Am Morgen ins Freibad, danach ein bisschen Shoppen in der City, am Nachmittag Freunde im Café treffen und abends ins Kino oder ins Restaurant - in Münster ist das seit einigen Tagen wieder möglich. Entsprechend voll war die Stadt über Pfingsten.
Leer sind nur die Schulen: Die befinden sich in Münster, genauso wie im Rest von Nordrhein-Westfalen, noch immer überwiegend im Wechselunterricht. Erst am kommenden Montag wird NRW in allen Kreisen und kreisfreien Städten mit einer stabilen Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 "zu einem durchgängigen und angepassten Präsenzunterricht" zurückkehren, wie das Schulministerium des Landes in der vorigen Woche in einer Mail an die nordrhein-westfälischen Schulen schrieb. Stabil, das bedeutet, die 100 muss fünf Werktage in Folge unterschritten werden.
NRW ist damit noch früh dran. Niedersachsen öffnet zwar ebenfalls ab dem 31. Mai, aber nur in Kreisen und Städten mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 50. Bayern hat als Schwellenwert ebenfalls die 50 festgelegt und wird seine Schulen erst am 7. Juni öffnen, was allerdings auch daran liegt, dass dort bis dahin noch Pfingstferien sind. Noch eine Woche länger warten will Baden-Württemberg, wo an den weiterführenden Schulen bis zum 11. Juni Wechselunterricht gilt.
Andere Bundesländer haben ähnliche Pläne. Nur Berlin nicht. "Um eine zusätzliche Belastung der Schulen zu vermeiden, halten wir bis zu den Sommerferien am derzeitigen Wechselunterrichtsmodell fest und leiten vor dem Schuljahresende noch keine weitere Öffnung der Schulen ein", schrieb die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Mitte Mai an die Schulleitungen der Stadt. Ein Sprecher von SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres verwies damals in einer Mail an ntv.de drauf, dass es ein Wunsch nicht zuletzt von Schulleitungsverbänden gewesen sei, bis zu den Sommerferien am Wechselunterricht festzuhalten, "um den Schulen Planungssicherheit zu geben auch für das kommende Schuljahr, das nach derzeitigem Stand wieder mit vollem Präsenzangebot starten soll".
Lehrergewerkschaften treten tatsächlich eher auf die Bremse. In NRW mahnt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft mit Blick auf die dortigen Pläne, man solle sich ein Beispiel an Berlin nehmen. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, plädierte dafür, sich nicht an der 100er Inzidenz aus dem Infektionsschutzgesetz zu orientieren, sondern den strengeren Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts zu folgen, das erst ab 50 zu vollständigem Präsenzunterricht rät. Die Landeselternkonferenz NRW warf Schulministerin Yvonne Gebauer von der FDP vor, die Empfehlungen des RKI "abermals" zu ignorieren.
Mehrheit der Bundesbürger für Schulöffnungen
Aus dem nordrhein-westfälischen Schulministerium heißt es auf Anfrage von ntv.de dazu, die Landesregierung beobachte das Infektionsgeschehen sehr genau. "Alle Entscheidungen zum Schulbetrieb werden vor dem Hintergrund der Infektionslage getroffen. Ziel ist, das Recht auf Bildung und den Infektionsschutz in Einklang zu bringen. "Unsere Aufgabe ist es, dass es keine verlorene Generation gibt", sagte der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet am Mittwoch beim Besuch eines Düsseldorfer Impfzentrums.
Offenbar unterstützt eine Mehrheit der Deutschen diesen Kurs der schnelleren Öffnungen. Nach einer Umfrage, die das Meinungsforschungsunternehmen Civey im Auftrag der FDP-Bundestagsfraktion durchführte, sind 65,2 Prozent bei Einhaltung von Test- und Hygienekonzepten für eine sofortige Rückkehr zum Präsenzunterricht. 24,7 Prozent sind auf jeden Fall oder eher dagegen.
Klar ist: Die Öffnung von Schulen ist jetzt, wo die Infektionszahlen sinken, politisch ebenso umstritten und ebenso heikel, wie es die Schulschließungen im Dezember waren. In den Monaten zuvor waren die Kultusministerinnen und Kultusminister noch dem Mantra gefolgt, die Schulen müssten offen bleiben - ohne diese jedoch auf Unterricht unter Corona-Bedingungen in der kalten Jahreszeit vorzubereiten.
Klar ist auch: Das Versprechen, die Schulen als letztes zu schließen und als erstes zu öffnen, haben Bundesregierung und Länder längst gebrochen. So gab es noch keine Homeoffice-Pflicht, als die Schulen im Dezember in den zweiten Lockdown geschickt wurden. Arbeitgeber wurden lediglich "dringend gebeten zu prüfen, ob die Betriebsstätten entweder durch Betriebsferien oder großzügige Home-Office-Lösungen vom 16. Dezember 2020 bis 10. Januar 2021 geschlossen werden können".
