Piraten, das sind Captain Hook, Fluch der Karibik, Kanonenkugeln und versteckte Schätze. Piraten sind aber auch durchaus modern und real: Allein im Golf von Guinea an der afrikanischen Westküste sind dieses Jahr schon 16 Schiffe angegriffen worden. In 13 Fällen sind die Angreifer an Bord gelangt. So auch Ende Januar, als das türkische Containerschiff "Mozart" überfallen wurde. Die Piraten töteten einen Seemann und verschleppten 15 weitere. Erst nach rund drei Wochen wurden die Besatzungsmitglieder freigelassen.
Im Golf von Guinea gibt es für Piratenbanden "viel zu holen", sagt der Generalsekretär der deutschen Vertretung der Internationalen Handelskammer, Oliver Wieck, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Insbesondere das Seegebiet vor Nigeria sei sehr attraktiv. "Dort wird sehr viel Öl und Gas transportiert. Und diese Überfälle, die zum Beispiel in Nigeria vor allem an Land stattfinden, indem Pipelines angezapft werden, verlagern sich zunehmend auf See, teilweise auch in den Hafen von Lagos. Die Piraten seien "bestens organisiert und in der Lage, mit entsprechender Ausrüstung Schiffe unterschiedlicher Größe und Art anzugreifen."
Entführungen im Golf von Guinea
Wie gefährlich das Gebiet von Angola bis Senegal für Seeleute ist, verdeutlicht die "Piracy & Armed Robbery Map" des Internationalen Schifffahrtbüros, das zur Handelskammer gehört. Demnach gab es im vergangenen Jahr weltweit 195 Piratenangriffe. Elf Schiffe wurden beschossen, 161 geentert und drei Schiffe sogar gekapert. Nur 20 Angriffsversuche konnten abgewehrt werden. Insgesamt wurden 135 Seeleute von ihren Schiffen entführt, davon 130 im Golf von Guinea. Aber das seien nur die übermittelten Fälle, die tatsächliche Zahl der Angriffe liege etwa doppelt so hoch, sagte Cyrus Mody, der stellvertretende Direktor der Internationalen Handelskammer, der "Deutschen Welle".
Wie rabiat moderne Piraten vorgehen, zeigt nicht nur das Beispiel der "Mozart" vor der Küste Westafrikas. Größere Aufmerksamkeit erlangte im Mai 2010 die Enterung der "Marida Marguerite" am Horn von Afrika. Somalische Piraten hatten den Chemikalientanker einer deutschen Reederei in Beschlag genommen und die 22-köpfige Besatzung als Geiseln genommen. Acht Monate waren die Seeleute in ihrer Gewalt. Erst nach Zahlung von fünf Millionen Dollar Lösegeld gaben die Piraten das Schiff und die Besatzung frei. Später kam raus, dass die Männer gefoltert wurden. Zeitweise haben die Entführer sie bei minus 17 Grad nackt in die Kühlkammer des Schiffes gesteckt und erst nach 40 Minuten rausgeholt.
Kaum noch Angriffe am Horn von Afrika
Damals war die somalische Küste noch der weltweite Piraten-Hotspot, ein Ergebnis des jahrelangen Bürgerkriegs. In den 90er-Jahren sind sämtliche staatlichen Strukturen in Somalia zerbrochen, die Hoheitsgewässer wurden nicht mehr überwacht. Das haben unter anderem ausländische Trawler genutzt, um die somalischen Gewässer leer zu fischen. Außerdem gibt es Berichte, wonach ausländische Schiffe Giftmüll entsorgt haben. Viele Somalier hat das in die Piraterie getrieben.
Mittlerweile gibt es aber kaum noch Piratenangriffe vor Somalia, im vergangenen Jahr kein einziger und auch dieses Jahr wurde lediglich ein versuchter Angriff registriert. Grund dafür ist die Militäroperation Atalanta der Europäischen Union, die seit 2008 vor Somalia die Gewässer kontrolliert. Die Reedereien würden auch vermehrt schnellere Schiffe einsetzen, die längere Strecken mit höheren Geschwindigkeiten fahren können, erklärt Oliver Wieck. "Außerdem werden zusätzliche Sicherheitsausstattungen und oft auch bewaffnetes Sicherheitspersonal an Bord genommen. Die Besatzungen werden auch zunehmend präventiv geschult im Umgang mit dem Ernstfall. Das alles führt natürlich zu höheren Kosten."
Hinzu kommen hohe Versicherungsgebühren, die die Reedereien zahlen, um sich finanziell gegen Lösegeldforderungen abzusichern. Wie viel Geld über diesen Weg jährlich an Piraten fließt, kann auch Oliver Wieck nicht abschätzen. "Es gelingt auch immer wieder, Besatzungsmitglieder zu befreien. Aber das ist natürlich nie sicher. Ansonsten wird tatsächlich Lösegeld gezahlt." Als Richtwert für eine Größenordnung dienen Expertenschätzungen für das Jahr 2009. Damals wurden weltweit 47 Schiffe gekapert und 870 Seeleute befreit. Kostenpunkt - laut Handelsblatt - maximal 200 Millionen Euro.
"Beste Bedingungen für Piraterie"
Die Gefahr vor Somalia ist noch nicht gebannt, aber sie hat dramatisch abgenommen. Das Gegenteil ist an der afrikanischen Westküste der Fall. Vor allem vor der Küste Nigerias hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verschlechtert. Im Nigerdelta gebe es auch "aufgrund der schwierigen topografischen Bedingungen" so gut wie keine Staatlichkeit, schrieb der Fregattenkapitän und Wissenschaftler Wolf Kinzel bereits vor zwei Jahren in einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Wegen der starken Umweltverschmutzung durch die Ölförderung können Fischer in der Region nicht genügend und vor allem kaum gesunde Fische fangen, um zu überleben. Das gipfelt in einer Perspektivlosigkeit genau wie in Somalia. Hinzu kommen fehlende Konsequenzen durch mangelhafte Strafverfolgung, Korruption und dadurch fehlendes Vertrauen in staatliche Akteure. Das alles seien "beste Bedingungen für Piraterie", schreibt Kinzel.
Oliver Wieck stimmt im ntv-Podcast zu, macht deutlich, dass das Piraterie-Problem auch an Land bekämpft werden müsse. "Das muss auch im Golf von Guinea angestrebt werden. Auch hier gilt es, das Grundübel zu bekämpfen. Und das sind eben die mangelnden Strukturen vor Ort. Die Bildung von Institutionen in den Staaten muss vorangetrieben werden. Das Vertrauen in solche Einrichtungen ist komplett verloren gegangen, es herrscht großes Elend."
2013 haben sich 25 west- und zentralafrikanische Staaten im Rahmen des Yaoundé-Gipfels zusammengetan, um Piraterie im Golf von Guinea stärker zu bekämpfen. Ein Jahr später beschlossen die Anrainerstaaten die Einrichtung von regionalen und multinationalen maritimen Koordinierungszentren. Einige EU-Mitgliedstaaten unterstützen dabei. Die Erfahrungen von der Piratenbekämpfung am Horn von Afrika könnten helfen. Aber Oliver Wieck weiß: "Das ist ein schwieriger, ein langwieriger Prozess".
Quelle: ntv.de
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