Die Bosse des FC Bayern sollen bereits auf dem Weg zum Privatflieger gewesen sein. Sie waren demnach nicht mehr in der Wolfsburger Volkswagen-Arena, als Trainer Hansi Flick sagte, was zwar irgendwie jeder erwartet hatte, aber den deutschen Fußball an diesem Samstag doch auf dem völlig falschen Huf erwischte. Hansi Flick sagte, dass er den Chefs nach dem bitteren Aus in der Champions League gegen Paris St. Germain am Dienstagabend mitgeteilt habe, dass er den Verein zum Saisonende gerne verlassen möchte. Trotz seines Vertrags bis 2023.
Ganz wichtig: Hansi Flick hat bisher nur den Wunsch hinterlegt (so ist es öffentlich bekannt). Eine Entscheidung, ob ihm dieser gewährt wird, steht noch aus. Angesichts der irreparabel zerstörten Beziehung zu Sportvorstand Hasan Salihamidžić bietet sich dem Klub kaum ein anderes Szenario. Es sei denn, der Bosnier stünde vor dem Rauswurf. Das aber deutet sich nicht an. Was auch an den Kräfteverhältnissen im Verein liegt. Mit Uli Hoeneß hat der 44-Jährige den immer noch denkbar mächtigsten Fürsprecher. Auch Präsident Herbert Hainer, ein sehr enger Vertrauter von Hoeneß, gehört somit zu den Unterstützern von Salihamidžić. Und so ausweichend sich Oliver Kahn, der neue Vereinsboss, sich in diesem jämmerlichen Rumgeeiere um Flick geäußert hatte, desto deutlicher wurde seine Position.
Nur Rummenigge kämpfte
Einzig Karl-Heinz Rummenigge, der die Amtsgeschäfte zum Jahreswechsel an Kahn übergeben wird, hat um Flick gekämpft. Hat immer wieder betont, wie sehr er sich wünschen würde, dass es gemeinsame Zukunft mit dem Erfolgstrainer gibt. Der wird, wenn er in diesem Sommer tatsächlich geht, sieben Titel eingefahren haben. Nach dem 3:2-Erfolg in Wolfsburg sind alle Restzweifel an der 31. Meisterschaft ausgeräumt. Sieben Punkte Vorsprung auf RB Leipzig und noch fünf ausstehende Spiele – so etwas lässt sich der FC Bayern nicht nehmen. Selbst in einem Zustand zwischen Zoff, Macht und Theater nicht. Selbst mit einem Team nicht, das personell in diesen Tagen heftig gerupft ist. Mia san mia geht eben immer.
So ist es eben nicht nur die Qualität des Aufgebots, der die meisten Gegner umwirft, sondern auch die Mentalität. Von der schwärmt Flick. Seit ein paar Wochen ganz extrem. Seit er den Konflikt mit Salihamidžić immer wieder hatte eskalieren lassen. Seit er mit seinen kleinen Feuern immer wieder nach Unterstützern im Verein suchte. Die aber nicht auf breiter Front für sich begeistern konnte. Mit seinem nun auch öffentlich platzierten Wunsch hat Flick dem Klub ein letztes Mal die Machtfrage gestellt. Dass diese anders beantwortet wird als in den vergangenen Wochen, es ist auszuschließen. Im Kampf für seine Sache ist Flick den Bossen entglitten. Nicht nur wegen seines Auftritts nun in Wolfsburg. Er ist außer Kontrolle geraten.
Als Sieger des Machtkampfes darf sich der Sportvorstand dennoch nicht fühlen, denn gerade sein öffentliches Ansehen wurde durch diesen Zwist schwer beschädigt. Eine große Mehrheit der Bayern-Fans würde es lieber sehen, wenn Salihamidžić statt Flick den Klub verließe. Wer in München auf den 56-Jährigen folgen könnte ist derweil ebenso unklar wie Zukunft von Flick selbst. Die sehen viele beim DFB. Als Nachfolger von Bundestrainer Joachim Löw. Er selbst sagt dazu: "Ich lasse mir im Moment alles offen." Er muss das sagen. Alles andere würde ihm schaden.
Womöglich haben Rummenigge, Kahn, Salihamidžić und Hainer gewusst, dass Flick sich nach dem Spitzenspiel vor den Kameras äußern wird. Sport1 will eine entsprechende Info haben. Hoeneß soll derweil wohl weder etwas von Flicks Wunsch noch von Flicks Auftritt gewusst haben. Das berichtet Sky. Sei’s drum. Dass die Chefs die Idee aber goutierten – ausgeschlossen. Zu überrumpelt wirkt der Verein, der sich auch am Sonntagmorgen noch nicht geäußert hatte. Flick ist außer Kontrolle geraten. Jeder Versuch ihn wieder einzufangen, scheint aussichtslos.
