Ein gefährlich schöner Abend für den BVB

  14 Mai 2021    Gelesen: 2016
  Ein gefährlich schöner Abend für den BVB

Ist Marco Reus noch der richtige Kapitän für den BVB? Noch vor Monaten wurde diese Frage öffentlich diskutiert. Vorbei. Denn Reus ist wieder in einer herausragenden Form. Ebenso wie die offensiven Supertalente um ihn herum. Das ist nicht nur eine gute Nachricht.

Wo anfangen? Und wo aufhören? Womöglich hat ja ein chronologischer Einstieg in das DFB-Pokalfinale am meisten Sinn. Denn schon nach fünf Minuten erzählte sich am Donnerstag die große Geschichte des Abends. Nach fünf Minuten klaute sich Dortmunds Marco Reus im Mittelfeld nach einem sehr cleveren Zweikampf den Ball gegen Kevin Kampl. Nach einem schnellen und prächtigen Passspiel über Erling Haaland und Mo Dahoud war plötzlich Jadon Sancho frei. Auch weil Gegenspieler Amadou Haidara nicht sonderlich am körperlichen Duell interessiert war, schlenzte der 21-Jährige den Ball von der Strafraumkante fantastisch ins Tor von RB Leipzig. Es war der furiose Auftakt des furiosen 4:1 (3:0)-Erfolgs der Dortmunder in Berlin.

Warum diese Geschichte so groß war? Nun, sie erzählt die der vier offensiven Protagonisten der Dortmunder, die ihre Mannschaft mit gnadenloser Effektivität zum bereits fünften Pokaltriumph der Vereinsgeschichte führten. Und sie erzählt vier individuelle Storys mit so unterschiedlichen Noten. Vergleichbar sind da noch die Geschichten von Reus und Dahoud. Beide spielen seit Wochen in einer herausragenden Form. Reus wieder einmal. Dahoud dagegen so gut und konstant wie nie während seiner nun schon seit vier Jahren andauernden Zeit bei der Borussia. Das Form-Hoch kommt rechtzeitig zum dramatischen Showdown um die Champions League. Rechtzeitig auch, um Bundestrainer Joachim Löw das Zeichen zu geben: Chef, ich könnte bei der EM in ein paar Wochen durchaus helfen.

Und ja, der Chef hatte im zum zweiten Mal leeren Olympiastadion (während des Endspiels) sehr genau hingeschaut. Und zu Reus wurde er dann auch befragt. Der war nicht nur an den ersten drei Toren beteiligt, sondern führte seine Mannschaft, wie ein Kapitän eine Mannschaft führen muss. Die Körpersprache: top. Die Mentalität: top. Die Ballgewinne: stark. Die einleitenden Pässe zu den ersten drei Toren: herausragend. Die Debatte, ob er der richtig Mann mit der Binde am Arm ist: letztinstanzlich und souverän abmoderiert. Und wäre Thorgan Hazard Mitte der zweiten Hälfte nur einen My schneller am Ball gewesen, dann hätte sich Reus mit einer weiteren Vorlage schmücken dürfen - nun, egal. Schon am vergangenen Wochenende, beim Ligaduell gegen RB (3:2), war Reus sehr auffällig. Auffällig genug für einen EM-Startplatz?

Reus steht auf Löws EM-Zettel

"Marco hat wieder seinen Rhythmus gefunden", lobte Löw seinen Unglücksfußballer in der ARD. Der 31-Jährige hatte sich schon zweimal kurz vor großen Turnieren schwer verletzt und dem Bundestrainer dann nicht zur Verfügung gestanden. Auf die Frage, ob er den Kapitän des BVB auf seinem Zettel hat, sagte Löw: "Ja, da drauf ist er schon. Wir haben auch einen erweiterten Kader. Jetzt haben wir noch mal ein paar Namen diskutiert." Ob zu denen auch Dahoud gehört? Löw sagte dazu nichts. Nun, er wurde aber auch nicht danach gefragt. Klar ist: Dahoud spielt im zentralen Mittelfeld auf den Positionen, auf denen der Personalluxus des Bundestrainers am Größten ist (die einschüchternden Stichworte sind: Kroos, Gündogan, Goretzka und Kimmich). Klar ist aber auch: Wie der 25-Jährige das Spiel der Borussia nicht nur an diesem Abend gemeinsam mit dem dynamischen und wilden Jude Bellingham antreibt, das ist eine feine Sache.

Einer, der davon ganz besonders profitiert, ist Sancho. Dessen Saison war wie die von Reus bis zum Start der Rückrunde (Reus kam noch ein bisschen später auf hochtourigen Kurs) eher mäßig. Vielleicht war sie sogar schlecht. Aber seit die Mannschaft den Fußball von Trainer Edin Terzic erfolgreich adaptiert hat, ist auch der Engländer wieder das, was er eigentlich ist: ein spektakuläres Talent, das Europas Großmächte fasziniert. Dass er sich gegen Leipzig eine ziemlich absurde Abschlussschlamperei leistete, nun ja, er ist eben immer noch jung … und immerhin selbst auch verärgert. "Wenn ich irgendwann mal auf dieses Spiel zurückschauen werde, werde ich enttäuscht sein, dass ich keine drei Tore gemacht haben. Nächstes Mal mache ich den."

Einer, dem so eine Schlamperei nicht passiert wäre - anstatt den Ball ins freie Tor zu drücken, hatte sich Sancho in mindestens leicht überheblicher Manier dazu entschieden, die Leipziger mit einem verzögerten Abschluss zu düpieren -, ist Haaland. Der walzte sich über Spielfeld und Gegner hinweg, als hätte er nicht mehrere Tage verletzt aussetzen müssen. Als wäre sein Einsatz nicht zu einer Zitterpartie geworden. Bis zu seiner Auswechslung in der 90. Minute prügelte der Norwegen jedes Gramm Energie aus sich heraus, was sich immer wieder in den Megasprints von Strafraum zu Strafraum entlädt. Ein physischer Wahnsinn. Nie und nicht zu stoppen. Beim 2:0 auch nicht von Dayot Upamecano. Der Mann, der die Leipziger gemeinsam mit Trainer Julian Nagelsmann Richtung FC Bayern verlässt, prallte im Strafraum einfach an der körperlichen Wucht seines Gegenspielers ab. Und der Franzose ist in seiner Bulligkeit ja auch kaum unterlegen. Haaland zauberte den Ball in einer flüssigen Bewegung aus Technik und Tempo ins Tor. Dass er sich kurz vor Schluss, beim 4:1, selbst anschoss, tja, muss auch mal sein. Und sah auch sehr unterhaltsam aus.

Haaland und Sancho, das ist schon gewaltig. Das wissen sie in Dortmund natürlich. Und sie genießen jeden Abend, den sie mit ihren beiden Supertalenten noch haben. Beide sind ja heftig umworben. Und mit jeder beeindruckenden Leistung werden die Interessenten mehr (wobei der Kreis angesichts der geforderten Ablösesumme von 100 Millionen Euro und mehr doch eher endlich ist), die Liebe flammender, die Transferlage für den BVB gefährlicher. Wie lange diese beiden noch in Schwarzgelb zusammenspielen, offen. Das beste Argument der Dortmunder für noch mindestens eine weitere Saison wäre: Qualifikation für die Champions League. Das sieht zwar im Moment wieder gut aus, ist aber längst noch nicht fix. Aber mit einem Fortschreiben der großen Geschichte dieses Donnerstagabends wird das Abspielen der legendären Hymne von Tony Britten so viel wahrscheinlicher.

Ein anderes Szenario möchte man sich in Dortmund nicht ausmalen. Auch wegen Haaland und Sancho.

Quelle: ntv.de


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