Wer keine Dreyer hat, braucht Antworten

  15 März 2021    Gelesen: 575
Wer keine Dreyer hat, braucht Antworten

Zwei Landtagswahlen, ein Ergebnis: Starke Amtsinhaber machen das Rennen. Für die Bundestagswahl ist das ein Warnsignal. Denn vergleichbar beliebte Kanzlerkandidaten hat keine der großen drei Parteien anzubieten. Dafür aber Druck von der FDP.

Das Superwahljahr hat an diesem Sonntagabend endlich Fahrt aufgenommen und das Spannende ist: Die Richtung dieser Reise ist völlig offen. Die Union wertet das schlechte Abschneiden der CDU in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zurecht als Beben. Die Reaktion der - nach eigenem Selbstverständnis - Kanzlerpartei darauf in den kommenden Tagen und Wochen wird spannend zu beobachten sein: Schon wegen des hohen Briefwahlanteils ist klar, dass beide Wahlniederlagen nur zum Teil den Affären um Masken- und Aserbaidschan-Geschäften einzelner Abgeordneter geschuldet sind.

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hat Recht, wenn er sagt, das Wahlergebnis sei zuallererst dem hohen Ansehen der beiden Amtsinhaber geschuldet. Doch eben diese Analyse muss den drei auf das Kanzleramt zielenden Parteien eine Warnung sein: Denn auch nur ansatzweise so beliebte Spitzenkandidaten wie Malu Dreyer oder Winfried Kretschmann hat bislang keiner von ihnen aufzubieten. Dreyer konnte sogar gewinnen, obwohl die SPD auch in Rheinland-Pfalz genauso wie im Bund geringes Ansehen genießt.

Offene Kandidatenfragen und Druck von unten

Der CDU-Vorsitzende Armin Laschet etwa hat schwache Beliebtheitswerte, nach zwei Monaten im Amt bereits eine schwere Krise am Bein und CSU-Chef Markus Söder im Nacken. Die von ihren Wahlergebnissen berauschten Grünen müssen nach dem Ausnüchtern ihre Kandidatenfrage zwischen den Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck klären. Die eine ist noch immer wenig bekannt und ohne Regierungserfahrung, der andere stets für einen rhetorischen Aussetzer gut. Der seit sieben Monaten als SPD-Kanzlerkandidat feststehende Olaf Scholz wiederum kann sich abstrampeln, wie er will: Seine nach Kräften um Wahlkampfstimmung bemühte Partei stagniert unterhalb der 20-Prozent-Marke.

Die vagen Aussichten der drei Großen werden durch den Rückenwind für die vermeintlich kleinen Parteien zusätzlich erschüttert: Die FDP ist nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch im Bund im Aufwind. Ihre Kritik am Corona-Kurs, ohne die Pandemie-Gefahr in Abrede zu stellen, fruchtet beim Wähler. Und das umso mehr, je schlechter die handwerkliche Bilanz der Bundesregierung ausfällt: beim Impfen, beim Maskenbeschaffen, beim Testen. Die Liberalen fischen zunehmend erfolgreich nach bisherigen CDU-Wählern, auf die es auch Grüne und SPD abgesehen haben.

Die Spannung gibt Debatten Raum

Zugleich zeigt dieser Wahlsonntag: Egal, wie fies die innerparteilichen Kriege geführt werden, gleich, wie verdächtig die rechtsradikale Partei dem Verfassungsschutz ist, die AfD fährt in zwei relativ wohlhabenden, westdeutschen Flächenstaaten weiterhin hohe Ergebnisse ein. Die AfD geht nicht weg und wird auch nach dem 26. September die Mehrheitsbildung im Bundestag erschweren. Der Weg der Linken unter ihrem neuen Führungsduo erscheint derweil völlig offen. Aus diesem Wahlsonntag, wo der Parlamentseinzug jeweils deutlich verfehlt wurde, geht sie geschwächt hervor. Über die Partei hinausstrahlende Spitzenvertreter fehlen ihr schon seit Jahren.

Es ist wirklich alles offen sechs Monate und zwei Wochen vor der Bundestagswahl - darüber sind sich Politiker, Politikwissenschaftler und Beobachter einig. Die vor wenigen Wochen nach Umfragen noch undenkbar scheinende Möglichkeit, dass der nächste Bundeskanzler nicht der Union angehört, sorgt für Spannung, die wichtigen Debatten Raum gibt: Wie überwindet Deutschland die schweren ökonomischen Schäden und gesellschaftlichen Wunden der Pandemie? Wie gehen der Kampf gegen den Klimawandel und der Erhalt von Wohlstand und Sozialstaat zusammen? Wer im Herbst keine Dreyer und keinen Kretschmann als Spitzenkandidaten aufbieten kann, sollte es mit einer überzeugenden Antwort auf diese Fragen versuchen.

Quelle: ntv.de


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