"Es gibt keinen Mangel an Schnelltests." Das sagte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums vor einer Woche, schließlich habe sich Deutschland 800 Millionen Stück für dieses Jahr gesichert. "800 Millionen Schnelltests brauchen wir aber allein für die nächsten paar Wochen und nicht für dieses Jahr", kritisiert Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrats, am Sonntagabend in der ARD-Talkrunde bei Anne Will. Die Suche nach dem Weg aus dem Dauer-Lockdown ist das Thema, denn die Schließungen setzen den Bürgerinnen und Bürgern immer stärker zu. Schnelltests, da sind sich die Diskutanten einig, sind einer der Bausteine für kontrollierte Öffnungen - gerade auch weil die Impfkampagne mehr als schleppend verläuft.
Woopen, die schon im März 2020 für den Entwurf von Ausstiegsszenarien plädierte, hält einen Monolog, der es in sich hat. Die Ethikratsvorsitzende, die auch im Corona-Expertenrat des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet sitzt, schlägt einen "Strategiewechsel" vor, obwohl es eigentlich keine wirkliche Strategie für Öffnungen gebe. "Wir stecken fest im Teufelskreislauf", sagt sie. "Viele Menschen sind emotional erschöpft, sind existenziell bedroht, sind perspektivlos, weil die Politik sich immer nur von Lockdown zu Lockdown und von Konferenz zu Konferenz hangelt."
Am Mittwoch folgt der nächste Corona-Gipfel von Bund und Ländern. Woopens Vorschlag: vom Reaktiven ins Proaktive. Das heißt: "Vorsichtige, begleitete und geschützte Öffnungen". Diese sollten aber nicht an Zeiten und Daten und auch nicht an Bereiche und Wirtschaftszweige gebunden werden, sondern am Vorhandensein von neuen und besseren Schutzkonzepten. "Denn die dritte Welle kommt definitiv, wenn Öffnungen mit den momentanen Schutzkonzepten stattfinden." Es bräuchte unter anderem eine Korrektur der Impfstrategie, inklusive einer besseren Kommunikation, und vermehrt Schnell- und Selbsttests, einhergehend mit "einer Kommunikationskampagne, wie das genau geht".
Die Pandemie kontrollieren, dabei sollen Schnelltests helfen. Dafür plädiert auch Kanzlerin Angela Merkel. Mit Jens Spahns 800 Millionen für 2021 stehen bei 43 verbleibenden Wochen jedem Bürger aber nur etwa zehn Tests zur Verfügung. "Und das soll kein Mangel sein?", fragt Woopen. Helge Braun ist in bei Anne Will als Vertreter der Bundesregierung geladen. Der Chef des Bundeskanzleramts sagt: "Seit Oktober gibt es die Schnelltests und nun in einer ganz anderen Größenordnung. Wir werden das Angebot schaffen, dass jeder Schnelltests bekommt, wenn er möchte." Woopen kontert: "Selbst zweimal die Woche testen ist nicht genug." Jeden Tag testen, das bräuchte es ihrer Meinung nach.
Tests sind da, aber nicht genug
CDU-Mann Braun windet sich, gerade wenn es um Selbsttests für die Benutzung Zuhause geht. Der Kanzleramtschef spricht von Tests, die vor Ort in Apotheken und Gesundheitszentren durchgeführt werden können, bleibt aber vage. Immerhin verspricht er: "Die Tests sollen kostenlos sein." Wie viele die Bürgerinnen und Bürger bekommen und ob alle immer kostenlos sind, sagt er nicht. Ein Einspieler zeigt, wie das Nachbarland Österreich schon Wochen voraus ist.
Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar glaubt, viele in Deutschland hätten derzeit das Gefühl: "Jetzt kommt die Impfung, dann ist alles vorbei." Das werde aber nicht passieren, das Virus werde bleiben. "Corona ist eine Never-Ending-Story." Deshalb bräuchte es vermehrt die Schnell- und Selbsttests. Damit es irgendwann aber wirklich genug Tests für alle gibt, "muss in die Produktionskapazitäten investiert werden", ermahnt die Ethikratsvorsitzende Woopen. Auch in neuere, schnellere Tests, die etwa nur 20 Sekunden bräuchten und im Mund durchgeführt werden könnten. "Das ist alles viel günstiger als der Lockdown", meint sie.
