Warum der FC Bayern so gnadenlos ist

  09 Mai 2021    Gelesen: 3528
  Warum der FC Bayern so gnadenlos ist

Der FC Bayern ist zum neunten Mal in Folge Deutscher Meister. Doch an ein lockeres Austrudeln der Saison denkt die Mannschaft nicht. Mit einer bemerkenswerten Gier zerlegen die Münchner Borussia Mönchengladbach. Aber woher kommt diese Gier?

Ja, Lothar Matthäus hatte es schon vor dem Spiel gewusst. Er hatte gewusst, dass die Spieler des FC Bayern nicht nachlassen würden. Er hatte gewusst, dass die geschenkte Katakomben-Meisterschaft (geschenkt nur, weil der BVB zuvor mit RB Leipzig den letzten Konkurrenten abgeräumt hatte) der ewigen Gier, der einschüchternden Motivation nichts anhaben würde. Was Matthäus indes nicht gewusst hatte, dass die Fußballer aus München trotz der feststehenden neunten Meisterschaft in Serie einen solch phänomenalen und krachenden Meistertanz auf das grüne Parkett stellen würden, wie sie es gegen Borussia Mönchengladbach getan hatten.

Mit 6:0 (4:0) war die Mannschaft von Hansi Flick gnadenlos über ihren völlig überforderten Gast hinweggedonnert. Und dieser Gast, er war auch nicht irgendeiner. Er war zum Beispiel jener, der in der Hinserie daheim einen 0:2-Rückstand noch in einen 3:2-Erfolg gedreht hatte. Kann auch nicht jeder. Dass es an diesem Samstagabend ein solches Spektakel-Déjà-vu geben würde, nun, diese Hoffnung wurde früh zertrümmert. Und ebenso das Torverhältnis der Gladbacher, die ja noch irgendwie nach Europa wollen.

Eigentlich schon nach zwei Minuten war die Déjà-vu-Hoffnung zertrümmert, denn da hatte sich Bayern-Stürmer Robert Lewandowski bereits erfolgreich auf seine ungnädige Jagd nach dem historischen 40-Tore-Rekord des legendären Gerd Müller gemacht. Dass er diesen trotz drei erfolgreichen Abschüssen um einen Treffer verpasste, es verheißt nichts Gutes für die nächsten Gegner. Und der SC Freiburg sowie der FC Augsburg sind jetzt auch nicht die Mannschaften, gegen die dieses Vorhaben als mutige Utopie gilt.

Lewandowski größter Gegner? Die gelbe Karte

Das größte Hindernis könnte tatsächlich sein, dass der Pole bereits vier gelbe Karten kassiert hat und bei einer weiteren zum Saisonfinale gesperrt wäre. Nur damit sie auch das mal gehört haben. Lewandowski selbst weiß um die Brisanz der Lage, zumindest hat ihn der Trainer darauf hingewiesen. Und für Hansi Flick wäre es dann auch das großartige Ende einer großartigen Zeit in München, sollte er auch noch der Trainer gewesen sein, der den seit Jahren phänomenalen Stürmer zum historischen Rekord gecoacht hätte.

Schon jetzt wird die kurze, nur anderthalb Jahre dauernde Cheftrainer-Ära des 56-Jährigen beim Rekordmeister einen prächtigen Platz in den Vereins-Erzählungen einnehmen. Sieben Titel hat er eingefahren. Neun wären möglich gewesen. Flick hat in München ein Kollektiv entwickelt, das von einer erstaunlichen Gier getrieben ist. Kein Sieg hallt nach. Auf keinen Titel folgte eine Phase der überheblichen Selbstzufriedenheit. Und lediglich das Pokal-Aus in dieser Saison in der zweiten Runde gegen Zweitligist Holstein Kiel geht als Blamage durch. Sonst aber wehrte diese Mannschaft jeden drohenden größeren Schaden ab. Ein Knockout im Viertelfinale gegen Paris St. Germain, der ist nicht schön, aber nicht dramatisch.

"Das Spiel war heute eines Meisters würdig. 6:0 gegen eine Mannschaft mit so hoher Qualität zu gewinnen, ist ganz hohes Niveau von unserer Mannschaft", schwärmte Flick nach der Gala am Samstagabend. "Es ist einfach überragend." Immer wieder hatte der Trainer, der sich zum Ende der Saison freiwillig zurückzieht, den herausragenden Charakter der Mannschaft gelobt. Dass diese in der laufenden Spielzeit nicht mehr so dominant und unangreifbar war wie im Jahr zuvor, dass sie öfter auch mal den feinen Zwirn gegen den Blaumann tauschen musste, um die Gegner niederzuringen, es ist auch ein Ausdruck der gigantischen Mentalität.

