Die emotionale Verbeugung des FC Bayern

  23 Mai 2021    Gelesen: 913
 Die emotionale Verbeugung des FC Bayern

Der letzte Bundesliga-Spieltag ist für den FC Bayern sportlich bedeutungslos, emotional aber umso wichtiger. Ein prägendes Trio an Profis verlässt den Klub, dazu Trainer Hansi Flick. Vor und nach dem Sieg gegen Augsburg wird es deshalb gefühlig in München. Ein bisschen auch wegen Thomas Müller.

Thomas Müller gibt oft den Wortführer beim FC Bayern. Wenn der Rekordmeister zur Balleroberung ansetzt, sind vorher besonders in den leeren Stadien oftmals die lauten, aber gut verständlichen Kommandos des 31-Jährigen zu hören. Er sagt an, wo auf dem Feld gepresst und welcher Gegenspieler damit in einen Fehler gedrängt werden soll. Aber auch abseits des Fußballplatzes ist Müller in der Lage, den Ton zu setzen. So auch an diesem letzten Bundesliga-Spieltag, an dem er mit einem emotionalen Video auf Instagram "drei Legenden des FC Bayern" zu deren Abschied würdigte. Noch bevor der Rekordmeister sie beim 5:2 (4:0)-Heimsieg gegen Augsburg ganz offiziell ehrte und beglückwünschte, wandte sich Müller unter der Überschrift "Drei Freunde sagen Servus" an seine Bald-nicht-mehr-Teamkollegen Javi Martínez, David Alaba und Jérôme Boateng.

''Drei Mitspieler von mir, Javi, David und Jérôme, mit denen ich fast meine ganze Karriere beim FC Bayern bestritten habe, werden den Verein verlassen'', sprach der Offensivspieler in seine Kamera: ''Ich wollte auf die Drei nochmal eingehen, weil sie nicht nur besondere Mitspieler und lange Weggefährten waren, sondern auch ganz besondere Menschen sind.''

Es wirkte weniger ritualisiert als die fast schon standardmäßigen Verabschiedungen, die vor dem Anpfiff und nach dem Schlusspfiff eines solchen letzten Spiels stattfinden. Natürlich auch diesmal, als Alaba, Martínez und Boateng großformatige Bilder überreicht wurden, die das Trio meist mit Trophäen zeigen, die sie seit ihrem Wechsel zum FC Bayern so zahlreich gewonnen. Martínez etwa, der im Sommer 2012 aus Bilbao nach Süddeutschland umgezogen war, gewann in jeder seiner neun Saisons in München den deutschen Meistertitel. Allein die Titel der drei aufzuzählen, würde ewig dauern, weil es so viele sind, weil der FC Bayern der Bundesliga ja bisweilen entrückt scheint.

"Ich werde dir den Arsch versohlen"

Auch Trainer Hansi Flick, für dessen Wechsel zum DFB als neuer Bundestrainer nach eigener Aussage nur noch "Kleinigkeiten" auszuverhandeln sind, erhielt ein solches Geschenk von Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, Präsident Herbert Hainer und Sportvorstand Hasan Salihamidžić. Ebenso seine Assistenten Miroslav Klose und Hermann Gerland, die ebenfalls den Klub verlassen werden. Es folgten emotionale Szenen, gerade nach Abpfiff und mit Meisterschale, die für zahlreiche Erinnerungsfotos herumgereicht wurde, mal mit und mal ohne Tränen in den Augen. Begleitet, bejubelt und besungen von den 250 Zuschauern, die erstmals wieder in der Münchner Arena zugelassen waren und den zu Verabschiedenden zumindest einen Abschied auch von den eigenen Fans ermöglichten, wenn auch eben einigen wenigen, die über die mehr als 75.000 Plätze verteilt saßen.

