Joachim Löw hatte sich vom Uli Hoeneß mit besonderen Aufgaben erhellende Erkenntnisse versprochen. Als TV-Experte werde Deutschlands meinungsfreudigster Fußball-Funktionär sicher das eine oder andere ansprechen, von dem auch der Bundestrainer profitieren könne. Die Zwischenbilanz der befruchtenden Zusammenarbeit nach zwei Auftritten bei RTL und zwei erfolgreichen Spielen der deutschen Nationalmannschaft in der WM-Qualifikation ist derweil (noch) nicht geprägt von einer intensiven Debattierkultur, es ist vielmehr ein recht höflicher Austausch mit der Übereinkunft, dass der Weg zu einem erfolgreichen Abschluss der Löw'schen Ewigkeits-Ära bei der EM in diesem Sommer schon stimmt. Ein Grund zur Enttäuschung ist das freilich nicht, denn ein paar Anregungen liefert Hoeneß ja doch.
Erkenntnisgewinn (I): Einen Teil seiner persönlichen Agenda drückte er auch am Sonntag wieder durch. Noch bevor sich Deutschland zu einem eigentlich souveränen 1:0 (1:0) gegen Rumänien aufmachte, platzierte Hoeneß im RTL-Studio den Hinweis, dass Thomas Müller "heiß auf die Nationalmannschaft" sei. Und dass dieser nicht den "Stinkstiefel" geben würde, "wenn er mal nicht von Anfang an spielt." Auch wenn es selbstverständlich so sei, dass der Thomas "natürlich gerne spielen würde", wenn er denn dabei wäre … - diese Entscheidung hatte Löw eigentlich auf den Mai verschoben. Dann, wenn er das Aufgebot für seine finale Mission nach 15 Jahren als Cheftrainer nominieren muss.
"Man muss mit dem Bayern-Block leben"
Erkenntnisgewinn (II): "Wenn man die EM erfolgreich gestalten will, muss man mit einem Bayern-Block leben." Auch das stach Hoeneß noch eben durch, bevor das Spiel in Bukarest angepfiffen wurde. Und zu diesem Block - aktuell bestehend aus Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Leon Goretzka, Serge Gnabry und Leroy Sané - würde, das schwang im Subtext freilich mit, Müller doch prima passen. Nur auf welcher Position und in welcher Rolle, das bleibt eben die große Frage der ganz großen Fragen. Für eine Antwort mit bundesdeutscher Rückendeckung trampelt Löw dieser Tage bereits einen roten Pfad frei. In einem System ohne echten Stürmer ist für einen unkonventionellen Rumtreiber wie die bayerische Schleichkatze natürlich immer ein Platz.
Und weil im eigenen Bestand derzeit kein treffsicherer Stürmer verfügbar ist - der verfügbare und treffsichere Kevin Volland wird beharrlich ignoriert - und weil selbst eine Blitz-Einbürgerung eines Weltfußballers, einer Tormaschine, eines Fabelrekordjäger, also die Blitz-Einbürgerung eines Robert Lewandowski mangels Spielberechtigung wirkungslos bliebe, bleibt das Thema Müller im Trend.
Erst recht, wenn die Mannschaft, die sich gerade für die EM einspielt, mit ihren Chancen nicht so besonders erfolgreich umzugehen weiß. Gegen Rumänien ließen Gnabry, der das Tor nach feiner Vorarbeit von Kai Havertz erzielte, Havertz selbst, Sané oder Ilkay Gündogan und der eingewechselte, aber derzeit mutlose Timo Werner allerbeste Gelegenheiten fahrlässig aus. Dass dieser Wucher den Deutschen bei zwei aussichtsreichen Attacken der Rumänen am Ende nicht böse auf die Töppen fiel, ist auch eine der besseren Geschichten dieses Abends.
Löw mahnte in der RTL-Analyse folglich auch an, in den nächsten Spielen "konzentrierter" im Abschluss zu agieren, "eiskalter" und "konsequenter". Das ist nicht nur für die Gestaltung des Ergebnisses, zunächst am Mittwoch im dritten Quali-Spiel gegen Nordmazedonien, ein zielführender Vorschlag, sondern würde auch eine sich auftürmende Déjà-vu-Welle brechen.
Müller, der Nicht-Wutfußballer
Denn das Thema Chancenverwertung war bereits im Krisenjahr 2020 einnehmend. Nicht ganz so einnehmend natürlich, wie das Problem mit der Abwehr, die oft so flatternd in des Gegners Angriffswind stand wie eine Zitterpappel. Nun haben die Stabilisierungsarbeiten des Trainers überraschend schnell Wirkung gezeigt, auch weil Antonio Rüdiger beim FC Chelsea unter Thomas Tuchel ein wundersames Erstarken feiert, dass ihn derzeit auch zum Abwehrchef des DFB-Teams macht - ungeachtet der Tatsache, dass weder Island (3:0), noch Rumänien die finalen Prüfungen zum Erwerb des Zertifikats "Neue deutsche Stabilität waren".
Zum Erwerb dieses Zertifikats gehört aber eben auch, Spiele einfach mal rechtzeitig dingfest zu machen, um die Herzrasen-Momente in den Schlussminuten eines souveränen Auftritts zu minimieren. Wenn es mit kunstvollen Ansätzen nicht klappt - gerade Sané hatten davon ein paar zu viele - oder die Schusswucht an einem starken Torwart abprallt, dann braucht es mal die unkonventionelle Lösung. Und die hat in Deutschland nun mal einen Namen: Thomas Müller.
Weil die Mannschaft aber trotz all ihrer Schnörkel und der Liebe zum Abschlussdetail in der Spitze wirklich sehr vernünftig miteinander funktioniert, bleibt eben die große Frage (siehe oben): Wohin mit Müller? Immerhin liegt nun die höchsthoeneß'sche Erkenntnis vor, selbst bei einem Platz auf der Bank, würde der Bayern-Star nicht Wutfußballer geben. Vielleicht wird's ja doch noch was, mit der befruchtenden Zusammenarbeit.
Quelle: ntv.de
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