Müller gibt Einblick ins Innenleben

Einer Mentalität, die niemals nachlässt. Ein Feuer, das immer brennt. Auch beim Stand von 5:0 und der berechtigten roten Karte gegen Top-Talent Tanguy Nianzou. Die Bayern waren wütend nach dem Videobeweis. Mit der Gladbacher Bank gab es wilde Diskussion und sogar Vorwürfe, dass Flick dem Sportvorstand der Borussen den Vogel gezeigt haben soll. "Es ging auf beiden Auswechselbänken emotional zu, das gehört dazu", sagt der Meistertrainer. "Es war nicht so, wie es dort vermutet wurde. Ich habe keinen Vogel gezeigt."

Die Münchner Daueranspannung, ein Phänomen. Einen Abfall davon? Gibt es nicht. Eine Titelerschöpfung? Erst recht nicht. Aber wie geht das? "Es geht einem nicht um den Titel, sondern darum, jedes Spiel zu gewinnen", erklärt Thomas Müller, dessen erstaunliche Saison sich gegen Gladbach mit seinem 11. Tor und seinem 18. Assist bemerkenswert fortgesetzt hatte. "Denn dieses Gefühl des Gewinnens, des Besserseins als der Gegner, das gibt dir den Kick. Der dauert nicht lange, deswegen versucht man, ihn sich immer wieder zu holen. Am Ende hatten wir vielleicht mehr Durchhaltevermögen, das zeichnet uns aus."

Es sind Spieler wie Müller und Lewandowski, aber auch und vor allem ein Joshua Kimmich, ein David Alaba, ein Manuel Neuer und ein Leon Goretzka, die diese Mentalität so behüten, wie die Schweizer Garde die Heiligtümer des Vatikan. Die kein Abweichen von dem strikten Fokus nach Erfolg erlauben. Mit Gesten. Mit Worten. Grob und laut. Dass auch sie nicht jede Niederlage abwenden können, klar. Nun wird es mit ihnen eben keine Niederlagen geben, die Zweifel an der Einstellung aufkommen lassen. Nicht so wie beim BVB, wo die Mentalität in der Vergangenheit als schwerer Schatten auf dem Team lastete.

Unruhe neben, aber nie auf dem Feld

Diese unnachlässige Gier nach Erfolg ist aber natürlich auch ein Verdienst von Flick. Der hatte seine Mannschaft gegen alle Feuer, viele davon hatte er im so eskalierten Machtkampf mit Sportvorstand Hasan Salihamidžić selbst entzündet, bestens beschützt. Es war ein Kampf, den Flick nicht gewinnen konnte. Und den auch in Zukunft ein Trainer nicht gewinnen wird. Das hatte der künftige Klubchef Oliver Kahn am Samstag noch einmal deutlich gemacht: Die finale Entscheidung bei der Planung des Kaders liegt beim Vorstand, nicht beim Coach.

All die gewaltige Unruhe im Umfeld übertrug sich nicht und nie auf die Fußballer. Die machten einfach ihr Ding. Selbst die öffentlich ausgetragenen und bisweilen unschön geführten Debatten um die Abgänge der Ikonen Jérôme Boateng und Alaba brachte die Teamstabilität nicht aus der Balance.

Nun, dass der FC Bayern auf dem Weg zum neunten Titel in Serie auch davon profitiert hat, dass die Konkurrenz aus Leipzig und Dortmund zu günstigen Zeitpunkten für die Münchner Chancen ausließ, es ist ein auch Teil der Wahrheit. Der andere, der größere, ist aber eben so, wie Klubboss Karl-Heinz Rummenigge sagt: "Die Burschen sind unglaublich. Wenn du vor dem Spiel schon erfährst, dass du Meister bist, fällt normalerweise die Spannung ab. Doch die Mannschaft hat das Gegenteil gemacht, sie waren von der ersten Sekunde an konzentriert. Sie hat einen unglaublichen Charakter und Siegeswillen." Und wer hat's schon vorher gewusst? Lothar Matthäus.

Quelle: ntv.de


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