Weit vor dem Anpfiff hatte aber eben Müller schon das Wort ergriffen, fast sechs Minuten lang. Javi Martínez huldigte er dafür, "dass man auf dich zählen, wenn es drauf ankam", nannte ihn voller Anerkennung einen "kleinen Schlawiner", dem er "ein paar bayrische Wörter" beigebracht habe und den er nun eben sehr vermissen werde. David Alaba, dessen neuer Arbeitgeber ebenso wie der von Martínez noch nicht öffentlich bekannt ist, wünschte Müller "viel Glück bei deinem neuen Verein" und kündigte für ein Wiedersehen als Konkurrenten schon einmal scherzhaft an: "Egal welcher Verein es am Ende wird, du wirst es bereuen: Falls wir gegeneinander spielen, werde ich dir den Arsch versohlen."

Ganz im Ernst sagte er jedoch eben auch, wie sehr Alaba ihm fehlen werde, der schon in der Jugend aus Österreich zum FC Bayern gewechselt war. "Es ist nach all der schönen Zeit eine traurige Komponente, dass er geht", so Müller: "Lieber David, ich bin zwar weit weg vom Wiener Schmäh, aber ich habe deine 'Sprache' immer verstanden." Flick pries den 28-Jährigen nach dessen letztem Auftritt im Bayern-Trikot als "Herz der Mannschaft", der drei Positionen auf Weltklasse-Niveau beherrsche. "Ich werde ihn sehr vermissen", so Flick, der auch die soziale Kompetenz hervorhob. "Er ist ein ausgezeichneter Mensch und Top-Fußballer."

Angemessener Abschied ist fast nicht machbar

Flick, der in nur 15 Monaten sieben Titel - zwei Meisterschaften, DFB-Pokal, Champions League, europäischen Supercup, deutschen Supercup und Klub-WM - mit dem FC Bayern gewann, blickte im Zuge seines selbstgewählten und öffentlich forcierten Abgangs "stolz und dankbar" auf seine Amtszeit zurück. "Mit dem Tag heute ist die Reise wirklich zu Ende", sagte der 56-Jährige. Neues zu seiner eigenen Zukunft verkündete er nicht, alles andere als die Nachfolge von Joachim Löw als Bundestrainer käme jedoch einer Überraschung gleich.

Deutlich offener ist, wohin es Jérôme Boateng zieht. "Ich weiß, er wäre gerne auch in München geblieben", resümierte Flick, für ihn ist der 32-Jährige "einer der besten Innenverteidiger Deutschlands", dem er nun wünscht, "dass er einen guten Verein erwischt". Müller stellte in seiner Videobotschaft sein persönliches Verhältnis zu Boateng als ''vielleicht die besonderste Beziehung" heraus. Denn "uns verbindet mehr, als es vielleicht auf den ersten Blick erscheint". Wohl auch, weil es immer wieder Reibereien zwischen beiden gab, was Müller zufolge aber als Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung verstanden werden darf: "Wir hatten schon das eine oder andere Rede- und Wortduell während unserer Zeit und ich habe es immer sehr genossen.''

Diese von Müller angesprochene Zeit ist eine, in der die Münchner dem Rest der Bundesliga vielleicht endgültig entwachsen sind, finanziell wie sportlich. Dass eine andere Mannschaft als die von der Säbener Straße deutscher Meister wird, gilt mittlerweile als nahezu ausgeschlossen, mindestens aber solange, bis es tatsächlich eintritt. Auf 14,22 Punkte beläuft sich der durchschnittliche Vorsprung des FC Bayern bei den neun Meisterschaften seit 2013, die Münchner haben seit Einführung der Bundesliga 30 Titel geholt, alle anderen Mannschaften zusammen 28. Mit Alaba, Martínez und Boateng verlassen drei Profis den FC Bayern, die dessen erfolgreichste Ära maßgeblich mitgeprägt haben.

Ein angemessener Abschied ist da nahezu unmöglich, zumal vor einem fast leeren Stadion. In dem Tränen flossen, innige Umarmungen und emotionale Botschaften ausgetauscht, außerdem Lobeshymnen angestimmt wurden. Da ist es dann wiederum angenehm, dass es diese Rituale im Fußball gibt, die oft mit Blumensträußen und großen Fotos einhergehen, wie sie nun auch der FC Bayern seinen scheidenden Angestellten überreichte. Ganz so, wie es sich für diesen Anlass dann eben gehört.

Quelle: ntv.de


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