Als Chef der Casa Civil, einer Art Kabinettschef, kehrt Lula da Silva damit zurück ins Zentrum der Macht. Angenehmer Nebeneffekt für den Ex-Präsidenten (2003 bis 2011): Er bekommt mit dem Amt zugleich Immunität und damit eine Art schusssichere Weste gegen die Ermittlungen gegen ihn verpasst, kritisieren die Regierungsgegner entrüstet.
Mit der Justiz haben Lula und Rousseff seit einigen Monaten bedrohlich viel zu tun: In den gegen die beiden angestrengten Ermittlungen werden Zeugenaussagen, Dokumente und Belege präsentiert, die den tiefen Korruptionssumpf rund um die Arbeiterpartei und den staatlichen Ölkonzern Petrobras offenlegen. Zuletzt wurde auch der Vorwurf erhoben, Lula habe sich persönlich bereichert. Seine Vorladung zum Verhör hatte die Krise weiter angeheizt. Allerdings ermittelt die Justiz nicht nur gegen sie: Auch gegen andere Parteien und prominente Politiker aus der Opposition laufen Verfahren.
Rousseff versuchte, die Kritiker der Postenvergabe an Lula zu beruhigen: Der Wechsel innerhalb der Institutionen würde nicht bedeuten, dass nicht weiter gegen ihn ermittelt werde, erklärte Rousseff. Stattdessen habe die Personalie rein politische Gründe. Sie stärke die Regierung. Die in den Umfragen katastrophal abgestürzte Rousseff begibt sich mit diesem Schritt im Fall Lula da Silva auf ganz dünnes Eis.
Erst am Sonntag waren in Brasilien rund drei Millionen Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen Korruption und Vetternwirtschaft innerhalb der Regierungspartei zu demonstrieren. In den vergangenen Jahren waren bereits zahlreiche Politiker und Manager aus Unternehmen verhaftet und verurteilt worden, die Einschläge rückten immer näher an das Zentrum der Macht.
Offenbar planen Rousseff und Lula in Brasilia nun, eine Art Trutzburg zu errichten, die sie gegen die Ermittlungen von außen schützen soll. Rousseff hatte bei Bekanntwerden der ersten Vorwürfe noch im Wahlkampf 2014 stets bestritten, dass ihre Partei Millionen aus dem inzwischen hoch verschuldeten Konzern Petrobras abgezweigt habe. Erst als die Beweise immer deutlicher wurden, räumte sie Verfehlungen in der Partei ein, von denen sie und Lula allerdings nichts gewusst haben wollen. Auch hier liegen Aussagen hochrangiger Zeugen vor, die dem energisch widersprechen.
Durch die Veröffentlichung des abgehörten Telefongesprächs zwischen Rousseff und Lula da Silva wird die Lage für die beiden allerdings deutlich ungemütlicher. Hinter dem Mitschnitt und der Veröffentlichung steckt der inzwischen von der Opposition als Nationalheld gefeierte Bundesrichter Sergio Moro. Dessen Coup erzürnt zwar die Regierung, erinnert aber in seiner Art und Weise an das Vorgehen der Whistleblower Edward Snowden oder Julian Assange. Nur dass diesmal eine linke Regierung zur Zielscheibe der Veröffentlichung unappetitlicher Absprachen wird.
Und das erzürnte die Bevölkerung noch mehr: In Brasilia und São Paulo forderten Zehntausende Menschen auf Straßen und Plätzen den Rücktritt Rousseffs. In Rio de Janeiro klopften Hunderttausende auf den Balkonen ihrer Häuser mit Löffeln auf Kochtöpfe oder machten mit ihren Autohupen Lärm als Zeichen ihres Protestes. Für den Donnerstag sind weitere spontane Demonstrationen geplant, in den sozialen Netzwerken wird zum Streik aufgerufen.
Vor allem ein Zitat von Lula macht bei Facebook und Twitter die Runde, das aus dem Jahr 1998 stammen soll: "Ist ein Dieb arm, kommt er ins Gefängnis. Ist er reich, wird er ein Minister." Dazu posten die Menschen verschiedene Grafiken: "Brasilien in Trauer" ist zu lesen, andere ersetzen die Worte "Ordnung und Fortschritt" in der Nationalflagge durch die Begriffe "Korruption und Unverfrorenheit".
Zum Social-Media-Hit wurde ein Video, das die Übergabe der präsidialen Scherpe 2011 von Lula an Rousseff zeigt. Allerdings im Rückwärtsgang und, so wirkt es, als habe Lula plötzlich wieder die Macht inne. Während Gegner Rousseffs schon von einer revolutionären Stimmung im Land schwärmen, werfen deren Anhänger der Justiz vor, einen Putschversuch vorzubereiten.
Inzwischen tobt ein Machtkampf zwischen der Regierung Rousseff und der Bundesjustiz. In einer Erklärung stellte sich laut lokalen Medienberichten noch in der Nacht die "Vereinigung der Bundesrichter" hinter Moro und dessen spektakuläre Vorgehensweise. In den Abendnachrichten sahen die Brasilianer bizarre Bilder von aufgebrachten Parlamentariern, die in Sprechchören den Rücktritt Rousseffs forderten. Es ist nur schwer vorstellbar, wie in dieser Atmosphäre eine Rückkehr zur politischen Alltagsarbeit möglich sein soll.
Der Tag, an dem die Telefonmitschnitte veröffentlicht wurden, wird in jedem Fall in die brasilianische Geschichte eingehen: Entweder als Anfang vom Ende der Regierung Rousseff oder als Beginn einer Epoche, in der die durch und durch korrupte Arbeiterpartei endgültig von den Grundsätzen des politischen Anstandes verabschiedet hat
Quelle : welt.de
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