Im Sommer 2017 hat Österreichs größter Glückspielkonzern Novomatic ein Problem, eine Millionen-Steuernachforderung in Italien. Die Art von Problem also, das nur die richtigen Leute lösen können, ein Außenminister zum Beispiel. Der heißt zu dieser Zeit Sebastian Kurz, zu dem Novomatic-CEO Harald Neumann einen indirekten Draht hat über dessen Vertrauten Gernot Blümel. Also schickt Neumann eine SMS an Blümel: "Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz (erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problemes das wir in Italien haben! (…) lg Harald."
Rund drei Jahre später finden Ermittler in Österreichs größtem Korruptionsskandal diese und andere verdächtige SMS, fahnden weiter, durchsuchen dabei am vergangenen Donnerstag das Haus von Gernot Blümel, der mittlerweile Finanzminister ist. Und nun hat auch Sebastian Kurz ein Problem, und zwar die Art von Problem, das eine Staatskrise auslösen könnte: Der Bundeskanzler der Republik Österreich und seine Partei sinken gefährlich ein in den Korruptionssumpf von Ibiza.
"Novomatic zahlt alle", hatte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache damals gesagt, und nun steht der Verdacht im Raum, dass das auch für Sebastian Kurz gilt. Im Versuch, sich schadlos zu halten, attackiert Kurz die Justizbehörden, doch immer weitere brisante Details sickern durch - und der Koalitionspartner geht spürbar auf Distanz.
Martina oder Sebastian Kurz?
Ob der Termin zwischen dem damaligen Außenminister und Novomatic wirklich zustande kam, ist zwar nur ein Detail in Korruptionsermittlungen, aber hart umkämpft: Die Ermittler fanden im Terminkalender von Novomatic-Eigentümer Johann Graf einen Eintrag "Kurz" für den 25. Juli 2017. Den Beteiligten zufolge liegt hier eine Verwechslung vor: Gemeint sei Martina Kurz, Aufsichtsrätin bei Novomatic und Grafs Schwiegertochter. Beide haben entsprechende eidesstattliche Erklärungen abgegeben.
Laut Ermittlungsakte, aus der die SPÖ zitiert, wussten die Ermittler von der Namensgleichheit, hielten einen Termin mit der Schwiegertochter aber für unplausibel - auch, weil für Termine mit Verwandten normalerweise die Vornamen vermerkt werden.
Grüne stellen sich gegen Kurz
Kurz dementiert sowohl das Treffen als auch etwaige Spenden und hält sich und seinen Finanzminister damit schon für entlastet - mehr noch, die ÖVP sieht das "ganze Kartenhaus in sich zusammenfallen", wie es Fraktionschef August Wöginger ausdrückte, und geht zum Gegenangriff auf die Aufklärer der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft über: Kurz sprach von "Verfehlungen" der WKStA und forderte Reformen. Ein öffentlicher Vertrauensentzug, mit dem der Bundeskanzler nicht nur die Opposition und die Berufsverbände der Richter und Staatsanwälte gegen sich aufbrachte - sondern mit den Grünen auch den eigenen Koalitionspartner.
"Die ÖVP fährt die Strategie: Angriff ist die beste Verteidigung", sagt Grünen-Vizechefin Nina Tomaselli ntv.de. "Aber das ist sehr durchsichtig." Die Grünen halten das Justizministerium und dort der WKStA den Rücken frei. "Saubere Umwelt, saubere Politik", unter diesem Motto waren die Grünen in den Wahlkampf gegangen, so Tomaselli: "Wir werden keine Sekunde wegschauen, wenn unser Partner in Korruption involviert ist. Und wir lassen es nicht zu, dass die ÖVP eine der tragenden Säulen der Demokratie anschießt." Den heftigen Streit um die Justiz wollen die Grünen nutzen, um ein paar Pflöcke in Sachen Transparenz einzurammen: Das Amtsgeheimnis soll endlich fallen und ein Generalbundesanwalt installiert werden, der politisch unabhängig besetzt wird.
Ist Ibiza doch eine Insel in Österreich?
Die Grüne Nina Tomaselli sitzt auch im Ibiza-Untersuchungsausschuss und befragte dort im Sommer die Auskunftsperson Sebastian Kurz. "Ich war, wie Sie wissen, nicht auf Ibiza", sagte der Kanzler damals, eine Verteidigungslinie, die er gleich nach dem Erscheinen des Videos hochgezogen hatte, als er die Koalition mit der FPÖ von Heinz-Christian Strache sofort aufkündigte. Ausschlaggebend, so Kurz damals: "Die Ideen des Machtmissbrauchs", die sein Vizekanzler in der Finca wälzte, angestachelt von Wodka-Bull und den angeblichen Millionen der "schoafen" Oligarchen-Nichte.