Watschn durch die Hintertür
Auch das hatte sich immer wieder angedeutet. Nachdem Rummenigge den Trainer und den Sportvorstand öffentlich zu Ruhe, Harmonie und Loyalität aufgerufen hatte, sprach Flick nur Stunden später über den Qualitätsverlust im Kader im Vergleich zur sensationell erfolgreichen Vorsaison. Eine krachende Watschn für Salihamidžić - durch die Hintertür. Denn als Empfänger war er nicht offiziell kenntlich gemacht.
Aber um genau das geht es eben: um die Kaderpolitik. Für die ist die Bosner zuständig. Und das letztinstanzlich. Ein Veto in Transferfragen besitzt Flick nicht, obwohl ihm das absolut wichtig ist. Er hat seine Vorstellungen. Und die laufen äußerst konträr zu denen seines Vorgesetzten. Zur endgültigen Eskalation hatte der Fall Jérôme Boateng geführt. Sportlich ist der Innenverteidiger gesetzt und rechtfertigt das Vertrauen seines Trainers mit Topleistungen. Dass er den Verein dennoch in diesem Sommer verlassen muss, es machte Flick fassungslos. Zuvor musste er schon mitansehen, wie der Klub den Kampf um David Alaba aufgab. Auch der Österreicher, ebenfalls gesetzt und unverzichtbar für seinen Trainer, verlässt die Bayern im Sommer. Die Verluste von Thiago und Ivan Perišić schmerzten den Coach auch.
Quasi seit dem ersten Tag besteht zwischen Flick und Salihamidžić ein Kader-Dissens, der bisweilen auf unseriöse Weise über die Medien ausgetragen wurde. Womöglich hat der Zoff eine längere Vorgeschichte als der immer wieder terminierte Startpunkt im Trainingslager in Doha im Winter 2020. Denn Flick, den die Bosse ja auch erst nach einem langen Rumgeeiere zum Chefcoach ernannt hatten, hatte ja bereits als Co-Trainer von Niko Kovač erfahren, wie die Zusammenarbeit mit dem Bosnier so funktionierte. Und zwar auch nicht gut, wie der Kroate, der derzeit bei der AS Monaco äußerst erfolgreich arbeitet, in den vergangenen Tagen noch einmal platzierte. Durchaus auch als Plädoyer für den innerhalb der Mannschaft extrem beliebten Flick zu verstehen. Auch Kovač wurden damals offenbar mehrere Wunschtransfers verweigert. Unter anderem soll er sich für den Hoffenheimer Kevin Vogt ausgesprochen haben, für seinen Frankfurter Lieblingsschüler Ante Rebić oder auch für die beiden Gladbacher Denis Zakaria und Florian Neuhaus.
Einem wird ausdrücklich nicht gedankt
So sehr sich Flick mehr Mitsprache bei der Kadergestaltung gewünscht hat, so sehr hatte er mit den immer wiederkehrenden Einmischungen gehadert. Auch hier gibt es einen höchst prägnanten Fall: Alexander Nübel. Das Torwart-Talent war im vergangenen Sommer von Salihamidžić ablösefrei vom FC Schalke 04 nach München geholt worden. Als Lehrling hinter Manuel Neuer, aber angeblich geködert auch mit dem Versprechen auf eine stabile Zahl an Einsätzen. Die verweigert Flick dem Torwart aber beharrlich. Salihamidžić soll das ebenso verärgern wie Nübel und dessen Berater, der sich immer häufiger lautstark beschwert.
Der nun hinterlegte Wunsch ist also alles andere als eine Überraschung. Er ist indes bloß die Peripetie des sich diese Woche zugespitzten Dramas. Schon nach dem Aus gegen Paris hatte Flick mit einem bemerkenswerten Monolog überrascht, der nach Abschied klang. Auch wenn er eiligst darum bemüht war, diese Interpretation als falsch wieder einzufangen. Vergeblich. Und am Freitag, während der Medienrunde vor dem Spitzenspiel ließ Flick folgenden Satz fallen: "Wenn es irgendwo harmonisch zugeht, ist - meiner Meinung nach - die Chance, Erfolg zu haben, vielversprechender." Es ist ein Satz, der den Klub nicht gut aussehen lässt.
Am Samstagabend bedankte sich Flick beim FC Bayern für die "Chance, diese Mannschaft zu trainieren." Er bedankte sich bei "Kalle, Uli oder Herbert." Bei allen, "die dabei waren und mir das Vertrauen geschenkt haben, dass ich Cheftrainer bei Bayern München sein konnte." Nur einen, den erwähnte er nicht. Natürlich nicht. Es war Hasan Salihamidžić.
Quelle: ntv.de
Tags: