Für Jérôme Boateng ist es ein guter Tag. Denn mit diesem Dienstag dürfte ihm ziemlich wahrscheinlich sein, dass auch er demnächst wieder Nationalspieler wird. Wie Thomas Müller. Wie Mats Hummels. Alle drei waren ja im Frühjahr 2019 per Blitz-Ausbootung von Bundestrainer Joachim Löw aus dem Aufgebot verbannt worden. Der Umbruch war das Stichwort. Und tatsächlich gab es für den Chef des DFB-Teams damals gute Argumente. Alle drei waren nicht mehr in der Form, in der sie beispielweise Deutschland 2014 zum Weltmeister gemacht hatten. Mittlerweile haben sich alle drei erholt, mittlerweile sind alle drei wieder in einer Top-Verfassung. Hummels und Müller auch wieder im Kreis der deutschen Nationalmannschaft. Nur Boateng nicht.
Aber nach der Europameisterschaft in diesem Sommer, da wird es auch sein Comeback geben. Sollte er sich nicht schwer oder schwerst verletzen oder spontan seine Karriere beenden. Denn nach der EM wird Löw nicht mehr Bundestrainer sein und statt seiner Hansi Flick übernehmen. Der Mann also, der ihn (Boateng) beim FC Bayern von der ungeliebten Person, vom nicht mehr zwingend gebrauchten Fußballer wieder zu einem absoluten Leistungsträger gemacht hatte. In der Triple-Saison 2019/20 noch mehr als in der gerade abgelaufenen Saison. Aber auch dort stellte er wieder klar: Wenn es drauf ankommt, wenn die großen Spiele anstehen, wenn die schweren Gegenspieler kommen, dann ist der Hüne da. Dann ist er noch immer ein Heldengrätscher.
Verhindern kann das Comeback des 32-Jährigen im DFB-Team also niemand mehr. Außer ihm selbst und Flick, aber Sie merken es selbst, eigentlich ist das ausgeschlossen. Vor allem aber kann das kein Sportdirektor mehr verhindern. Der heißt in München bekanntermaßen Hasan Salihamidžić und genießt dort das heftig umkämpfte Recht der Kaderhoheit. Seine Entscheidung. Sein Wort. Dass Flick, der mit dem 44-Jährigen deswegen häufiger über Kreuz lag, Boateng gerne gehalten hätte, kein Geheimnis. Dass Salihamidžić andere Pläne hatte, ebenso wenig. Machtkämpfe wie jene um den Innenverteidiger hatten den Trainer zermürbt, hatten ihn dazu bewogen, seinen Vertrag freiwillig und vorzeitig aufzulösen. Dass der DFB ihm nach dem angekündigten Rücktritt von Löw die Tür zurück geöffnet hatte, in eine machtvolle Position, es war sicher ein äußerst lukratives Zuckerl, sich von einem der begehrtesten Cheftrainerposten im Weltfußball zu verabschieden.
Der FC Bayern erhält sich seine Macht
In München wäre es für Flick ohnehin auch nicht weitergegangen. Zu oft hatte er Klage über das Machtgefüge erhoben. Zu oft hatte er gezündelt. Vor allem gegen Salihamidžić. Vergeblich. Ohne Nachhall. Zwar sagte der künftige Klubboss Oliver Kahn nach dem von Vereinsseite bestätigten Freistellungsgesuch: "Gehen Sie davon aus, dass wir beim FC Bayern immer sehr, sehr kritisch mit uns umgehen und uns Fragen stellen: Wo hätten wir vielleicht eingreifen können? Wo hätten wir Dinge laufen lassen können?" Aber er sagte eben auch, dass es etwa ein Transferveto, wie von Flick vehement eingefordert, auch für künftige Trainer, der nächste heißt ja Julian Nagelsmann, nicht gebe werde: "Natürlich muss am Ende, wenn es hart auf hart kommt, der Klub entscheiden. Ein Trainer will immer eine Top-Mannschaft und die besten Spieler, ein Sportvorstand muss auch auf die finanziellen Dinge schauen. Dass es da zu Konflikten kommt, ist nun mal so." Muss aber nicht sein.
Beim DFB bekommt Flick als Nationaltrainer all die Macht, die ihm beim FC Bayern untersagt blieb. Die alleinige Hoheit über alle sportlichen Angelegenheiten der Mannschaft. Bei der Kaderzusammenstellung mischt niemand mit. Auch nicht der mächtige Bierhoff, den Flick aus seiner Assistenzzeit von Löw zwischen 2006 und 2014 eben lange genug kennt, um zu wissen, ob es womöglich ebenfalls unüberbrückbare Differenzen geben könnte. Flick ist bei der Auswahl seiner Spieler nicht an finanzielle Zwänge gebunden, sondern nur an die Spielberechtigung und muss dann auch nicht hinnehmen, dass Verträge mit Leistungsträgern gegen seinen ausdrücklichen Willen auslaufen. So wie halt zuletzt bei Jérôme Boateng.
Quelle: ntv.de
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