Strache gab sich damals nicht nur Machtfantasien hin, sondern auch einen Crashkurs in Sachen österreichische Realpolitik: Medienpolitik mit dem Portemonnaie, Spendenzahlungen an parteinahe Vereine und am Rechnungshof vorbei, Staatsaufträge an reiche Gönner - Straches Prahlereien haben einen wahren Kern, der in Österreich in der landestypischen Verniedlichung "Freunderlwirtschaft" heißt.
Kurz war angetreten mit dem Versprechen, dieses System zu beenden. Der Ibiza-Untersuchungsausschuss lässt Zweifel aufkommen, ob das in der türkis-blauen Regierung von ÖVP und FPÖ bis 2019 ernsthaft angegangen wurde. Nina Tomasellis Zwischenfazit fällt vernichtend aus: "Unser Befund ist: Türkis-Blau war ein System, das vor allem den wohlhabenden Freunden und Gönnern von ÖVP und FPÖ diente. Sie haben Politik vorbei an den Bedürfnissen der Bevölkerung und vorbei an der parlamentarischen Kontrolle gemacht." Schon jetzt haben die Ermittler und der Ausschuss einige Mauscheleien zutage gefördert, etwa in der "Causa Casinos", in der die FPÖ einen der Ihren als Aufsichtsrat durchgedrückt und im Gegenzug Online-Glücksspiellizenzen versprochen haben sollen. Nutznießer: Novomatic.
"Tu's für mich"
"Novomatic zahlt alle", so lautete einer der berühmtesten Sätze Straches auf der Finca. Aber gilt das auch für Sebastian Kurz? Die ÖVP hat Spenden von Novomatic kategorisch ausgeschlossen. Allerdings finden sich in den zahlreichen Leaks, die nun in österreichischen Medien kursieren, Indizien für eine allzu enge Nähe zwischen der Partei und dem skandalumtosten Glücksspielkonzern.
Das in der SMS erwähnte "Problem in Italien", bei dem es der Zeitung "Die Presse" zufolge um eine Steuernachzahlung von 60 Millionen Euro ging, die auf 20 Millionen Euro gedrückt werden konnte, delegierte Blümel an einen Parteifreund im Finanzministerium - mit den Worten: "Tu's für mich." Ein ganz normaler Service für ein großes Unternehmen, verteidigte sich Blümel.
Aber auch in ganz persönlichen Dingen wandte sich Novomatic-CEO Neumann an Blümel. So berichtete er von der Jobsuche seiner Freundin, die Blümel "schonmal im Fitnesscenter" gesehen habe: "Glaubst du gibt es eine Möglichkeit, im Gesundheits- oder Landwirtschaftsministerium?" Blümels Antwort: "Sie soll mir ihren Lebenslauf schicken und ich schau mal". Ratschläge in Personalfragen gab Neumann im Wahlkampf 2017, als er von zwei Quereinsteigern auf der Liste abriet: "Sorry für die offenen Worte, aber der Oktober ist zu wichtig! LG Harald".
Immer wieder bat Neumann Blümel um Treffen mit Sebastian Kurz, was den Eindruck erweckt: Blümel war nur ein Türöffner. Eigentlich, so interpretiert es zumindest die "Financial Times" nach Lektüre der 600 Seiten starken Ermittlungsanordnung, müssten die Ermittler auch bald an der Tür des Kanzlers klopfen, schließlich falle der Name Kurz noch wesentlich öfter als der Name Blümel.
Ex-Staatsanwältin klagt über Interventionen
Die Aufmerksamkeit der Ermittler erregte auch eine firmeninterne Nachricht, in der es um Parteispenden an die ÖVP geht. Der Chef des österreichischen Motorrad- und Sportwagenherstellers KTM, Stefan Pierer, einer der größten Unterstützer von Kurz, hatte im Sommer 2017 versprochen, alle eingegangenen Wahlkampfspenden zu verdoppeln. Der Kommentar des Novomatic-Chefs Neumann dazu: "Wir haben noch etwas besseres vor ;-)".
Was das gewesen sein könnte, müssen die Ermittler jetzt inmitten einer aufgeheizten politischen Atmosphäre klären.
Mit welchem Druck die Korruptionsjäger umgehen müssen, wurde vergangene Woche deutlich, im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Dort sagte Christina Jilek aus, 13 Jahre lang in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, bis sie im Herbst hinschmiss.
Warum, erzählte sie in ihrem Eingangsstatement, das der Republik Österreich kein gutes Zeugnis ausstellt: "Eine effektive, schlagkräftige und zügige Korruptionsbekämpfung [ist] systembedingt nicht möglich." Eine unabhängige und vollständige Aufklärung des Ibiza-Verfahrens sei schlicht nicht möglich gewesen: "Es gibt zu viele Störfeuer."
Quelle: ntv.de
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