altmaier im Herbst Einzelhändler zu einem Innenstadt-Gipfel geladen hatte. Ein runder Tisch zur Unterstützung der Citys. "Eine rein therapeutische Maßnahme ohne jedes Ergebnis", fasst FDP-Fraktionsvize Michael Theurer im Gespräch mit ntv.de zusammen. Und tatsächlich hat man vom Innenstadt-Gipfel danach nie wieder etwas gehört. Ebenso verhält es sich mit dem Belastungs-Moratorium, das dem FDP-Mann im Reigen von Altmaiers folgenlosen Initiativen auch noch einfällt. Eine Ankündigung aus dem Mai vergangenen Jahres - bis heute ohne Konsequenzen. "Ankündigungsminister" nennt Theurer den Chef des Wirtschaftsressorts am liebsten.

Nur laut gedacht

Die Frage, welche Absicht hinter einem Vorstoß steht, ließ sich auch vor zwei Wochen schwer beantworten, als Altmaier mit seiner Idee, Staatsbeteiligungen zu veräußern, um mehr Geld für Investitionen zu bekommen, an die Öffentlichkeit ging. Auf Nachfrage der Grünen stellte das Ministerium klar, die Äußerungen des Ministers hätten sich nicht "auf konkrete Beteiligungen" bezogen. Zugespitzt ausgedrückt: Der Wirtschaftsminister hatte nur laut gedacht.

So wirkt es zuweilen, als finde der Wirtschaftsminister vor allem Gefallen an theoretischen Überlegungen, am Blick auf das große Ganze. Pragmatismus, Praxisnähe und kämpferisches Auftreten für die Belange derjenigen, deren Fürsprecher er qua Amt sein sollte, vermissen vor allem Mittelständler und Kleinunternehmer. Viele fühlen sich allein gelassen, während für große Konzerne wie Lufthansa und TUI schon früh in der Krise Lösungen gefunden wurden.

Die pure Zahl an Überarbeitungen der Regeln für die Coronahilfen zerrten und zerren an den Nerven der Unternehmer. So oft wurde das Vertragswerk umgeschrieben, "dass die Steuerberater auf die Barrikaden gegangen sind und sagen, wir können dafür nicht einstehen, wenn wir keine klaren und verlässlichen Antragsunterlagen beziehungsweise Regelungen haben", beschrieb Reinhold von Eben-Worlée, Präsident der Familienunternehmer, im Deutschlandfunk das Problem.

Nach der schnellen und pragmatischen Soforthilfe hat man sich im Kleinteiligen verloren, so scheint es. Die Bürokratie kehrte zurück, Betrugsverhinderung schien zeitweilig wichtiger als der Anspruch, schnell zu helfen. "Es wurde so kompliziert, dass viele Betroffene gar nicht mehr mitgekriegt haben, wenn sich die Bedingungen schon wieder verändert hatten", so erlebte Katharina Dröge die Verzweiflung im Mittelstand. Manchen Selbstständigen musste sie erst versichern, dass sie tatsächlich berechtigt sind, Hilfe zu beanspruchen. "Das Chaos ist noch immer riesig und die Situation für alle belastend. Manche haben einfach im Kopf zugemacht."

Nach einem Jahr Coronakrise attestiert die Grüne dem Wirtschaftsminister mangelndes Management, aber auch mangelnde Empathie für die Branchen jenseits der Konzernriesen. Wie um diesen Eindruck zu widerlegen, kam Altmaier am Dienstag mit den Wirtschaftsverbänden zum Krisengipfel zusammen. Anders als beim Innenstadtgipfel präsentierte er anschließend zumindest ein Ergebnis.

Zum einen will sich Altmaier in der nächsten Konferenz zwischen Bund und Ländern für eine Öffnungsperspektive stark machen. Ein Vorschlag dazu soll von den Verbänden kommen. Zum anderen machte er Hilfszusagen für größere Handelsunternehmen und kündigte einen Härtefallfonds an für solche, die bislang durch das Raster der Hilfe gefallen sind. Das stieß auf Zustimmung. Die Finanzierung muss er dann nur noch bei Olaf Scholz durchsetzen.

ntv


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