Die Kollaps-Drohung zieht nicht mehr

  27 Februar 2021    Gelesen: 426
Die Kollaps-Drohung zieht nicht mehr

Während die Corona-Mutante die Ansteckungszahlen wieder nach oben treibt, mehren sich vor dem nächsten Bund-Länder-Gipfel die Forderungen nach Lockdown-Lockerungen. Die Warnung vor einer Überlastung des Gesundheitssystems verliert an Überzeugungskraft.

Es mutet an wie ein Treppenwitz der Geschichte von Angela Merkels Regierungszeit: Ausgerechnet ein CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident ist ihr als wichtigste Stütze im letzten großen Gefecht ihrer Kanzlerschaft geblieben. Im Ringen gegen eine dritte Corona-Infektionswelle steht Merkel vor der Ministerpräsidentenkonferenz am Mittwoch ansonsten fast allein auf weiter Flur. Der kleine Koalitionspartner SPD dringt auf Lockerungen, ebenso die auch von der CDU regierten Bundesländer, die schon am Montag erste, teils unabgesprochene Öffnungsschritte unternehmen. Landauf, landab wächst die Lockdown-Müdigkeit und sinkt die Corona-Disziplin. Derweil übernimmt die aggressivere Corona-Mutante B.1.1.7 eher still als heimlich das Geschehen.

Auch wenn die Kanzlerin in keinem ihrer zuletzt wieder zahlreicheren Interviews Fehler in ihrer Pandemiepolitik einräumen wollte oder konnte: Wenn Merkel noch einmal breite Zustimmung zu einem fortgesetzten strikten Lockdown erzielen will, wird sie sich vorher fragen müssen, warum sie in Corona-Fragen zunehmend Autorität und Mitstreiter verliert. Eine Erklärung dürfte in der öffentlich kommunizierten Corona-Strategie liegen. Diese fußt im Kern noch immer auf der Verbreitung einer Schreckensvision: dem möglichen Kollaps des Gesundheitssystems.

Es geht nicht darum, jeden Toten zu verhindern
Weil die befürchtete Überlastung aber bislang nie eingetreten ist - den Anstrengungen von Bevölkerung, Politik, Ärzten und Pflegenden sei Dank -, bringt dieses Horrorszenario aber immer weniger Regierende und Regierte auf Linie. Das zentrale Argument für die Lockdowns und Shutdowns der vergangenen Monate verliert an Gewicht - umso mehr, als das mit der absehbaren Durchimpfung der alten Menschen die Zahl der Intensivfälle immer weiter sinken wird.

Mit der voranschreitenden Durchimpfung der Bevölkerung geht es zunehmend weniger darum, einen potenziell verheerenden Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, als um eine möglichst niedrige Zahl an Toten und Schwererkrankten. Die Zahl schwerer Covid-Verläufe auch bei den gesunden unter 60-Jährigen - den letzten in der Impfreihenfolge - möglichst gering zu halten, ist eine allgemein verständliche Notwendigkeit. Anders als einen Zusammenbruch des Ganzen abzuwenden, rechtfertigen diese Bemühungen aber nicht per se alle erdenklichen Kosten. Eine vor allen Risiken einer Covid-Erkrankung gänzlich geschützte Gesellschaft ist unrealistisch und war offiziell auch nie das Ziel.

n-tv


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