Kanzleramtschef Braun findet, dass mit den Tests "Öffnungen einhergehen können". Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ebenfalls Teil der Will-Runde, sieht das ähnlich, erkennt aber "keine durchdachten Konzepte bisher". Auf dem Gipfel am Mittwoch müsse ein Papier auf den Tisch kommen, "damit die Öffnungen, die es jetzt schon gibt, eine sichere Perspektive bekommen". Die Tests gehören für sie "entscheidend dazu", nur damit könne geöffnet werden: "Es muss klar gesagt werden: Wann sind die Tests da und wo kriege ich sie."
Ein wichtiger Bestandteil des Strategiekonzepts von Woopens Ethikrat ist aber auch "eine digitale Plattform für umfassende, tagesgleiche Infektionskettenverfolgung, an dem sich die Gesundheitsämter anschließen können". Sie würde zusammen mit mehr Tests ein stabiles Sicherheitsnetz für kontrollierte Öffnungen ermöglichen. Deutschland habe schließlich immer noch keinen epidemiologischen Überblick: "Es kann nicht sein, dass das RKI immer noch nicht weiß, wo fünf Sechstel der Infektionen herkommen."
App soll Kontaktverfolgung effizienter machen
Für diesen Teil der Sendung hat Anne Will Smudo eingeladen. Der Rapper der "Fantastischen Vier" ist Mitentwickler der "Luca"-App zur Nachverfolgung von Infektionsketten. "Bei einem Hund, der von Flöhen befallen ist, kann man die Lupe anhalten", erklärt Smudo sein Tool mit einer Allegorie. "Wir sehen die Viren aber nicht und das RKI die Fälle nicht." Die Corona-Warn-App sei bei den Infektionsketten nicht erfolgreich. Seine App, die in mehreren Regionen Deutschlands schon verwendet wird, benutzt QR-Codes für die verschlüsselte Kontaktdatenübermittlung für jegliche Art von Gastgeberinnen und Gastgebern und ihren Gästen.
"Biep", macht Smudo den Kontakt zweier Handys vor, wenn man etwa ins Restaurant geht, in die U-Bahn steigt oder ins Kino geht. Voraussetzung ist natürlich, dass vor Ort dann entsprechende QR-Codes zum Scannen vorhanden sind. Anders als die Corona-Warn-App sei "Luca" ein "aktives Tool", denn das Kontakttagebuch müsse aktiv vom Nutzer freigegeben werden. "Aber die Benutzer wollen ja die Flut aufhalten", sagt Smudo. Die Daten würden dann an die Gesundheitsämter übermittelt, die angedockt werden sollen. So könne man einfach den Ort der Infektion, die Infizierer (und sogar deren Infizierer) ermitteln. Ein Restaurant müsste bei einem positiven Fall das Hygienekonzept überarbeiten und nicht direkt schließen und die jeweiligen Kontaktpersonen in Quarantäne, aber nicht die ganze Stadt.
Kanzleramtschef Braun erkennt zwar an, dass bei Öffnungen "andere Tools helfen können", deren Wirkung sei aber "begrenzt, weil man die Menschen dazu nicht zwingen kann". Er lobt sicherheitshalber noch mal seine Corona-Warn-App und erzählt stolz, dass nun bald alle Gesundheitsämter die gleiche Software zur Kontaktverfolgung benutzen. Allein der Fakt, dass dies nach mehr als einem Jahr Pandemie noch nicht passiert ist, zeigt, wie sehr Deutschland digital hinterherhinkt. Der Gedanke liegt nahe, dass das mit den Schnelltests und Öffnungsstrategien auch nicht so fix gehen dürfte.
Quelle: ntv.de
Tags: