Neue Welle erfasst Chile - trotz Impfungen

  20 April 2021    Gelesen: 988
Neue Welle erfasst Chile - trotz Impfungen

Von einem Impffortschritt wie in Chile können Bundesbürger nur träumen: Mehr als 40 Prozent der Chilenen haben bereits eine Impfung erhalten. Dennoch leidet das südamerikanische Land zuletzt unter stark anziehenden Fallzahlen. Dies könnte mit dem Vakzin aus China zusammenhängen.

Chile ist für Südamerika, was Großbritannien für Europa ist - jedenfalls, was die Geschwindigkeit der Impfkampagne angeht. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung Chiles ist mindestens einmal geimpft, fast 30 Prozent haben bereits zwei Impfdosen erhalten. Das Land hat damit die am weitesten fortgeschrittene Impfkampagne Südamerikas. Anders als Großbritannien hat Chile derzeit jedoch mit einem steilen Anstieg der Fallzahlen zu kämpfen. Wie passt das zusammen?

Im Unterschied zu Großbritannien, das auf Impfstoffe aus Europa und den USA wie jene von Biontech/Pfizer oder Astrazeneca setzt, stammen etwa 90 Prozent der in Chile verimpften Dosen aus China. Es handelt sich dabei um den Corona-Impfstoff Coronavac des chinesischen Herstellers Sinovac. Allerdings wird in Chile auch das Vakzin von Biontech/Pfizer genutzt, bisher jedoch nur für einen vergleichsweise kleinen Anteil der Geimpften. Insgesamt haben bisher fast 8 der 19 Millionen Einwohner Chiles zumindest eine Impfung erhalten.

Dennoch hat Chile seit Ende Februar einen rasanten Anstieg der täglichen Neuinfektionen erlebt, die sich mittlerweile jedoch auf hohem Niveau stabilisiert haben. Zuletzt waren es etwa 7000 neue Fälle pro Tag - was in etwa 30.000 in Deutschland gleichkäme. Auch die Zahl der täglich neu gemeldeten Corona-Toten ist in Chile wieder spürbar angestiegen: auf im Schnitt zuletzt etwa 120 Todesfälle pro Tag. Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Einwohnerzahlen sind das mehr als doppelt so viele wie in Deutschland, das mit seiner Impfkampagne vergleichsweise rückständig ist - erst knapp 20 Prozent der Bundesbürger haben eine Erstimpfung erhalten.

"Schutz von nur einer Dosis sehr schwach"

Corona-Welle trotz Impferfolgs - wie passt das zusammen? Experten in Chile glauben, das Problem identifiziert zu haben: Menschen haben vermutlich die Wirksamkeit des Impfstoffs nach nur einer der zwei empfohlenen Dosen überschätzt - und sich nicht mehr voll an die Corona-Maßnahmen gehalten. "Wir wissen, dass der Schutz von nur einer Dosis sehr schwach ist", sagte Claudia Cortés, eine Expertin für Infektionskrankheiten an der Klinik Santa Maria in Santiago, dem "Wall Street Journal". In ihrem Krankenhaus hätten etwa 10 Prozent der Covid-19-Patienten zuvor bereits eine Impfung erhalten. "Es wurde nicht klar erklärt, dass man zwei Dosen braucht, dass man warten muss."

Hinzu kommt, dass der chinesische Impfstoff offenbar deutlich weniger schützt als seine Konkurrenten aus dem Westen. Die Ergebnisse einer chilenischen Studie zur Wirksamkeit von Coronavac waren erst am vergangenen Freitag veröffentlicht worden. Laut dieser hat das chinesische Vakzin nach der zweiten Dosis eine Wirksamkeit von 67 Prozent. Das klingt bereits etwas dürftig im Vergleich zu den mehr als 90 Prozent Wirksamkeit der mRNA-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna. Auch Astrazeneca kommt auf bis zu 82 Prozent.

Doch dramatischer ist der Unterschied nach nur einer Dosis: Laut der chilenischen Studie schützt der chinesische Impfstoff nur zu 16 Prozent vor einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung. Im Fall von Biontech/Pfizer liegt die Wirksamkeit laut einer Studie aus Israel 15 bis 28 Tage nach der Erstimpfung bereits bei 85 Prozent - in sogar 75 Prozent der Fälle konnte gar Infektion mehr nachgewiesen werden.

Wirksamkeit sollte eigentlich "beruhigen"

Die Datenanalyse zur Wirksamkeit von Coronavac sollte das Land eigentlich "beruhigen" - so hatte es Chiles Gesundheitsminister Enrique Paris bei der Veröffentlichung der Daten gesagt. Immerhin: Nach zwei Impfdosen schützt Coronavac zu 80 Prozent vor einem tödlichen Verlauf von Covid-19. Die Werte beruhen auf einer Datenanalyse von 10,5 Millionen Corona-Impfungen in Chile im Februar und März. Schwere Krankheitsverläufe, die einen Krankenhausaufenthalt oder eine Behandlung auf der Intensivstation erforderlich machten, wurden demnach zu 85 beziehungsweise 89 Prozent verhindert.

Ganz überraschend sind die chilenischen Daten zu Coronavac jedoch nicht: In einer großangelegten klinischen Studie in Brasilien war das Vakzin nach Angaben von Sinovac zuvor auf eine Wirksamkeit von rund 50 Prozent gekommen. Der Impfstoff schützte demnach aber zu 80 Prozent vor einem schweren Krankheitsverlauf und zu 100 Prozent vor einem tödlichen Verlauf. Coronavac wird außer in Chile unter anderem auch in der Türkei, Indonesien und der Ukraine eingesetzt.

Bereits vor einigen Tagen hatte eine Meldung für Wirbel gesorgt, dass aus China bereits eine Art Eingeständnis zur geringeren Wirksamkeit seiner Impfstoffe gekommen sei. Die Behörden müssten "über Wege nachdenken, wie das Problem gelöst werden kann, dass die Wirksamkeit der existierenden Impfstoffe nicht hoch ist", hatte der Leiter des chinesischen Zentrums für Krankheitskontrolle und -prävention, Gao Fu, laut Staatsmedienberichten bei einer Konferenz in Chengdu gesagt. Gao Fu war jedoch später zurückgerudert und hatte von einem "kompletten Missverständnis" gesprochen.

Mangelnde Transparenz bei Chinas Impfstoffen

Fest steht: Die chinesischen Impfstoffe werden auf herkömmlichem Wege hergestellt - im Gegensatz etwa zu den Impfstoffen von Biontech/Pfizer oder Moderna, die auf Grundlage der neuartigen mRNA-Methode produziert werden. Kritik gab es immer wieder an der mangelnden Transparenz bei chinesischen Impfstoffen, die in Deutschland und vielen europäischen Staaten auch noch nicht zugelassen sind. Vor allem werden immer noch mehr Daten aus der dritten Phase klinischer Versuche vermisst. Neben dem Vakzin des Herstellers Sinovac sind aus China auch Impfstoffe der Firmen Cansino und Sinopharm weltweit bereits im Einsatz - Letztere etwa auch in Ungarn und Serbien.

In Chile überlegen die Behörden laut dem Bericht des "Wall Street Journals" nun, wie sie mit der Situation umgehen wollen. Demnach ist bereits im Gespräch, den Bürgern noch eine dritte Impfdosis zu verabreichen. Aufgrund der geringeren Wirksamkeit von Coronavac gehen Behördenvertreter zudem davon aus, dass es mit der angestrebten Herdenimmunität in Chile noch etwas länger dauern könnte - immerhin soll es dann im Juni oder Juli so weit sein. Angesichts der steigenden Fallzahlen hat Chile Anfang April jedoch erstmal wieder seine Grenzen geschlossen - und den bestehenden Lockdown verschärft.

Quelle: ntv.de


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