Gleicher Rang wie Frisörläden
An der Fiktion, die Schulen hätten Priorität, hielten Bundesregierung und Länder dennoch fest. Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa sagte am 21. Januar: "Auf Rang eins der Öffnung stehen Kitas und Schulen ‑ das ist, glaube ich, politisch völlig unstrittig." Erst danach werde es "nicht ganz einfach", so die Kanzlerin. "Ich würde einmal sagen: Aus praktischen Gründen müssten dann bald die Friseure drankommen ‑ das ist jetzt aber mehr anekdotisch." Bei der nächsten Bund-Länder-Runde am 10. Februar wurde dieser Vorrang formal beschlossen: "Um Bildung und Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten, haben Öffnungen im Betreuungs- und Bildungsbereich daher Priorität", heißt es im Beschluss der Konferenz, der auch eine Öffnung der Frisörläden ab dem 1. März festlegte.
Wäre alles nach Plan gegangen, hätten Ministerpräsidenten und Kanzlerin ihr Versprechen eingehalten - zumindest fast, denn vor den weiterführenden Schulen öffneten erst einmal Gartencenter, Baumärkte und was sonst noch alles wichtig schien. Am 3. März beschloss die Bund-Länder-Runde dann einen Corona-Stufenplan, in dem die Schulen tatsächlich an erster Stelle genannt wurden - wenn auch wiederum gemeinsam mit den Frisören. Dummerweise gab es noch nicht genügend Tests, um die Testkonzepte umzusetzen, mit denen die Länder diese Öffnungen sicherstellen sollten.
Doch aus dem schönen Stufenplan wurde ohnehin nichts. Angesichts drastisch steigender Infektionszahlen mussten die Länder die Notbremse ziehen. In ihrer bislang letzten Sitzung vom 22. März, die bis weit in die Nacht andauerte, wurden schon gar keine Beschlüsse zu den Schulen mehr gefasst - zu sehr gingen die Regeln der Länder auseinander. Die "erweiterte Ruhezeit zu Ostern" wurde nach scharfer Kritik aus der Wirtschaft keine 48 Stunden später von der Kanzlerin kassiert. Einen Monat danach beschloss der Bundestag die "Bundesnotbremse". Seither regelt das Infektionsschutzgesetz, dass Schulen bei einer Sieben-Tage-Inzidenz über 100 in den Wechselunterricht gehen müssen. Ab 165 ist kein Präsenzunterricht mehr möglich, Ausnahmen können für Abschlussklassen und Förderschulen gemacht werden, was ja auch geschah.
Die Bundesnotbremse führte dazu, dass auch Schulen schließen mussten, die seit Wochen regelmäßig Tests durchgeführt und nie einen positiven Fall entdeckt hatten - denn mittlerweile waren die angekündigten Tests vorhanden. Seither gab es alle möglichen Öffnungen, nicht nur in Münster. In Bayern dürfen beispielsweise seit dem 10. Mai die Biergärten wieder öffnen, wenn die Inzidenz in der Region unter 100 liegt.
Und wenn es keine Impfungen gibt?
Trotz der bereits geplanten Öffnungsschritte an den Schulen ist noch immer unklar, wie diese abgesichert werden sollen. Umstritten ist sogar, ob der Weg zurück in die schulische Normalität über Impfungen für Schülerinnen und Schüler gehen soll. Die SPD-Fraktionsvorsitzende Katja Mast sagte, Kinder ab zwölf Jahren sollten vor dem Ende der Sommerferien ein Impfangebot bekommen, sobald der Impfstoff zugelassen ist. "Nur so ist ein Mindestmaß an Normalität gewährleistet für Kinder, Jugendliche und Familien, die dieses Land durch die Krise getragen haben." FDP-Fraktionsvize Katja Suding dagegen will nicht auf Impfungen für Jugendliche warten. "Luftfilter, Schnelltests, Impfungen für Lehrkräfte ermöglichen sicheren Präsenzunterricht", sagte sie.
Tatsächlich ist zweifelhaft, ob diese Impfungen überhaupt kommen. Die Ständige Impfkommission des RKI jedenfalls scheint eine Impfung für Kinder nicht empfehlen zu wollen. "Bei unklarem Risiko kann ich zur Zeit noch nicht vorhersehen, dass es eine Impfempfehlung für eine generelle Impfung geben wird", sagte STIKO-Mitglied Rüdiger von Kries am Dienstagabend dem Sender RBB. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn plädiert zwar dennoch für eine Immunisierung von Kindern und Jugendlichen über zwölf, sieht sie aber nicht als Voraussetzung zur Teilnahme am Präsenzunterricht. "Schule geht auch mit einem Teil der Kinder und Jugendlichen, die geimpft sind und ein Teil, die noch nicht geimpft sind", sagte er im "Frühstart" von ntv.
Eingehalten wurde das Versprechen, bei Öffnungen zuerst an die Kinder zu denken, in England. Dort wurden die Schulen am 8. März wieder geöffnet - es war der erste Schritt eines Vier-Stufen-Plans. Die britische Sieben-Tage-Inzidenz sank danach trotzdem weiter. Seit dem 17. Mai sind auch die Innenräume der Pubs sowie Kinos und Theater wieder geöffnet - mehr als zwei Monate nach Öffnung der Schule.
Die Zahlen aus England sieht auch der Virologe Christian Drosten als "wirklich ermutigend für den Schulbetrieb" an. "Die Impfung der Erwachsenen könnte den Ping-Pong-Effekt zwischen Schulen und Haushalten unterbrechen". Außerdem leiste die regelmäßige Testung zwei Mal pro Woche "bestimmt einen wichtigen Beitrag", twitterte Drosten am vergangenen Freitag. "Hoffen wir, dass der Immunschutz lange hält."
Quelle: ntv.de
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