Kinder mit Atemstillstand, blauen Lippen, Krämpfen, verdrehten Augen: Blaulicht-Einsätze des Rettungsdienstes in vier Kitas. Doch nur in einem Fall in Viersen erfuhr das Landesjugendamt Rheinland von diesem meldepflichtigen Ereignis: Hier war am 21. April 2020 die kleine Greta aus dem Mittagsschlaf nicht mehr aufgewacht.
Vor dem Landgericht Mönchengladbach läuft der Prozess. Wegen Mordes angeklagt ist genau die Erzieherin, die damals Alarm geschlagen hatte - die 25-jährige Sandra M. Sie kriege das Kind nicht wach, sagte sie bei diesem Anruf. Zuvor soll sie Greta während des Mittagsschlafs den Brustkorb bis zum Atemstillstand zusammengedrückt haben. Der Notarzt konnte das Kind zwar reanimieren, es starb aber Tage später in der Klinik. Die Tat ereignete sich laut Staatsanwaltschaft am letzten planmäßigen Arbeitstag der Erzieherin, weil die Viersener Kita ihr zum Monatsende gekündigt hatte.
In dem Prozess geht es auch um die mehrfache Misshandlung von Schutzbefohlenen in anderen Kitas. Die Angeklagte hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Nun soll das Urteil gesprochen werden. Geht es nach der Staatsanwaltschaft, erwartet M. eine lebenslange Haftstrafe. In ihrem Plädoyer forderte die Anklage zudem, die besondere Schwere der Schuld der 25-Jährigen festzustellen. Gretas Mutter und zwei der mutmaßlich geschädigten Kinder, die in dem Prozess als Nebenkläger auftreten, schlossen sich den Forderungen an. Die Verteidigung plädierte hingegen auf Freispruch.
Meldung versäumt
Der Fall bekommt viel Aufmerksamkeit, auch weil deutlich wurde, dass es Versäumnisse gab. Die Abgeordneten im nordrhein-westfälischen Landtag ließen sich mehrmals informieren. Im Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend etwa berichtete der Leiter des Landesjugendamtes Rheinland über den Fall. Die Erzieherin arbeitete demnach unter anderem in Kindertagesstätten in Krefeld, Kempen, Tönisvorst und Viersen. Seit August 2017 soll die 25-Jährige auch in diesen Kitas Kindern den Brustkorb bis hin zu Atemnot oder Atemstillstand zusammengedrückt haben. Mehrfach musste der Landesjugendamtsleiter in dem Ausschuss sagen, dass aufgrund einer Häufung der Vorfälle eigentlich eine Meldung durch die Träger bei der Aufsichtsbehörde der Kitas nötig gewesen wäre. Doch die Vorkommnisse waren wohl als medizinische Notfälle gesehen worden.
Aus einer Vorlage an den Rechtsausschuss des Landtags im vorigen Sommer ging hervor, dass die jetzt 25-Jährige in allen Kitas erhebliche Probleme hatte. Ein Vertrag wurde "wegen fehlender fachlicher Kompetenz" nicht verlängert, ein anderer nach der Probezeit gekündigt. Die Erzieherin habe keine Zeugnisse vorgelegt und "offenbar große Probleme mit der Wahrheit" gehabt, schilderte eine Einrichtung. Die angeklagte Frau war bereits 2019, als sie längst als Kindergärtnerin arbeitete, wegen Vortäuschens einer Straftat an ihrem Heimatort Geldern aufgefallen. Eine Ärztin stellte damals fest, dass die junge Frau psychologische Hilfe benötigte. Doch die Aufsichtsbehörde bekam davon nichts mit.
Den Tod der Kinder habe sie bei all den Vorfällen in den verschiedenen Kitas "mindestens billigend in Kauf genommen", ist die Staatswanltschaft sicher. Nach ihren Taten habe sie Kollegen auf den Zustand der jeweiligen Kinder hingewiesen und Rettungsmaßnahmen veranlasst. Bis auf Greta hätten deshalb alle Kinder überlebt.
Die Angeklagte bestritt zu Beginn des Schwurgerichtsverfahrens alle Tatvorwürfe. Im Prozessverlauf vernahm das Gericht eine Vielzahl von Zeugen. Dazu zählten auch zwei medizinische Gutachter, die eine rechtsmedizinische Beurteilung für die getötete Greta und eine psychiatrische Beurteilung für M. erstellten. Gegen die psychiatrische Sachverständige stellte die Nebenklage kurz vor den Plädoyers einen Befangenheitsantrag, weil die Frage einer möglichen Sicherungsverwahrung von M. nicht hinreichend geprüft worden sei. Das Gericht lehnte den Antrag jedoch ab.
Quelle: ntv.de, sba/dpa
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